Goodbye Berlin-Tegel
2. Juni 2020Es ist still geworden am Flughafen Berlin-Tegel. 2019 wurden hier noch 24 Millionen Passagiere abgefertigt. Jetzt sind die Zufahrtsstraßen frei und die Parkplätze leer. Vögel zwitschern, der Himmel ist blau und ganz ohne die für Flugzeuge typischen Kondensstreifen. Die Corona-Pandemie hat den Flugbetrieb auch in Berlin massiv einbrechen lassen. Das markante, sechseckige Hauptgebäude des Flughafens ist seit Wochen geschlossen, die wenigen verbliebenen Passagiere werden in einem Nebengebäude abgefertigt.
Mal sind es sechs, mal zehn Flugzeuge, die noch täglich am Airport TXL im Nordwesten der Stadt abheben. Tina Eisel freut das. Die Berlinerin wohnt im angrenzenden Stadtteil Wedding. Er liegt in der dicht besiedelten Einflugschneise des Flughafens. Dort, wo die riesigen Aluminium-Vögel noch im Februar im Zwei-Minuten-Takt knapp über die Köpfe der Bewohner donnerten und man immer das Gefühl hatte, sie mit den Händen greifen zu können. "Der Lärm, der Dreck sind weg und ich werde morgens nicht mehr um sechs Uhr aus dem Bett geholt, wenn die ersten Maschinen abheben", beschreibt Eisel ihr neues Lebensgefühl.
Zu klein für die Hauptstadt
Frankfurt, München, Düsseldorf, Berlin-Tegel: Der Internationale Berliner Verkehrsflughafen "Otto Lilienthal" hatte die vierthöchsten Passagierzahlen in Deutschland. Berlin-Schönefeld, der alte DDR-Airport, kam 2019 auf elf Millionen Passagiere und lag damit auf Rang sieben. Zusammen wurden an den beiden Berliner Flughäfen im vergangenen Jahr rund 35 Millionen Fluggäste abgefertigt.
Eine gewaltige Zahl. Geplant und gebaut wurde der Airport Berlin-Tegel zwischen 1965 und 1974 für ursprünglich 2,5 Millionen Passagiere. Durch diverse Anbauten in den Jahren nach der deutschen Wiedervereinigung wuchs die Kapazität auf 11,5 Millionen Passagiere. Tatsächlich musste TXL zuletzt mehr als doppelt so viele bewältigen.
Flughafen der kurzen Wege
Der Flughafen Berlin-Tegel war der Startschuss für die Karriere des Hamburger Architekten Meinhard von Gerkan. Der Bau fußte auf seiner Diplomarbeit, mit die er 1964 an der Technischen Universität Braunschweig seinen Abschluss gemacht hatte. "Das Konzept des Flughafens Berlin-Tegel - laut weltweit nahezu übereinstimmender Einschätzung noch heute der am besten funktionierende Airport - bestand die ersten Jahre aus reinen Aviation-Flächen", beschrieb von Gerkan 2013 seine Arbeit. "Von der Taxivorfahrt bis zum Check-in-Schalter waren es 20 Meter, vom Counter durch den Warteraum bis zur Flugzeugtür noch 15 Meter. Das ist für einen Vielflieger der einzig wahre Komfort."
Bei seiner Eröffnung 1974 galt der Bau als modernster Flughafen Europas. Es war ein "Drive-in-Airport": Nur etwa 20 Minuten dauerte die Autofahrt aus der West-Berliner City hierher. Durch die dezentrale Verteilung der Schalter, so hieß es, könnten Passagiere noch fünf Minuten vor dem Start abgefertigt werden. Tegel, erbaut für rund 450 Millionen D-Mark, das war so etwas wie ein Bahnhof für Flugzeuge. Kein Shoppingcenter mit angeschlossenem Flugbetrieb.
Wie alles begann
Es waren die Franzosen, die 1960 mit der Air France erstmals zivile Linienflüge nach Berlin-Tegel anboten. Die Strecken: Paris - Frankfurt - Berlin, Düsseldorf - Berlin und München - Berlin. Davor war Tegel ein französischer Militärflughafen. 1948 hatte ihn die Besatzungsmacht auf den zerbombten Überresten eines Raketentestfelds und Truppenübungsplatzes der NS-Luftwaffe errichten lassen, um während der sowjetischen Blockade West-Berlins die Luftbrücke zur Versorgung der Bevölkerung zu unterstützen. In nur 90 Tagen entstand mit knapp 2,5 Kilometern die damals längste Start- und Landebahn Europas.
