Griechenland: Stresstest für den EU-Gipfel
17. März 2015
Der griechische Premierminister Alexis Tsipras hat sich durchgesetzt. Er bekommt laut EU-Diplomaten Zeit, um beim EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag über die Schulden- und Haushaltskrise in Griechenland zu sprechen. Noch am Montag hatte der Gastgeber des Gipfels, der Vorsitzende des Europäischen Rates, Donald Tusk, eine erneute Behandlung des Themas Griechenland abgelehnt. Doch nach ständigen Telefonkontakten zwischen Tsipras, Tusk und dem EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker könnte es nun sogar ein Sondertreffen am Rande des eigentlichen Gipfels geben.
Daran sollen nach Angaben des griechischen Rundfunks neben Tsipras der französische Präsident Francois Hollande, Bundeskanzlerin Angela Merkel, der Chef der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker teilnehmen. Der lettische Außenminister Edgars Rinkevicius, der den Vorsitz des EU-Ministerrates innehat, konnte solche Planungen in Brüssel noch nicht bestätigen: "Im Moment nicht, aber das hängt ganz von den Staats- und Regierungschefs ab."
"Versachlichen und Entspannen"
Was der griechische Ministerpräsident bei diesem Treffen genau erreichen will, ist unklar. Er hatte in den letzten Tagen immer wieder von politischen Lösungen für die massive Vertrauenskrise gesprochen, die sich zwischen Griechenland und den restlichen 18 Staaten mit der Euro-Währung aufgebaut hat. "Alles, was zur Versachlichung und zur Entspannung des Verhältnisses zwischen Europa und Griechenland beitragen kann, ist in diesen Tagen mehr als erwünscht. Wir sollten miteinander und nicht übereinander sprechen, und dann kann sicherlich auch der Europäische Rat einen wichtigen Beitrag leisten", sagte dazu der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth, in Brüssel. Er bereitet zurzeit mit den Kollegen aus den 27 weiteren EU-Mitgliedsländern den Europäischen Rat, also das Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs, vor.
Für den kommenden Montag hatte Bundeskanzlerin Merkel den griechischen Regierungschefs überraschend zu einem Treffen in Berlin eingeladen. Die verbalen Attacken zwischen griechischen und deutschen Politikern hatten in den letzten Tagen an Schärfe zugenommen. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble warf der Links-Rechts-Koalition in Athen vor, sie belüge ihre Wähler. Der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis verwickelte sich nach einem Auftritt in einer deutschen Fernseh-Talkshow in Widersprüche. Dort war ein Video gezeigt worden, in dem Varoufakis auf einer Veranstaltung vor zwei Jahren die deutsche Euro-Politik mit einer beleidigenden Geste bedacht hatte. Zunächst behauptete er, dass Video sei eine Fälschung, später die Szene sei aus dem Zusammenhang gerissen worden.
Der slowenische Ministerpräsident Miro Cerar warnte vorsorglich vor dem Gipfeltreffen in Brüssel, Griechenland solle den Bogen nicht überspannen. "Unsere Bürger leiden auch unter Sparmaßnahmen und Kürzungen", sagte Cerar der Nachrichtenagentur Bloomberg. "Deshalb können wir bei der Solidarität nicht zu weit gehen, weil das unsere Steuerzahler nicht mitmachen würden." Slowenien, das unter einer Bankenkrise leidet, ist als Euro-Land an der Rettung Griechenlands beteiligt.
Die Lage in Griechenland ist ernst
Eigentlich hatten sich Griechenland und die Euro-Gruppe am 20. Februar darauf geeinigt, dass Athen sein Hilfsprogramm verlängert und bis Ende April nachweist, dass es weitere Reformen umsetzt. Die Gespräche zwischen dem griechischen Finanzministerium und Vertretern der europäischen und internationalen Geldgeber (Troika) treten in Athen aber auf der Stelle, berichtet die griechische Zeitung "Ekathimerini". EU-Kommission, Internationaler Währungsfonds und Europäische Zentralbank rätseln, wie die wirkliche Kassenlage des griechischen Staates ist. Der griechische Finanzminister Varoufakis hatte behauptet, sein Land werde alle Zahlungsverpflichtungen erfüllen. Es gebe nur "kleinere Liquiditätsprobleme".
