Retter am Ground Zero
9. August 2011Es ist ein typisch amerikanisches Haus in einem typisch amerikanischen Ort. Der Rasen ist satt grün, der Zaun weiß, vor dem Eingang klingelt ein Glockenspiel. Coco, die dreijährige gelbe Labradordame, lässt sich sofort das Fell kraulen. Sie möge Menschen, sagt Glen Klein, ihr Besitzer. Der pensionierte Polizist ist bereit, über die vergangenen zehn Jahre zu reden. Seine Frau Carol dagegen lehnt brüsk ab, mit Journalisten zu sprechen. Sie hat ihre Gründe: "Als Carol beschlossen hatte, ihre Niere zu spenden, haben alle Nachrichtensender angerufen und wollten mit ihr sprechen", erklärt Glen stellvertretend für seine Frau. "Aber sie hat gesagt: 'Deswegen mache ich das nicht'."
Das Interesse der Journalisten war groß, denn der Empfänger der Niere war nicht irgendwer. "Es war mein Freund und Kollege, der krank wurde, weil er am Ground Zero gearbeitet hat", sagt Klein. Er und sein Kollege waren Mitglieder der ESU, einer Sondereinheit der New Yorker Polizei. Sie erreichten Ground Zero, kurz bevor der zweite Turm zusammenstürzte.
Giftigen Staub eingeatmet
Neun Monate war er danach im Einsatz, vom ersten bis zum letzten Tag, bis die verseuchten Trümmer alle weggeräumt waren. 800 Arbeitsstunden oder mehr, irgendwann hat Glen Klein aufgehört zu zählen. Weil er dem Sondereinsatzkommando angehörte, hatte er eine Gasmaske dabei am 11. September 2001. Das habe ihm vermutlich das Schlimmste erspart, sagt Glen Klein. Danach bekamen sie Atemschutzgeräte, aber die Filter hätten ihre Lungen nicht genügend vor dem feinen giftigen Staub geschützt.
Glen Klein wurde krank, bekam Magen-Darm-Probleme, er leidet immer noch darunter. "Wir haben in Bereichen gearbeitet, von denen es hieß, dass man dort ohne Gefahr atmen könne, aber das stimmte nicht", davon ist er heute überzeugt. Die Regierung habe sie belogen, "denn sie wollten Ground Zero so schnell wie möglich wieder zum Laufen bringen, wegen der Börse und so".
Vergebliche Suche nach den Freunden
Am 11. September hatte Glen Klein keinen Dienst, aber als er von der Katastrophe hörte, meldete er sich sofort zum Einsatz. "Ich hörte den Funkverkehr und erinnere mich, dass die Polizisten schrien: 'Bleibt von den Gebäuden weg, da fallen Körper herunter, die Menschen springen'." Er dachte nur: "Oh mein Gott, was ist da los? Was zum Teufel ist da los?" Glen Klein erreichte Ground Zero, bevor der zweite Turm zusammenstürzte. Da erfuhr er, dass 14 seiner Kollegen unter den Trümmern begraben waren. Er kannte sie, hatte viele Jahre mit ihnen zusammengearbeitet. So etwas schweißt zusammen. Sie waren wie eine große Familie.
Die Vermissten waren wie Glen gesund und durchtrainiert, ausgebildet für Rettungseinsätze, geübt darin, Menschen aus Notlagen zu befreien. Glen schöpfte Hoffnung: "Ich dachte, wenn das jemand überlebt, dann unsere Jungs." Glen und seine Kollegen fingen an zu suchen. Doch außer zwei Polizisten konnten sie keine Überlebenden bergen. Glen fand einen Stiefel, in dem noch ein Fuß steckte, eine Hose, die er nach Papieren durchsuchte. "Erst acht oder zehn Tage später wurde mir klar, dass das kein Rettungseinsatz mehr war."
Keine Kraft mehr
2003, nach 20 Jahren im Polizeidienst, ließ Glen Klein sich pensionieren. Der Karatekämpfer und Langstreckenläufer war physisch und psychisch am Ende. Er litt unter Antriebslosigkeit und Asthma, stritt sich mit seiner Frau, wurde aggressiv und bekam Alkoholprobleme. 2004 suchte er psychologische Hilfe. Die Diagnose: PTSD. Glen Klein konnte sich das nicht erklären: "Ich habe den Psychologen gefragt, wieso ich posttraumatischen Stress habe, wenn ich mein ganzes Leben mit Tod und Zerstörung zu tun hatte." Das hier sei persönlich, habe der gesagt, und Glen verstand: "14 meiner Freunde waren getötet worden. Das ist, als wäre jemand in mein Haus eingebrochen und hätte meine Familie getötet."
Inzwischen geht es Glen Klein besser. Er leidet noch immer unter Depressionen und ist nicht so fit wie früher, aber es gibt immer mehr gute Tage und er joggt schon wieder und macht Karate. Geholfen hat ihm das Engagement in der "FealGood"-Organisation. Die ehrenamtliche Organisation kümmert sich um Menschen, denen es noch schlechter geht als Glen. Die zum Beispiel die Arztkosten für zusätzliche Untersuchungen nicht aufbringen können, die von der Versicherung nicht übernommen werden.
Die Erinnerung ist präsent
Denn viele der 9/11-Ersthelfer hätten inzwischen gesundheitliche Probleme, erklärt Glen. "1010 von den Ersthelfern sind mittlerweile gestorben, aber es sind bestimmt noch hunderte mehr von den Feuerwachen aus dem ganzen Land, die gekommen sind, um uns zu helfen." Und noch viel mehr Helfer würden vermutlich nicht wissen, warum sie krank geworden sind. Einen landesweiten Austausch von Daten gebe es nicht.
Vergessen kann Glen Klein den 11. September nicht. Die Angst, auch an Krebs zu erkranken, ist stets präsent. Gerade jetzt, zum 10. Jahrestag, werden die Erinnerungen wieder wach. "Man müsste auf einer Insel leben, niemals fernsehen, keine Zeitung lesen und mit niemandem reden, das ginge vielleicht", überlegt er, ergänzt aber: "Selbst dann würde einem der 11. September nicht aus dem Kopf gehen." Eine gute Nachricht gibt es immerhin: Sein Freund und Kollege, dem seine Frau Carol eine Niere gespendet hat, ist wieder gesund. "Joe kann jetzt ein normales Leben führen, mit seinen Kindern ins Disneyland fahren und Urlaub machen und muss nicht mehr zur Dialyse." Es gehe dem Freund hervorragend, sagt Glein Klein und tut etwas, was er sonst nicht macht, wenn er von seinem Einsatz am Ground Zero erzählt. Er lächelt.
Autorin: Christina Bergmann
Redaktion: Robert Mudge