Diese Piste war es auch, die Tegel später für die größeren Düsenflugzeuge attraktiv machte. 1950 war der zivile Luftverkehr von und nach West-Berlin am Flughafen Tempelhof konzentriert worden. Doch zum einen diente er der amerikanischen Besatzungsmacht auch als Militärflughafen und zum anderen waren die Start- und Landebahnen für die größer werdenden Verkehrsflugzeuge zu kurz. Nach der Air France nutzte auch die amerikanische Fluglinie Pan Am ab 1964 Tegel: Für einen regelmäßigen Direktflug nach New York.
Bis zur Wiedervereinigung war Tegel das Tor zur Welt
Während des Kalten Krieges durften in West-Berlin nur Fluggesellschaften der drei Besatzungsmächte USA, Großbritannien und Frankreich landen. Auch die Piloten durften nur aus diesen Ländern kommen. Eine Ausnahme galt allein für das Flugbegleitpersonal. Die deutsche Lufthansa dufte erst 1990, nach der deutschen Wiedervereinigung wieder in Berlin landen.
Seit dem Umzug von Bundestag und Bundesregierung nach Berlin 1999 wurden in Tegel auch die Mächtigen der Welt abgefertigt. Auf dem militärischen Teil des Flughafens entstand ein Regierungsterminal, an dem Staatsgäste empfangen und verabschiedet werden und die Bundeskanzlerin und ihre Minister starten und landen. Amerikanische Präsidenten fuhren aber auch in Berlin-Tegel natürlich stets mit dem Auto direkt zur "Airforce One" vor.
Im Schatten des BER
So richtig repräsentativ ist das Gebäude des Regierungsterminals nicht. Schließlich wurde es zu einem Zeitpunkt errichtet, als die Idee für einen neuen Hauptstadtflughafen vor den Toren Berlins bereits geboren war. 1996 beschlossen Berlin, Brandenburg und der Bund, dass die Hauptstadtregion nur noch einen Flughafen haben soll, und zwar in Schönefeld in Brandenburg. Gebaut unmittelbar neben dem alten DDR-Flughafen.Die Errichtung des BER ist eine Geschichte voller Pleiten, Pannen und Skandale. Bereits siebenmal verschoben soll die Eröffnung statt 2011 nun Ende Oktober 2020 stattfinden.
Bis dahin werden Berlin-Reisende in Schönefeld abgefertigt. Niemand rechnet damit, dass der ab dem 15. Juni offiziell nur temporär geschlossene Flughafen Berlin-Tegel bis zur Eröffnung des BER nochmal gebraucht werden wird. Auch nicht die Verantwortlichen des geplanten Forschungs- und Industrieparks, der in den kommenden Jahren auf dem Flughafengelände gebaut werden soll. "Wir scharren mit den Hufen", sagt der Leiter der Projektgesellschaft. "Wir können es kaum erwarten, auf das Gelände zu kommen."
Bequem war er, der Flughafen TXL
200.000 Euro Betriebskosten täglich kann die Flughafengesellschaft durch die Schließung von Tegel einsparen. Doch es gibt eine ganze Reihe Berliner, die ihrem TXL mehr als nur eine Träne hinterher weinen. Schließlich verliert Berlin nun seinen letzten Airport innerhalb der Stadtgrenzen. In einem Volksentscheid sprach sich 2017 eine Mehrheit der befragten Hauptstädter für den Erhalt des Flughafens aus. Die Berliner FDP startete zuletzt sogar noch eine Kampagne, um das Ende von Tegel zu verhindern.
Die in der Einflugschneise wohnende Tina Eisel kann das verstehen. "Jetzt muss ich von Schönefeld fliegen und das ist am anderen Ende der Stadt", erklärt sie. "Das Taxi dorthin kostet mindestens 100 Euro, was mich vorher knapp zehn Euro gekostet hat." Doch das ist ihr die neu gewonnene Lebensqualität wert. "Ich wusste gar nicht, dass ich in einem Vogelparadies lebe", sagt sie und lacht.