Bereits am Montag hatte der Sprecher der EU-Kommission, Margaritas Schinas, gewarnt: "Die Situation ist ernst. Diese Woche kommt es darauf an, an der Erfüllung der Vereinbarung mit der Eurogruppe vom 20. Februar zu arbeiten. Diskussionen auf technischer Ebene laufen in Athen. Die EU-Kommission geht davon aus, dass es Zeit ist zu arbeiten und nicht Erklärungen abzugeben." Diese Einschätzung bekräftigte eine weitere Sprecherin der Kommission am Dienstag. Die "Süddeutsche Zeitung" berichtete unter Berufung auf griechische Quellen, die griechische Regierung habe 200 Millionen Euro an EU-Subventionen für griechische Baumwoll-Bauern nicht ausgezahlt und stattdessen in den allgemeinen Staatshaushalt umgelenkt. Die Regierung in Athen soll außerdem die Rücklagen der staatlichen Renten- und Sozialkassen anzapfen, um zahlungsfähig zu bleiben.
Griechenland kann sich mit T-Bills über Wasser halten
Am kommenden Freitag muss die griechische Regierung eine Hürde von fast zwei Milliarden Euro nehmen. 1,6 Milliarden an alten kurzlaufenden Staatsanleihen (T-Bills) müssen durch neue ersetzt werden. Außerdem werden noch einmal 350 Millionen Euro an Rückzahlungen für den Internationalen Währungsfonds fällig. "Noch kann Griechenland neue T-Bills auf den Märkten verkaufen", sagte die Finanzexpertin Silvia Merler vom Brüsseler Forschungsinstitut "Bruegel" im Gespräch mit der DW. Allerdings ist die Gesamtsumme dieser T-Bills auf 15 Milliarden Euro begrenzt.
Gekauft werden die nur wenige Wochen laufenden Staatsanleihen hauptsächlich von griechischen Banken. Diese wiederum besorgen sich das Geld dafür über das ELA-Programm als Notkredite von der griechischen Zentralbank. Dafür ist das ELA-Programm aber eigentlich nicht gedacht. Die Europäische Zentralbank könnte diese Praxis jederzeit unterbinden. Griechenland ist also vom Wohlwollen des EZB-Chefs Mario Draghi abhängig. Der soll Alexis Tsipras aufgefordert haben, einen klaren Kassensturz zu machen und Zahlen auf den Tisch zu legen. Euklid Tskalotos, der stellvertretende Außenminister Griechenlands, kritisierte derweil die Europäische Zentralbank und forderte sie auf, mehr kurzfristige Staatsanleihen (T-Bills) zuzulassen. Die EZB wird sich am Donnerstag, also parallel zum EU-Gipfel, erneut mit der finanziellen Lage der Banken in Griechenland befassen. Sie muss entscheiden, ob das ELA-Notprogramm weiter verlängert wird.
Mindestlohn soll steigen
In der kommenden Woche werden dann die Renten- und Pensionszahlungen der griechische Regierung fällig. Finanzminister Varoufakis hatte versichert, dass diese Zahlungen sichergestellt seien. Er habe einen Plan zur Erhöhung der Liquidität - ohne Einzelheiten zu nennen. Die Finanzexperten beim Thinktank "Bruegel" vermuten, dass Griechenland die finanziellen Klippen nehmen wird. Die Einnahmen durch Steuern sind nach Angaben des griechischen Finanzministeriums aber drastisch gesunken, etwa um eine Milliarden Euro im Februar. Das sei, so die "Bruegel"-Fachleute, durch einen Ausgabenstopp für den griechischen Staatshaushalt außer bei Löhnen und Gehältern wieder ausgeglichen worden. Diese Strategie lasse sich aber nicht lange durchhalten, so Silvia Merler von "Bruegel".
Unterdessen setzt die neue Regierung in Griechenland erste Wahlversprechen um, die allerdings Geld kosten werden. "Eine weitere Sparpolitik wird es nicht geben", sagte Ministerpräsident Tsipras in einem Zeitungsinterview. Für Lebensmittelgutscheine und kostenlosen Strom will die Regierung 200 Millionen Euro aufwenden. In den nächsten Monaten soll der Mindestlohn wieder erhöht werden. Ob diese Maßnahmen durch die Vereinbarung zwischen Griechenland und der Euro-Gruppe vom 20. Februar gedeckt sind, wird von EU-Diplomaten in Brüssel bezweifelt. Dort war eigentlich festgelegt worden, dass Reformen, wie die Absenkung des Mindestlohnes, nicht einseitig zurückgenommen werden sollen.