Rosskur
1. April 2011Es ist eine Art Schocktherapie, die Griechenland gerade durchmacht. Oder wie Martin Knapp, Geschäftsführer der Deutsch-Griechischen Industrie- und Handelskammer in Athen es beschreibt: "Das, was im Moment für Griechenland läuft, ist wie eine Operation am offenen Herzen ohne Herz-Lungen-Maschine."
Die Operation hat einen Namen: "Schuldenabbau". Und sie läuft recht erfolgreich. Wie kaum ein anderes Land hat es Griechenland geschafft, das Haushaltsdefizit innerhalb von zwei Jahren zu halbieren - von 15 Prozent in 2009 auf 7,4 Prozent in diesem Jahr, wie die Europäische Kommission voraussagt.
Schuldenberg wächst weiter
Doch droht nun dem Patienten langsam die Luft auszugehen - denn der Erfolg der Operation forderte einen hohen Preis. Einerseits haben die Griechen Lohn- und Rentenkürzungen von bis zu 20 Prozent zu verschmerzen, andererseits ächzen sie unter einem Schuldenberg, der trotz des eisernen Sparens weiter anwächst. Nach Berechnungen des IWF werden die Staatsschulden Ende des Jahres über 150 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung betragen. Schuld daran ist die hohe Zinslast, denn auch für die Notkredite der EU und des IWF mussten die Hellenen über fünf Prozent Zinsen zahlen, rund drei Prozentpunkte mehr als Deutschland für seine Bundesanleihen zahlen muss.
Deswegen zweifeln nicht wenige Experten, ob das Mittelmeerland überhaupt in der Lage ist, den Schuldendienst zu leisten. Jens Bastian von der außenpolitischen Stiftung ELIAMEP: "Das wird sehr stark davon abhängen, ob Griechenland wieder zu Wirtschaftswachstum finden kann. Und dass die Arbeitslosigkeit zurückgefahren werden kann, dass die Inflation dann auch sinkt." Diese drei Indikatoren sehen jetzt gerade nicht gut aus.
Zustand des Patienten bleibt kritisch
Tatsächlich wird die griechische Wirtschaft zum dritten Mal in Folge schrumpfen - mit verheerenden Folgen für die Staatsfinanzen. So sind die Steuereinnahmen im Januar und Februar um neun Prozent gesunken. Die Arbeitslosigkeit ist auf knapp 14 Prozent geklettert. Zudem hat Griechenland mit 4,2 Prozent eine der höchsten Inflationsraten innerhalb der EU. Die Strukturreformen werden erst in ein paar Jahren Früchte tragen. Und das Vorhaben der Regierung, 50 Milliarden Euro durch Privatisierungen einzunehmen, stößt auf heftigen Widerstand.
Das klingt alles nicht gerade ermutigend. Jens Bastian skizziert, was schlimmstenfalls passieren könnte: "Griechenland gelingt es nicht, dieses Jahr verschiedene Bereiche seines Reform- und Strukturprogramms umzusetzen, bekommt dadurch Warnungen des Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Union." Gegebenenfalls werde damit gedroht, dass weitere Kredittranchen nicht ausgezahlt werden. Griechenland gerate in einen Teufelskreis von steigender Arbeitslosigkeit und weiter anhaltender Rezession. "Am Ende steht dann die Insolvenz und die Notwendigkeit, umfassend den Schuldenberg zu restrukturieren", sagt Jens Bastian von der Stiftung ELIAMEP.
Ein sofortiger Schuldenschnitt?
Viele fordern einen sofortigen Schuldenschnitt für Griechenland, um das Land von einem Teil der Schulden zu befreien. Davon hält Bastian nichts: "Aus meiner Sicht ist die Priorität Griechenlands, mit seinem Reformprogramm voran zu kommen. Griechenland hat noch zweieinhalb Jahre Zeit." Solange kann das Land die 110 Milliarden Euro des internationalen Rettungsfonds abrufen. "Griechenland sollte sich jetzt nicht die Diskussion aufzwingen lassen, heute umzuschulden", so Bastian weiter.
Um aus der Misere herauszukommen, braucht das Land dringend Hilfe, darin sind sich alle Experten einig. Der erste Schritt ist getan. So haben sich die EU-Länder im März geeinigt, den Zinssatz für die Griechenland-Kredite von 5,2 auf 4,2 Prozent zu senken und die Laufzeit des Rettungsfonds von drei auf siebeneinhalb Jahre zu strecken. Somit steht es den Griechen frei, wann sie innerhalb dieses Zeitraums mit der Rückzahlung beginnen.
Marshall-Plan für Griechenland?
Das werde aber nicht ausreichen, findet Sigrit Skarpelis-Sperk, ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende der Vereinigung Deutsch-griechischer Gesellschaften. Sie fordert einen europäischen Marshall-Plan: "Europa war nach dem Krieg in einer verzweifelten Situation. Die Amerikaner hatten damals den Europäern - aber auch den Deutschen - eine zweite Chance gegeben." Und die Deutschen hätten ein bisschen mehr angestellt als über ihre Verhältnisse gelebt und Statistiken gefälscht. "Dieser Marshallplan bestand nicht nur aus Hilfen für Investitionen oder für eine kriegszerstörte Infrastruktur, sondern enthielt auch Auflagen und Hilfen für eine neue Administration", sagt Skarpelis-Sperk.
"Operation gelungen, Patient tot"
Unterstützung dieser Art könnte Griechenland für seine Steuer- und Rentenreform gut gebrauchen. Martin Knapp von der Deutsch-Griechischen Industrie- und Handelskammer hat eine konkrete Bitte an die deutsche Staatsbank KfW, den griechischen Mittelstand mit Liquidität zu versorgen: "Wenn jemand auf der Intensivstation liegt, dann braucht er künstliche Ernährung. Das wären in diesem Fall Investitionen. Und er braucht Sauerstoff, das wäre in diesem Falle die Liquidität. Es fehlt im Moment an beidem."
Sonst bewahrheitet sich der bekannte Satz wieder einmal: "Operation gelungen, Patient tot."
Autorin: Zhang Danhong
Redaktion: Rolf Wenkel