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Giftmüll-Exporte aus Schweden belasten chilenische Gemeinde

Laura Sear | Leslie Steed Arica, Chile
4. Dezember 2019

Diese Woche tritt ein Ausfuhrverbot für gefährliche Abfälle in Kraft – zu spät für eine Gemeinde in Chile, die seit 30 Jahren unter den Folgen von Giftmüll aus schwedischen Minen leidet und für Gerechtigkeit kämpft.

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Chile Arica Giftmülldeponie der Firmen Boliden und Promel
Bild: Rolf Svedberg

Arica ist eine staubige Hafenstadt im Norden Chiles, wo der Wind immer weht. Touristen wandern an der langen Strandpromenade der Stadt entlang, im Schatten einer dramatischen, rauen Klippe namens El Morro, umweht von kräftiger Seeluft.  Was sie vielleicht eher nicht wissen, ist: Hier wird seit Jahren ein erbitterter Kampf ausgetragen, auf der Suche nach einer Lösung, von einem Gericht zum nächsten, von Chile bis Schweden – doch vergeblich.

1994 errichtete die chilenische Regierung eine Siedlung mit Sozialbauten neben einem Industriegebiet am Rande der Stadt. Familien zogen ein und Kinder begannen, auf den staubigen Hügeln neben ihren neuen Häusern zu spielen. Sie rutschten auf dem feinen Sand die Hügel hinunter, modellierten ihn wie Ton und trugen ihn in ihre Häuser. Was die Bewohner nicht wussten, war, dass der Spielplatz eine Giftmülldeponie war.

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Zehn Jahre vor dem Siedlungsbau bezahlte der schwedische Bergbaukonzern Boliden einem chilenischen Bauunternehmer namens Promel 1 Million Euro für die Entsorgung von rund 20.000 Tonnen Klärschlamm aus schwedischen Kupfer-, Blei-, Silber- und Goldminen. Doch Promel hat den Sonderabfall nie ordnungsgemäß entsorgt. Stattdessen blieb er auf dem Industriegelände neben der Entsorgungsanlage des Unternehmens ungeschützt liegen, damals etwa drei Kilometer von den Bewohnern Aricas entfernt.

Luftbildaufnahme vom Hafen in Arica, Chile
Arica, eine chilenische Hafenstadt nahe der peruanischen Grenze, ist seit den 1980er Jahren schnell gewachsen. In Gewerbegebieten am Rande der Stadt entstanden neue SiedlungenBild: picture-alliance/dpa

Hautausschläge, Fehlgeburten und Krebserkrankungen

Tomas Bradanovic, ein Ingenieur aus der chilenischen Hauptstadt Santiago, zog Ende der 1980er Jahre nach Arica. "Zuerst wusste niemand, dass der Boden vergiftet ist", erzählte er der DW. "Bis Kinder Symptome zeigten, die wir noch nie zuvor gesehen hatten, z.B. seltsame Ausschläge. Viele  Mütter aus der Nachbarschaft erlitten plötzlich Fehlgeburten. Und dann begannen immer mehr Menschen zu sterben."

Marisol Vilches Maibé und ihre Familie lebten neben der Anlage von Promel. Sie litt unter Brust- und Gallenblasenkrebs, ihr Mann unter Herzversagen und ihre vier Söhne unter Hautkrankheiten, Lernschwierigkeiten und krebsartigen Missbildungen der Knochen — alles Symptome, die nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) durch eine Arsenvergiftung hervorgerufen werden können.

"Er lag am Ende unserer Straße, an der Ecke", berichtete Marisol über den Giftmüll. "Als mein Mann endlich behandelt wurde, sagten uns die Ärzte in Santiago, dass er zu viel Arsen im Blut hatte - doppelt so viel wie erlaubt."

1997 untersuchte die NichtregierungsorganisationServicio Paz y Justicia den Staub und wies große Mengen an Arsen, Blei, Cadmium, Quecksilber, Kupfer und Zink nach. Die Ergebnisse wurden später durch einen toxikologischen Bericht der Regierung bestätigt.

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Chilenische Behörden ignorieren die Opfer

Die chilenischen Behörden kündigen schließlich an, die belasteten Abfälle sicher aus den Wohngebieten zu entfernen. Tatsächlich aber verlagerten sie das Meiste nur auf ein anderes Gelände in der Nähe, etwa 600 Meter von den nächsten Häusern entfernt. Und dort liegt der gefährliche Sondermüll noch heute, von Mauern umgeben zwar, doch nur spärlich durch Kunststoffplatten geschützt, mit Steinen beschwert.

"Die Regierung hat ihn auf die andere Seite verladen, in offenen Lastwagen, und so den giftigen Staub in der ganzen Stadt verteilt", sagte Tomas, der versucht mit einer Kampagne Aufmerksamkeit für die Kontamination zu schaffen. "Er landete sogar auf dem Dach einer Grundschule."

