Baumschutz und Lebensunterhalt
12. Mai 2015
Der Zusammenbruch der Sowjetunion Anfang der 1990er-Jahre und ein darauf folgender, lang andauernder Krieg mit Aserbaidschan, trieb Armenien immer tiefer in eine Energiekrise hinein. Die Menschen waren verzweifelt, Brennstoffe wurden immer knapper. Am Ende verbrannten sie alles, Parkbänke, die eigenen Möbel, Bücher und Bäume.
Mehr als 20 Jahre später ist illegales Holzfällen noch immer ein Problem in Armenien. Das geschlagene Holz wird als Brennstoff verwendet und oft auch als lukratives Exportgut verkauft. Vor einhundert Jahren war noch ein Viertel des bergigen Landes mit Wald bedeckt, heute sind es kaum mehr acht Prozent der Fläche.
"Leider haben sich staatliche Stellen noch immer nicht dem Problem angenommen. Sie kümmern sich nicht um Aufforstung und Waldmanagement. Die Konsequenz daraus: Der Waldbestand nimmt weiter ab", sagt Tom Garabedian, Direktor der gemeinnützigen Organisation #link:http://www.armeniatree.org/:Armenia Tree Project# (ATP).
Dabei sind die Wälder ein Schatz der Biodiversität. Hier gibt es mehr als 120 verschiedene Arten von Obst- und Nussbäumen, wie Pistazien und Mandeln. Und natürlich haben Bäume noch andere Vorzüge. Sie halten den Boden zusammen und schützen vor Erosion. Darüber hinaus helfen sie bei der Wasserzirkulation und reinigen die Luft.
Je mehr Wald verschwindet, desto weniger gut funktioniert das System. Dagegen geht die ATP genauso vor, wie eine Anzahl anderer armenischer Organisationen, die sich dem Erhalt des Waldes und der Arbeit mit den Gemeinden vor Ort verpflichtet haben.
Alternative Möglichkeiten für einen Lebensunterhalt
Knapp 35 Prozent der drei Millionen Armenier leben unterhalb der Armutsgrenze, #link:http://data.worldbank.org/country/armenia:ermittelte die Weltbank im Jahr 2013#. Viele von ihnen leben in abgeschiedenen, ländlichen Gebieten, am Rande der Wälder.
Karen Aghababyan unterrichtet Umwelt-Themen an der American University of Armenia. Er leitet gleichzeitig die Organisation Towards Sustainable Ecosystems (TSE). Es gibt genügend Möglichkeiten, ein Einkommen für diese Menschen zu schaffen, sagt sie, ohne dass Bäume gefällt werden müssen.
Seit ihrer Gründung 2014 arbeitet die TSE an einem Programm, das Dorfbewohner darin schult, sich auf anderen Wegen ein Einkommen zu sichern. Dabei geht es um den Verkauf selbst produzierter Produkte, etwa aus Beeren, Honig oder Pilzen. Sogar Souvenirs aus Holz sind denkbar, allerdings hergestellt aus alten Wurzeln oder Ästen. Der Plan sieht auch vor, Ökotouristen in die Region zu locken, die Interesse an seltenen Vogel- und Schmetterlingsarten haben.
"Wenn es gelingt, alternative Einnahmequellen zu erschließen, wird es für die Menschen hier auch möglich sein, alternative Energiequellen zu nutzen, Erdgas zum Beispiel", sagt Aghababyan. "Die Leute haben dann einfach keinen Grund mehr, den Wald abzuholzen, vielmehr werden sie alles daran setzen, ihn zu erhalten."
Der Schlüssel zur Gemeinschaft
Die Organisationen verbinden Naturschutz auch mit Wiederaufforstung. 2014 hat ATP, mit Hilfe Freiwilliger vor Ort und ihren Mitarbeitern, Obstbäume gepflanzt, die insgesamt etwa 200.000 Kilogramm Früchte eingebracht haben. Den Ertrag haben die Gemeinden entweder behalten oder auf Märkten verkauft, sagt Garabedian.
2015 werden freiwillige Helfer an die 200.000 Eichen, Kiefern und Eschen pflanzen, verteilt auf 16 Hektar Land in der armenischen Tashir-Region, nahe der Grenze zu Georgien. Außerdem werden überall im Land sogenannte Gemeinschaftswälder eingerichtet, die in etwa 10.000 Bäume auf fünf Hektar Land umfassen sollen.
Die enge Einbindung der Gemeinden und ihrer Vorsteher oder Bürgermeister bei diesen Projekten ist der Schlüssel, sagt Garabedian. Ohne deren Unterstützung würde ATP immer Gefahr laufen, dass beispielsweise Schäfer ihre Herden in den Gebieten weiden lassen, in denen gerade junge Setzlinge gedeihen sollen. Das würde den Wald zerstören, bevor er überhaupt wachsen konnte.
