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Grass in der Kritik

Jan Bruck/bg/kis/dpa/rtr7. April 2012

Politiker, jüdische Organisationen und Journalisten: sie alle reagieren scharf auf Günter Grass’ Gedicht zum Konflikt zwischen Israel und dem Iran. Grass sei "unverantwortlich" und stelle die Tatsachen auf den Kopf.

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Der Literaturnobelpreisträger Günter Grass spricht am 05.04.2012 in seinem Atelier in Behlendorf (Foto: dpa)
Literaturnobelpreisträger Günter Grass zu seinem umstrittenen Israel-Gedicht in seinem Atelier in BehlendorfBild: picture-alliance/dpa

Der Schriftsteller Günter Grass wehrt sich gegen die massive Kritik an seinem Gedicht. Er sieht sich als Opfer einer Kampagne, die seinen Ruf dauerhaft schädigen solle. Grass äußerte sich gegenüber mehreren Medien. "Widerrufen werde ich auf keinen Fall", betonte er in einem Interview mit dem Fernsehsender 3sat.

Allerdings räumte er inzwischen ein, er würde sein Israel-Gedicht jetzt anders schreiben. Der "Süddeutschen Zeitung" vom Samstag (07.04.2012) sagte Grass: Er "würde den pauschalen Begriff 'Israel' vermeiden". Zudem würde er deutlich machen, dass er sich in erster Linie gehen die derzeitige israelische Regierung von Benjamin Netanjahu wende, erklärte er weiter. "Eine Politik, die gegen jede UN-Resolution den Siedlungsbau fortsetzt."

"Gefahr eines dritten Weltkriegs"

Zuvor hatte er betont, er habe mit seinem Gedicht "Was gesagt werden muss" dazu aufrufen wollen, dass sowohl Israel als auch Iran ihre Atomanlagen internationaler Kontrolle unterwerfen sollten. Der Nachrichtenagentur dpa sagte er, es drohe die Gefahr eines Dritten Weltkriegs, sollte Israel Iran angreifen. Im Norddeutschen Rundfunk kritisierte er die Medienberichterstattung und sprach in diesem Zusammenhang von einer gewissen "Gleichschaltung" der Meinungen.

Das Gedicht des 84 Jahre alten deutschen Nobelpreisträgers Günter Grass löst weiter heftige Empörung aus. "Die Atommacht Israel gefährdet den ohnehin brüchigen Weltfrieden", hatte der Autor am Mittwoch in einem in der "Süddeutschen Zeitung" veröffentlichten Gedicht mit dem Titel "Was gesagt werden muss" geschrieben. Kritiker werfen Grass vor, die Verhältnisse zu verdrehen. Nicht Israel, sondern das Regime im Iran bedrohe den Weltfrieden.

Der israelische Gesandte in Berlin, Emmanuel Nahshon, wirft Grass auf der Homepage der Botschaft in Berlin vor, er bediene antisemitische Klischees. "Was gesagt werden muss ist, dass es zur europäischen Tradition gehört, die Juden vor dem Pessach-Fest des Ritualmordes anzuklagen." Heute seien es nicht mehr Christen, sondern die Iraner, die das jüdische Volk angeblich auslöschen wollen. Nahshon betont, die Israelis wollten jedoch in Frieden mit den Nachbarn in der Region leben.

Blick auf die Titelseite der Süddeutschen Zeitung vom 04.04.2012 mit einem Foto des Schrifstellers Günter Grass
Grass macht wieder SchlagzeilenBild: picture-alliance/dpa

"Aggressives Pamphlet der Agitation"

Auch der Zentralrat der Juden, die wichtigste jüdische Organisation in Deutschland, kritisiert Grass scharf. Der Zentralratspräsident Dieter Graumann nannte den Text "ein aggressives Pamphlet der Agitation". Grass' "Verdrehungen und Verirrungen" bei der Dämonisierung Israels seien unverantwortlich. Das zeige, "dass ein herausragender Autor noch lange kein herausragender politischer Experte" sei.