Giftige Minenabfälle in Arica, Chile
Heute ist der Sondermüll zwar von Mauern umgeben, aber dennoch Witterungseinflüssen ausgesetzt und nur fünf Gehminuten von den nächsten Häusern entferntBild: DW/Pablo Cepeda

1999 leitete die gemeinnützige Organisation FIMA ein Verfahren gegen die chilenische Regierung und Promel ein, stellvertretend für die Gemeinden nahe der beiden Deponien. Es zog sich bis 2007, bis der Oberste Gerichtshof Chiles schließlich zu Gunsten der Gemeinden entschied.

Zu diesem Zeitpunkt war Promel bereits bankrott. Die chilenische Regierung entschädigte 365 Anwohner, darunter auch Marisol. Aber eine Untersuchung der Regierung, die zwei Jahre nach dem Urteil des Obersten Gerichtshofs veröffentlicht wurde, war zu dem Schluss gekommen, dass bis zu 12.000 Menschen unter den Folgen des Giftmülls leiden könnten.

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Klage vor Gericht in Schweden

In dem Untersuchungsbericht wurden Pläne für die Entsorgung der Abfälle und für die medizinische Versorgung der Betroffenen beschrieben. Doch wirklich umgesetzt wurden sie nicht. Und so nahmen die Bewohner von Arica ihren Kampf 2013 wieder auf und setzten da an, wo das Giftmüll-Problem seinen Ursprung hatte: Sie reichten Klage gegen den Minenbetreiber Boliden ein, am lokalen Amtsgericht in Schweden.

Boliden argumentierte, dass der Standort von Promel damals, bei der Anlieferung der gefährlichen Abfälle, noch in einem reinen Gewerbegebiet lag. Das schwedische Gericht stellte fest, dass das Unternehmen beim Export der Abfälle fahrlässig gehandelt hatte, denn die Verantwortlichen hätten wissen müssen, dass diese nicht fachgerecht entsorgt werden würden. Doch das Gericht fand keinen ausreichenden Zusammenhang zwischen dem Handeln des Unternehmens und dem Schaden der Kläger und entschied am Ende zugunsten von Boliden.

Ein Antrag auf Berufung beim Obersten Gerichtshof Schwedens wurde mit der Begründung abgelehnt, dass zu viel Zeit vergangen sei, seit Boliden die Abfälle im Jahr 1984 fahrlässig exportiert habe. Am Ende mussten die Kläger sogar die Anwaltskosten des Unternehmens in Höhe von rund 3,2 Millionen Euro übernehmen.

Die Forderung an die schwedische Regierung, dafür zu sorgen, dass die Abfälle zurückgeholt und auf schwedischem Boden sicher entsorgt werden, sind bislang unbeantwortet geblieben.

Der Stadtteil Cerru Chuno von Arica, Chile
Die Abfälle lagern heute etwas außerhalb des verarmten Stadtteils Cerro Chuno in Arica, wo viele Migranten wohnenBild: DW/Pablo Cepeda

Ein Ende der Giftmüllexporte?

Mehr als 30 Jahre nachdem die europäischen Minenabfälle vor den Toren der ahnungslosen chilenischen Gemeinde deponiert wurden, scheint es unmöglich, das schwedische Unternehmen und die schwedische Regierung zur Verantwortung zu ziehen. Aber in Zukunft werden europäische Unternehmen wohl nicht mehr in der Lage sein, so zu handeln, ohne mit Strafen rechnen zu müssen.

Am 5. Dezember tritt eine Änderung des Basler Übereinkommens in Kraft, die den Export gefährlicher Abfälle aus OECD-Ländern in andere Länder verbietet.

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Jahrzehntelang wurden Kampagnen geführt, um ein solches Verbot zu erwirken. Jahrzehnte, in denen die Menschen in Arica in Häusern und Siedlungen wohnten, die mit Arsen und Blei verseucht waren und die sie weiterhin krank machen. Für sie kommt das Verbot viel zu spät.

'Was mit uns gemacht wurde, war falsch'

Marisol erzählt, dass ihr Mann noch immer keine Behandlung gegen die Folgen der Vergiftung erhält. Sie hat die Hoffnung aufgegeben, dass noch jemand zur Verantwortung gezogen wird. "Wir werden nie Gerechtigkeit für das bekommen, was hier passiert ist", sagte sie.

Sie kämpfen immer noch um die medizinisch notwendige Behandlung der Betroffenen und die Entfernung der Giftstoffe aus ihrem Umfeld. Doch Tomas sieht in dem Basler Ausfuhrverbot zumindest die Anerkennung der Ungerechtigkeit dieser Giftmüllexporte und somit auch dessen, was seiner Gemeinde angetan wurde: "Es ist ebenso wichtig zu wissen, dass das, was uns angetan wurde, falsch ist."