Gewerkschaften aller Länder, vereinigt euch!
1. November 2006Fusionen kennt man aus der Welt der Wirtschaft. Jetzt vereinigen sich auch die Arbeitervertreter. Internationaler Gewerkschaftsbund (IGB), so nennt sich der neue Dachverband, der am Mittwoch (1.11.) auf einem dreitägigen Kongress in Wien vor 1600 Delegierten aus der Taufe gehoben wurde. Im IGB, der seinen Hauptsitz in Brüssel haben wird, gehen mehrere bisher unabhängige Verbände auf. Darunter der Internationale Bund Freier Gewerkschaften (IBFG) und der kleinere, christlich geprägte Weltverband der Arbeit (WVA), die sich am Tag zuvor aufgelöst haben. Dazu kommen acht weitere nationale Vereinigungen. Der neue Weltverband wird 166 Millionen Mitglieder von 309 Einzelgewerkschaften aus 156 Ländern repräsentieren.
Alle für einen
"Die Globalisierung ist ein internationaler Prozess. Also müssen die Gewerkschaften auch internationaler arbeiten", erklärt Sharan Burrow die Gründung des IBG. Im Gespräch mit DW-WORLD umreißt die Präsidentin des Vorgängerverbands IBFG die Möglichkeiten der neuen Organisation: "Eine globale agierender Gewerkschaftsverband kann weit mehr Einfluss auf übernationale Wirtschaftsinstitutionen nehmen." Soziale und arbeitsrechtliche Missstände könnten jetzt wesentlich effizienter bekämpft werden.
Und die Agenda ist lang: "Schutz und Förderung der Rechte und Interessen aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer […], Armut, Hunger, Ausbeutung bekämpfen […] die Abschaffung von Kinder- und Zwangsarbeit […], die Beendigung jeglicher Diskriminierung, aufgrund des Geschlechts, der Religion, der Hautfarbe, der Nationalität, der ethnischen Herkunft" - nur einige Punkte in der IGB-Satzung.
Ländergewerkschaften verlieren an Gestaltungsmacht
National agierende Gewerkschaften steckten bisher im Dilemma, dass Regierungen Befugnisse in Handels- und Finanzfragen zunehmend an internationale Organisationen wie die Welthandelsorganisation abtreten, soziale Fragen aber weiterhin national behandeln. "Die Korrektur dieses Ungleichgewichts steht im Mittelpunkt des Auftrags des neuen Internationalen Gewerkschaftsbundes", sagt Guy Rider, der designierte Generalsekretär des IGB." Im Dezember stehe bereits ein Treffen mit Vertretern der Weltbank und des Weltwährungsfonds in Washington an.
"Die Globalisierung bringt uns zusammen"
Aber warum folgt die internationale Vereinigung der Gewerkschaftsverbände erst so spät auf die ökonomische Globalisierung? Das sei historisch bedingt, meint IBFG-Präsidentin Sharan Burrow. "Seit Ende des kalten Krieges muss die Weltkarte der Gewerkschaften neu gezeichnet werden." Die Ost-West-Teilung hatte auch die Arbeitnehmervertretungen gespalten. Der kommunistisch ausgerichtete Weltgewerkschaftsbund (WGB) vertrat die Arbeiter der Ostblock-Staaten. Zwar existiert der WBG noch immer. Doch inzwischen haben etliche Mitgliedsverbände die Seiten gewechselt und sind in den Internationalen Bund Freier Gewerkschaften (IBFG) eingetreten, der jetzt in den IGB aufgeht.
In ihrem Potenzial zur weltweiten Solidarisierung der Gewerkschaften sieht auch Jürgen Eckl die große Chance der neuen Organisation. Er ist Experte für Internationales beim Deutschen Gewerkschaftsbund. "Die Gründung des IGB wurde in nur zwei Jahren bewerkstelligt. Viele Konflikte unter konkurrierenden Gewerkschaftsverbänden besonders in Asien und Lateinamerika konnten währenddessen beigelegt werden." In der Dominikanischen Republik gebe es jetzt nur noch zwei anstatt dreizehn Verbände. "Auf den Gängen hier in der Wiener Kongresshalle reden Gewerkschaftler freundlich miteinander, die sich vorher bekämpft haben. Die Globalisierung bringt uns zusammen", freut sich Eckl.
"Ein historisches Ereignis"
Doch neben der Bündelung von Interessen und dem globalen Kampf für bessere Arbeitsbedingungen wird sich der Gewerkschaftsriese auch den sinkenden Mitgliederzahlen bei den Einzelgewerkschaften widmen müssen. Keine einfache Aufgabe.
Der Professor für Wirtschafts- und Sozialpolitik an der Hochschule in Fulda, Hans-Wolfgang Platzer, äußert sich vorsichtig optimistisch: "Nachhaltige Repräsentativität, eine größere Zahl an Mitgliedern, Bündelung materieller und kommunikativer Ressourcen, die Einbindung wichtiger nationaler Gewerkschaften: Die organisatorischen Argumente sprechen für die Gründung des Internationalen Gewerkschaftsbunds." Ob daraus gezielteres Handeln folgt, sei nicht garantiert. Unterschiedliche Kulturen müssten erst zusammenwachsen, Rivalitäten beseitigt werden. Dennoch gelte: "Nach einem Jahrhundert gewerkschaftlicher Spaltung haben wir es hier mit einem historischen Ereignis zu tun."