Arnon Grünberg und sein neuer Roman "Der Mann, der nie krank war".
15. November 2014Ein Schweizer Architekt soll im Irak eine Oper bauen. Das geht schief. Und auch ein zweiter Auftrag, in Dubai eine Nationalbibliothek zu errichten, steht unter einem unglücklichen Stern. Arnon Grünberg, vielfach ausgezeichneter und in alle Weltsprachen übersetzter Autor, schickt seinen Helden mitten hinein ins Schlamassel. Der von Naivität und gutem Willen angetriebene junge Mann gerät in die Wirren der Auseinandersetzungen zwischen den Religionen und Staaten des Nahen und Mittleren Osten. Grünberg war selbst, auch als Journalist, mehrfach in Ländern wie Irak und Afghanistan. Vor kurzem stellte der niederländische Schriftsteller sein neues Buch in Deutschland vor.
Deutsche Welle: Ist es richtig, wenn man Ihren Roman als ein Buch über den "Clash of Civilizations", den Zusammenprall der Kulturen, bezeichnet?
Arnon Grünberg: Das ist nicht das einzige Thema, aber es spielt schon eine Rolle. Die Hauptfigur, ein Schweizer Architekt, der in den Irak geht, um eine Oper zu bauen, versteht einfach nicht, wohin sie geht. Das ist ein Grund dafür, dass sein Vorhaben schief geht. Insofern ist es eher ein "Clash der Missverständnisse" als ein "Clash of Civilizations".
Sie haben einen Architekten gewählt. Steht der auch stellvertretend für andere Personen oder gar für ganze Staaten?
Das ist vielleicht zu viel gesagt. Aber ich glaube, dass das, was er erlebt, aus einer Naivität entsteht. Das ist eine Naivität, die ich selbst erlebt habe in Ländern wie Irak. Und diese Naivität ist auch Politikern nicht fremd.
Wie ist diese Naivität zu erklären, also auch die der USA, des Westens, die sich im Nahen und im Mittleren Osten engagieren?
Da gibt es verschiedene Gründe. Einerseits entsteht die Naivität durch einen klassischen Humanismus, aus der Idee, dass man Licht bringen soll in den Rest der Welt. Das ist immer, wie wir auch durch den Kolonialismus wissen, eine schwierige Sache.
Andererseits kann man diese Naivität nicht erklären, ohne die Machtverhältnisse zu sehen, die Machtpolitik, die betrieben wird aus geostrategischen Überlegungen. Die Naivität ist ja auch eine hervorragende Ausrede, um etwas zu machen. Man kann ja immer hergehen und sagen, "Wir gehen da hin, um das Land aufzubauen und die Demokratie zu bringen". Aber vielleicht geht es ja auch um andere Sachen.
Es gibt immer verschiedene Akteure und Mächte, die da mitmachen. Der Westen ist ja nicht der einzige, der sich da einmischt. Und dann wird es fast zu einem klassischen Krieg. Also, die Naivität ist einerseits eine richtige Naivität, die nicht zu verstehen ist ohne Idealismus, andererseits ist es auch einfach eine Ausrede: Naiv zu sein, ist auch bequem.
Worum geht es also in Wirklichkeit? Auch um Öl, die Bodenschätze, die Machthemisphäre, die man sich sichern will?
Das ist ein Grund. Aber der erklärt nicht alles. Das wäre zu einfach. Es geht ja auch um den Iran, den ganzen Nahen Osten, um den Einfluss in der Region, um viele verschiedenen Sachen. Es geht nicht nur um Öl, aber Öl spielt immer noch eine wichtige Rolle in der Region.
Sie haben einen Architekten als Hauptprotagonisten gewählt. Warum gerade ein Architekt, der eine Oper baut? Da kommen wir zum Thema Musik. Sie haben einmal gefragt, was es denn nutze, wenn man dort eine Musikschule errichtet und nebenan gehen die Bomben hoch. Geht es da auch um die Ohnmacht der Kunst?
Um die Ohnmacht der Kunst, die Überschätzung von Kunst und das Setzen falscher Prioritäten. Kunst kann man nur genießen, wenn es eine Basis-Sicherheit gibt. Ohne diese Sicherheit ist es sehr schwierig, sich für die Kunst einzusetzen. Auf der anderen Seite habe ich in Irak und Afghanistan auch erlebt, dass dieser Glaube, das Kunst etwas Positives hervorbringen kann, existiert. Den gibt es dort immer noch.
Aber man muss Prioritäten setzen. Man kann nicht mit Kunst anfangen und denken, die anderen Sachen kommen dann schon. Man kann ja auch nicht einfach nur eine Wahl organisieren und denken, dann kommt die Demokratie von alleine.
Man muss dann natürlich auch die Frage stellen, wie ist der richtige Weg? Wie sehen die Alternativen aus?
Das ist sehr schwierig. Die Alternative ist, weniger tun, nichts tun. Ist das militärische Eingreifen wirklich die Alternative? Ist eine Armee, sind Soldaten wirklich das richtige Mittel, um ein Land aufzubauen, um Demokratie zu bringen? Ein Soldat ist doch eher jemand, der einen Krieg führt. Solche Fragen sollte man sich stellen. Und man sollte sich auch fragen, was man bewirken kann mit Bomben und Soldaten.
Ich glaube, dass Obamas Strategie gar nicht so falsch war in den letzten Jahren, als er eingesehen hat, dass dieses unheimlich teure und verlustreiche Engagement mit den vielen getöteten Zivilisten und Soldaten eigentlich nicht so viel gebracht hat, dass er gedacht hat, wir sollten es vielleicht mal anders probieren.
Aus verschiedenen Gründen hat er jetzt wieder auf das Militär zurückgegriffen, auch weil die irakische Armee, die ja mit Hilfe der USA aufgebaut worden ist, völlig zerfallen ist. Auch die Peschmerga (Streitkräfte der autonomen Region Kurdistan, Anmerk. der Redaktion) ist ja nicht wirklich in der Lage, sich zu Wehr zu setzen gegen den IS ("Islamischer Staat"). Das ist ja eigentlich unglaublich, wenn man sich überlegt, wie viel Geld da rein gepumpt wurde, um die irakische Armee wiederaufzubauen. Und wenn einem dann bewusst wird, wie viel Waffen aus dieser Armee in die Hände des IS gefallen sind. Das ist eine Realität, die ist so absurd, das hätte sich ein Romanschriftsteller kaum ausdenken können. Aber noch einmal: Das, was Obama gemacht hat, nämlich sich nicht in Syrien zu engagieren, dort nicht einzugreifen, das war richtig, das war keine Schwäche. Kein Fehler.
Man hat ja auch den Eindruck, Obama wird auch durch die Propaganda des IS in die Offensive gedrängt, z.B. mit den Videos von Enthaupteten…
Die Propaganda ist einfach sehr effektiv, so wie ein terroristischer Anschlag auch sehr effektiv ist - in psychologischer Hinsicht. Es gibt doch kaum einen terroristischen Anschlag, der eine wirkliche Bedrohung für ein Land darstellt. Das war auch der 11. September 2001 nicht, das waren auch all die Anschläge in Israel nicht. Aber die psychologischen Effekte sind groß. Dabei vergisst man, dass das nicht vom IS erfunden worden ist. Die Roten Khmer (in Kambodscha, Anmerk. der Redaktion) haben das zum Beispiel auch schon so gemacht. Das Bild einer schrecklichen Exekution, das wirkt und ist effektiv.
Arnon Grünberg: Der Mann, der nie krank war, Kiepenheuer & Witsch, 280 Seiten, ISBN 978-3-452-04660-1.