Berlin für Feinschmecker
25. Februar 2015Vorneweg möchte ich eins klarstellen: Ich bin keine Feinschmeckerin. Meine Großmutter sagte früher gerne, eine gut ausgetüftelte Pille wäre wohl der beste Weg, dem Körper die Nährstoffe zu geben, die er braucht. Mag sein, dass ich etwas von dieser Haltung geerbt habe. Nicht, dass ich gutes Essen nicht zu schätzen weiß, mich lassen nur die ständig wechselnden Food-Trends kalt.
Lange Zeit fuhr ich mit dieser Haltung in Berlin ganz gut. Das einzige, was ein gutes Café hier von einem schlechten unterschied, war die Frage, ob bis spätnachmittags Frühstück serviert wird, oder nicht. Aber die Zeiten ändern sich ja bekanntlich.
Im Tal der kulinarisch Ahnungslosen
Das merke ich seit einiger Zeit immer dann, wenn ich mich mit jemandem zum Abendessen verabrede und wir uns auf ein Lokal einigen wollen. Ich schlage einen der vielen Fressbunker vor, die ich seit 2005 frequentiere und ernte dafür nur ein Stirnrunzeln. Danach kann ich nur noch mit Offenheit punkten. Denn ich komme immer gern mit, egal wohin. Und sobald ich am Tisch sitze und die Karte studiere, sehe ich ein, dass ich tief im Tal der kulinarisch Ahnungslosen sitze.
Vor diesem Hintergrund erscheint das "eat! Berlin"-Feinschmeckerfestival nicht gerade als idealer Programmpunkt eines regnerischen Februar-Abends. Aber vielleicht wirkt so ein Gourmet-Treffen ja wie ein Weckruf für jemanden, der von unkomplizierter Nahrungsaufnahme durch Zauberpillen träumt…
Das einwöchige Festmahl wurde 2011 ins Leben gerufen. Berlins Spitzenköche veranstalten unter dem Banner von eat! Berlin Gourmet-Abende in ihren jeweiligen Restaurants. Ich war auch eingeladen - leider nicht zum Schlemmen, sondern zu einer Podiumsdiskussion mit dem Titel "Sterneköche, Kritikerpäpste, Food-Pioniere, Biohändler - Wer bestimmt die kulinarischen Trends?". Sie fand im Palazzo Spiegelpalast statt, im Osten Berlins. In unmittelbarer Nachbarschaft neuer, seelenloser Bauten wie der O2 World Berlin. Aber das ist ein Thema für sich. Vielleicht.
Ich kam als Letzte an einen Tisch, um den bereits sieben andere Gäste saßen. Sie begrüßten mich mit einem vorsichtigen Lächeln eisiger Stille. Das war mir aber völlig egal, denn die edel gewandeten Menschen, die Liveband, die von einer prächtigen Stoffdecke verhangene Saaldecke und das Amuse-Gueule, das von als Pan-Am-Stewardessen verkleideten Kellnerinnen dargereicht wurden, waren spannend genug.
Ahnungslos unter Stars
Das Gericht bestand aus einem kleinen Häufchen geriebener Karotten, einem Klecks Soße, einem Teigbeutelchen, Erdnussbröseln, einer Brennnessel (glaube ich jedenfalls) und einer Veilchenblüte. Vielleicht war es auch eine Primel. Ich wollte gerade die Essstäbchen aufheben, die mir uneleganterweise entglitten waren, als sich meine rechte Sitznachbarin vorstellte: "Cathrin Brandes". Sie gab mir lächelnd die Hand.
Wüsste ich mehr über Berlins Food-Szene, hätte ich wohl anders reagiert. Aber so war es für mich nur ein Name wie jeder andere.
War es aber nicht. Cathrin Brandes ist eine bekannte Berliner Food-Bloggerin und Autorin. Sie erklärte mir, dass links von mir Hendrik Otto saß, Chefkoch des Adlon Hotels. Mir gegenüber saß Sonja Frühsammer, die erste Köchin Berlins mit einem Michelin-Stern. Nur wenige Meter entfernt unterhielt sich Tim Mälzer, der bekannte deutsche TV-Koch.
Ich hing also, ohne es geahnt zu haben, mit den kulinarischen Superstars der deutschen Hauptstadt herum. Mir fiel auf, dass einige von ihnen im Gegensatz zu mir auf den Gruß aus der Küche verzichteten. Ob das mit der Qualität des Häppchens zu tun hatte oder einfach ein Verhaltenskodex der gekrönten Häupter der Haute Cuisine war, weiß ich nicht.
Berlin als Gourmet-Stadt?
Denn bevor ich nachfragen konnte, standen fast alle meine Sitznachbarn auf, um sich auf die Bühne zur Podiumsdiskussion zu begeben, wegen der ich ja eigentlich gekommen war. Es war erhebend und erhellend zugleich, die Crème de la Crème der Berliner Food-Szene mit so viel Selbstvertrauen und Liebe über die Küche ihrer Stadt sprechen zu hören. In den zwei Jahrzehnten, die ich hier nun schon lebe, habe ich die deutsche Hauptstadt nie als Ort empfunden, in dem Feinschmeckertum überleben, geschweige denn blühen kann. Das sagt wahrscheinlich ebenso viel über mich aus wie über alles andere.
Bernhard Moser, der Festivalleiter von "eat! Berlin", versichert mir, dass ich mit meiner Fehlvorstellung nicht die einzige bin. "Berlin hat das Berghain und wird immer als cool und hip betrachtet, aber das ist sehr eindimensional und ärgert mich," sagt er. "Wir haben Köche von Weltklasse hier und Menschen, die im Leben angekommen sind und auch Touristen, die bei Louis Vuitton einkaufen und gut essen wollen, also müssen wir das aktuelle Image der Stadt ändern." Die ständig wachsende Zahl an Designerboutiquen sei ein Beweis für seine Theorie.
Ich will auch gar nicht die Expansionsmöglichkeiten für teurere Restaurants bezweifeln, aber ich denke nicht, dass Berlin dazu bereit ist, seinen Partyfummel für einen Luxus einzutauschen, den die Mehrzahl seiner Einwohner sich wohl niemals leisten können wird. Berlin ist vielleicht nicht so arm, wie es sein Ex-Bürgermeister Klaus Wowereit gerne darstellt, aber es bleibt die Heimat eines harten Kerns von Menschen, die nichts davon halten, in ein Restaurant zu gehen und ein Mittagsmenü ohne Getränk zu bestellen, weil beides zusammen ihr Budget sprengen würde.
Und die Tatsache, dass sich Restaurantbesitzer an diese Situation angepasst haben, obwohl es nicht ihrer Vorstellung von Gewinnmargen entspricht, ist eines der Dinge, die ich an dieser Stadt mag. Das und die Tatsache, dass viele Cafés immer noch Frühstück bis 15.00 Uhr servieren.