In seinem Gedicht, das eher einem Leitartikel in Strophen gleicht, schreibt Grass, Deutschland könne mit der geplanten Lieferung eines weiteren U-Boots nach Israel mitschuldig an der Vernichtung des iranischen Volkes werden. Die Tatsache, dass Israel eine Kontrolle seines nuklearen Potenzials nicht zulasse und die Welt darüber schweige, nennt er eine "belastende Lüge", der er sich nicht länger unterwerfen wolle: "Ich schweige nicht mehr, weil ich der Heuchelei des Westens überdrüssig bin." Grass wehrt sich dagegen, dass Kritik an Israel vielfach mit Antisemitismus gleich gesetzt werde.

Gefährliche Verharmlosung

Zu den provokanten Thesen äußerte sich auch die deutsche Politikszene. Ohne Grass namentlich zu nennen, erklärte Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP), die Gefahren des iranischen Atomprogramms zu verharmlosen, hieße, den Ernst der Lage zu verkennen. Die Bundesregierung reagierte betont gelassen: "Es gilt in Deutschland die Freiheit der Kunst und es gilt glücklicherweise auch die Freiheit der Bundesregierung, sich nicht zu jeder künstlerischen Hervorbringung äußern zu müssen", ließ sie über ihren Sprecher verlauten.

Der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, warf Grass hingegen Einseitigkeit vor. Der Schriftsteller sei sicher kein Antisemit, aber in seinem Text gehe die Gefahr ausschließlich von Israel aus. Die Gefahren, denen sich der jüdische Staat gegenübersehe, würden hingegen verschwiegen und der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad verharmlost.

Schriftsteller und Literatur-Nobelpreisträger Günter Grass im Dezember 2012 in Lübeck
Provoziert er bewusst?Bild: dapd

"Belehrender Stil"

Auch in der deutschen Presse reißt die Debatte um Grass' Gedicht nicht ab. Der Mitherausgeber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", Frank Schirrmacher, sprach von einem "Machwerk des Ressentiments". Grass würde es sicher gerne sehen, dass nun eine Debatte entstehe, ob man als Deutscher Israel kritisieren dürfe. Er warf dem Schriftsteller vor, die ganze Welt als Opfer Israels darzustellen, damit Grass mit seiner eigenen Vergangenheit Frieden machen könne.

Selbst Schriftstellerkollegen gehen zu Grass auf Distanz. Die Berliner Schriftstellerin Tanja Dückers sagte der DW in einem Interview: "Das ist ein belehrender Stil, mit dem Grass schon seit langer Zeit in der Öffentlichkeit auftritt. Und das ist auch ein Stil, den ich insgesamt für Künstler nicht angemessen finde." Schriftsteller seien keine Wissenschaftler, sondern würden subjektive Meinungen in der Öffentlichkeit vertreten.

Recht auf Meinungsfreiheit

In der aktuellen Diskussion gibt es aber auch Stimmen, die Grass in Schutz nehmen. "Man muss ein klares Wort sagen dürfen, ohne als Israel-Feind denunziert zu werden", sagte der Präsident der Akademie der Künste, Klaus Staeck. Grass habe das Recht auf Meinungsfreiheit. Diese Sorge teile er mit einer ganzen Menge Menschen.

Das US-Formular des Kriegsgefangenen Günter Grass als Angehöriger der Waffen-SS wird hochgehalten
Dieses US-Formular beweist Grass' Zughörigkeit zur Waffen-SSBild: AP

Grass meldete sich in der Vergangenheit immer wieder auch als politischer Autor zu Wort, weswegen er in Deutschland gerne als moralische Instanz bezeichnet wurde. 2006 musste Grass dann zugeben, als 17-Jähriger Mitglied von Adolf Hitlers Waffen-SS gewesen zu sein. Dies brachte ihm, der sich immer kritisch mit der deutschen Nazi-Vergangenheit auseinandergesetzt hatte, heftige Kritik ein. Seine moralische Integrität verblasste.