"Um sicherzustellen, dass unser Aufforsten effektiv ist, brauchen wir die Unterstützung der Gemeinden schon bevor wir ein Projekt beginnen", sagt Garabedian. "Wir haben inzwischen mit einer so großen Zahl von ihnen in ganz Armenien gearbeitet, so dass wir ganz gut einschätzen können, wie ernst sie ihr Engagement meinen."
Zu 100 Prozent erfolgreich ist die Wiederaufforstung allerdings nicht, selbst mit der Unterstützung aus der Bevölkerung. Von den 4,5 Millionen Bäumen, die die Organisation seit 1994 gepflanzt hat, stehen noch 65 bis 85 Prozent.
ATP arbeitet daran, diese Zahl zu erhöhen. Dazu kehrt die Organisation immer wieder an die Pflanzorte zurück und prüft, was funktioniert hat, und was nicht. Darüber hinaus arbeite man an Techniken, die verhindern sollen, dass junge Setzlinge von Unkraut oder anderen Pflanzen überwuchert werden, so Garabedian.
Staatlicher Eingriff: mal gut, mal schlecht
Auch die armenische Regierung hat schon versucht, gegen Abholzung und Entwaldung vorzugehen. 2007 etwa eröffnete sie das staatliche Forest Monitoring Center, hier sind sieben Teams von Freiwilligen dabei, den Wald zu überwachen. Dazu vergleichen sie Satellitenbilder, auf denen sie kontrollieren, ob sich der Waldbestand über Gebühr verändert hat.
Die Teams planen auch legale Abholzungen und überwachen deren Einfluss auf die Artenvielfalt vor Ort. Sie entscheiden dabei nicht nur, wie viele Bäume gefällt werden, sondern auch, wie und wo sie abtransportiert werden dürfen. Damit sollen beispielsweise in bestimmten Flecken des Waldes natürliche Unregelmäßigkeiten simuliert werden oder erkennbar sein, was im Wald passiert, wenn alte Bäume absterben und neuen Pflanzen Platz machen.
Trotzdem bleiben die offiziellen Strafen für illegales Holzschlagen niedrig. Und auch die Kapazitäten der staatlichen Institutionen, sie zu vollstrecken, sind unzureichend, sagt Aghababyan. Das illegale Abholzen nimmt deshalb auch zu. Laut einem Bericht der armenischen Behörden wurden 2114 Bäume im Jahr 2014 gefällt, mehr als in den beiden Jahren zuvor.
Aktivisten werfen der Regierung vor, selbst hinter illegalen oder zumindest falsch bewerteten Waldprojekten zu stecken. Ein Dorn im Auge vieler ist das Armenian Copper Program (ACP), das kürzlich verabschiedet wurde, und über einen Zeitraum von 24 Jahren erlaubt, Kupfer aus den Teghut-Bergen zu gewinnen. Dem Abbau fallen zwangsläufig alte Baumbestände zum Opfer.
Die Regierung habe einen #link:http://www.ecolur.org/en/news/forest/ra-ombudsmans-report-illegal-tree-felling-in-2014-more-than-past-two-years/7233/:Protestbrief von armenischen und internationalen Organisationen# einfach ignoriert. Unterschrieben hatten auch die ATP und das Armenian Environmental Network (AEN). Der Brief habe eine klare Aussage zu den Folgen des Kupferabbaus für die Umwelt gefordert, so die Geschäftsführerin des AEN, Serda Ozbenian.
"Was wir brauchen, ist eine bessere Strafverfolgung", sagt Ozbenian. "Es gibt zwar mehr Druck auf die Regierung, illegalen Holzeinschlag und Korruption anzugehen, aber dieser Druck muss konstant sein."
Umweltbildung ist ein Anfang
Die Bedeutung des Waldes muss klar gemacht werden, fordert Ozbenian. Das ist der erste Schritt, den Wald tatsächlich zu schützen.
Das muss möglichst früh geschehen. In den meisten Klassenzimmern Armeniens findet kaum Umweltbildung statt, besonders nicht, wenn es um die Auswirkungen des Abholzens geht. Die jüngste Generation habe keine Ahnung, wie verheerend die Auswirkungen einer Energiekrise sein könnten.
AEN hat vor Kurzem einen Leitfaden für Lehrer veröffentlicht, der darauf zielt, in die Natur zu gehen und sie zu erleben. Der Unterricht soll weg vom didaktischen Ansatz des "Ich unterrichte, ihr hört zu", so Ozbenian.
"Zum Glück scheinen viele Lehrer für diese Methode offen zu sein, das macht wirklich Mut", sagt sie. "Es ist, wie mit vielen anderen Dingen hier. Das Problem ist fehlendes Engagement."