Glaube in Europa
25. April 2004Polen ist – neben Malta – eine Ausnahme in der Europäischen Union: 95 Prozent der Menschen gehören der katholischen Kirche an, rund die Hälfte davon geht sogar sonntags regelmäßig in den Gottesdienst. Und Polen ist das größte Land unter den neuen Mitgliedern: Millionen von gläubigen Katholiken werden also in die Vielvölkergemeinschaft der Europäischen Union aufgenommen.
Allerdings stemmten sich vor allem Vertreter der Kirche lange gegen den Beitritt. Sie fürchteten um ihren Glauben in der westlich-atheistisch geprägten EU. "Katholische Religion, das ist Religion für die armen Leute", sagt auch die polnische Studentin Magdalena Loniak, "doch das wird sich ändern, wenn die Leute ein besseres Lebensniveau haben. Dann werden sie zwangsweise weniger gläubig." Eine Vermutung, die sich durchaus deckt mit Erfahrungen in Ländern, die schon länger EU-Mitglieder sind.
Mehr Wohlstand, weniger Religion?
Seit die beiden grundkatholischen Länder Spanien und Portugal vor einigen Jahren der EU beigetreten sind, hat der Glaube dort an Bedeutung verloren. Es gibt allerdings einen entscheidenden Unterschied: Die neuen EU-Mitglieder sind bis auf die Inseln Malta und Zypern alles Länder des ehemaligen Ostblocks. Die Kirchen wurden hier massiv bedrängt, die Christen teilweise sogar verfolgt. Das bewirkte oft eine besondere Treue der Gläubigen zur Kirche. "Was wir erfahren haben im letzten halben Jahrhundert, das war die spontane und selbstlose Aktivität der Kirchen und die Risikofreude der Christen", erzählt der ungarische Religionswissenschaftler András Máte-Tóth. Davon ist so schnell nicht loszukommen: Slowenien und Polen etwa haben sich vehement für einen Gottesbezug in der EU-Verfassung eingesetzt. Und Polen hält trotz EU an seinen rigiden Abtreibungsgesetzen fest.
Gläubige Atheisten?
Auch Slowenien, die Slowakei oder Litauen sind katholisch geprägt. Überwiegend protestantisch sind nur Estland und Lettland. Die Unterdrückung der Kirchen unter dem Kommunismus hat in einigen Ländern dazu geführt, dass nur noch eine kleine Minderheit der Bürger gläubig ist. András Máte-Tóth und Paul Zulehner haben in einer Studie herausgefunden, dass Tschechien offenbar die un-christlichste Region Europas ist – abgesehen von Ost-Deutschland. Der Generalsekretär des Europarates, Walter Schwimmer, hält es dennoch für denkbar, dass die Religion in den glaubensarmen Ländern durch den EU-Beitritt einen neuen Aufschwung nimmt. "Albanien war der erste atheistische Staat der Welt", erinnert er sich, "und auch dort hat die Religion wieder ihren Platz im Leben der Gesellschaft gefunden."
Staatskirchen im alten Europa
Einheitlich war das religiöse Leben auch innerhalb der Stamm-EU nicht. Rein nach Zahlen sind die meisten EU-Bürger katholisch, einige Länder wie Dänemark und Schweden aber zu fast 100 Prozent evangelisch. Und es gibt ein fast vollständig orthodoxes Land: Griechenland. In Frankreich oder Deutschland leben außerdem Millionen von muslimischen Migranten, in Großbritannien dazu noch Hindus und Sikkhs. Auch im Verhältnis Staat - Kirche existieren in der Stamm-EU durchaus verschiedene Modelle nebeneinander. "Da gibt es zum Beispiel die englische Staatskirche in Großbritannien, die offiziell sogar die Königin als ihr Oberhaupt hat", erläutert Schwimmer. "Und es gibt den laizistischen französischen Staat. Ein ganz anderes Staatskirchenverständnis haben Deutschland und Österreich."
Osterweiterung in muslimisches Glaubensgebiet
Die nächsten Kandidaten für die EU-Aufnahme werden orthodoxen Glaubens sein: Bulgarien und Rumänien hoffen, 2007 aufgenommen zu werden. In Rumänien wurden bisher die Konfessionen außerhalb der dominierenden orthodoxen Kirche kaum zur Kenntnis genommen, meint die selbst orthodox getaufte Studentin Corina Golgorziu. Der EU-Beitritt ihres Landes hätte in religiöser Hinsicht dann vor allem einen Effekt, "dass die Rumänen doch einsehen werden, dass es auch andere Religionen in Europa gibt." Ein Effekt, der auch in der Türkei eintreten könnte, falls das Land ebenfalls in die EU aufgenommen werden sollte: Mit dem Beitritt eines nahezu rein muslimischen Landes würde sich die religiöse Landkarte der EU dann noch einmal massiv verschieben. Einen Probelauf könnte es schon demnächst geben. Wenn es den beiden Hälften Zyperns gelingt, sich wieder zu vereinigen, so wird ganz Zypern in die EU aufgenommen, einschließlich des türkischen und damit muslimischen Teils.