Rebellion im Sinne des ägyptischen Militärs
2. August 2013Eine Handvoll Ägypter erreichte, woran die vielstimmige Opposition am Nil gescheitert war: Sie ebneten mit ihrer Initiative Tamarud (Rebellion) den Weg für den Sturz des islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi. Binnen zwei Monaten sammelte die Tamarud-Bewegung nach eigenen Angaben 22 Millionen Unterschriften, um den ein Jahr zuvor gewählten Mursi und dessen Muslimbrüder aus dem Amt zu jagen. Ihrem Demonstrationsaufruf folgten am 30. Juni 2013 hunderttausende Ägypter. Das Militär nutzte schließlich die Proteststimmung, um das Staatsoberhaupt abzusetzen. Seitdem scheint es, als würden sich die Graswurzelbewegung und die Generäle gegenseitig die Bälle zuspielen.
Viele Gründe für Tamarud-Erfolg
Die Idee zu einer Unterschriftenkampagne gegen die Mursi-Regierung hatten fünf Ägypter. Die kleine Gruppe warf Mursi unter anderem vor, nichts gegen die Armut, die schlechte Sicherheitslage und die Abhängigkeit vom Ausland zu tun. Außerdem kritisierten sie, dass der Präsident mit seiner Politik den Rechtsstaat aushöhle. Die Unterschriften sollten eine Art Misstrauensvotum sein. Schnell fanden die Tamarud-Initiatoren Anhänger im ganzen Land. Über Facebook und Twitter warben sie für ihre Ziele und mobilisierten die Massen.
Allerdings lässt sich der große Zuspruch für die Bewegung nicht allein mit einer cleveren Idee und dem Einsatz sozialer Medien erklären. Laut Mohammad Fayez Farahat vom Kairoer Ahram-Zentrum für politische und strategische Studien gab es viele Gründe für den Erfolg von Tamarud: "Der erste ist, dass die Initiative von unbekannten jungen Leuten ausging", sagt Farahat im DW-Gespräch. Sie waren laut dem Politikwissenschaftler glaubwürdiger als die zwar bekannten, aber oft schlecht angesehenen Parteiführer. Darüber hinaus habe es die Bewegung geschafft, nahezu überall die Ägypter zu erreichen. "Man konnte sie an Autobahnen genauso finden wie unter den einfachen Leute in der Gasse", berichtet Farahat.
Entscheidend für den Erfolg waren aber auch die mächtigen Förderer, ist Mohamed Elmenshawy vom Washingtoner Middle East Institute überzeugt. Ihm zufolge haben anti-islamistische Wirtschaftsführer viel Geld in die Initiative gesteckt. "Einige politische Parteien stellten ihnen ihre Infrastruktur, Räume und ihre Netzwerke zur Verfügung", führt der Ägypten-Experte weiter aus. Auch die staatliche Bürokratie und die Medien hätten die Unterschriften-Sammler unterstützt. Für Elmenshawy steht außerdem außer Frage, dass auch die alten Seilschaften des 2011 gestürzten Machthabers Hosni Mubarak die Bewegung förderten.
Maha Azzam von der britischen Denkfabrik Chatham House verweist außerdem auf die Rückendeckung durch die Generäle. "Sie waren erfolgreich, nicht weil sie Unterschriften sammelten und es Proteste gab, sondern weil sie die Unterstützung der Sicherheitskräfte und des Militärs hatten", so Azzam.
Militärs fühlten sich durch Proteste ermutigt
Das Wohlwollen scheint beidseitig. Tamarud-Initiatioren und Militärs haben sich gegenseitig einen Dienst erwiesen - auch wenn das wohl nicht die ursprüngliche Absicht der Bewegung war. Für die Generäle sind die jungen Aktivisten ein idealer Partner im Kampf gegen den politischen Islamismus. Die Massenproteste am 30. Juni, zu denen die Initiative parallel zu ihrer Unterschriftensammlung aufgerufen hatte, ebneten den Weg zum Militärputsch am 3. Juli. Erst nach den Demonstrationen gegen die Mursi-Regierung konnte das Militär vorgeben, im Willen des Volkes zu handeln, glaubt Azzam. "Das Militär wollte das Gefühl haben, dass es ein Mandat des Volkes hat", sagt die Ägypten-Expertin.
Die Rolle als selbst ernannte Volksstimme spielt Tamarud weiter, obwohl die Initiative mit der Absetzung Mursis ihr Hauptziel längst erreicht hat. Nun gehe es den Generälen darum, die Muslimbruderschaft als Organisation weiter zu schwächen, erklärt die Chatham-House-Forscherin Azzam. Auch dafür erhalten die Militärs Zustimmung aus der Bewegung. "Wir sind glücklich, dass die Streitkräfte ihre Rolle bei der Bekämpfung der Gewalt und des Terrorismus spielen, wie sie von der Muslimbruderschaft praktiziert werden", heißt es in einer Tamarud-Erklärung.
Tamarud-Vertreter als gefragte Ratgeber
Mittlerweile sind die führenden Aktivisten in ihrer Heimat so bekannt wie Spitzenpolitiker. Sie treten in Talkshows auf und lassen sich von Armee und Übergangsregierung um Rat fragen. Auch Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) sprach bei seinem jüngsten Besuch in Kairo mit Tamarud-Vertretern. Politikwissenschaftler Elmenshawy glaubt jedoch nicht, dass die neue politische Führung in Ägypten den jungen Aktivisten tatsächlich eine Mitsprache einräumt. "Da geht es nur um eine Gelegenheit für ein Foto mit ihnen und nicht um ernsthafte Entscheidungsprozesse", kommentiert der Washingtoner Fachmann.
Die Zukunft der Bewegung ist unklar. Ob sich führende Vertreter zur Gründung einer Partei entschließen, um nach Wahlen auch im Parlament mitzureden, ist noch nicht abzusehen. Wie lange Tamarud und die Generäle ähnliche Ziele verfolgen, ist für Elmenshawy ebenso offen. Irgendwann könnten unterschiedliche Vorstellungen über die Rückkehr zu einer demokratischen Regierung in den Vordergrund rücken. "Nun sind Flitterwochen, aber ich bezweifele, dass sie lange andauern", sagt Elmenshawy.