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Kommentar: Gewalt statt Konsens in Ägypten

Loay Mudhoon15. August 2013

Mit dem gewaltsamen Vorgehen gegen die Muslimbrüder hat das Militärregime den Tod hunderter Menschen in Kauf genommen. Versöhnung und Demokratie rücken so in weite Ferne, analysiert DW Nahost-Experte Loay Mudhoon.

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Ägypten Räumung des Mursi Anhänger Lagers in Kairo 14. August 2013 (Foto: Ahmed Asad APA /Landov)
Bild: picture alliance/Landov

Wochenlang sah es so aus, als könnten die Bemühungen internationaler Vermittler ein blutiges Ende der Protestaktionen der Muslimbrüder gegen die gewaltsame Absetzung ihres entmachteten Präsidenten Mohammed Mursi verhindern.

Vor allem westliche Vermittler wie die EU-Außenbeauftragte Cathrine Ashton und die US-Senatoren John McCain und Lindsey Graham hatten in den letzten Wochen den Druck sowohl auf die vom Militärregime eingesetzte Übergangsregierung als auch die Führung der Muslimbrüder erhöht. Die westlichen Diplomaten verfolgten das Ziel, eine friedliche Lösung für die staatliche Blockade zu ermöglichen und den Weg zur Einbindung aller politischen Kräfte in einen geordneten Versöhnungsprozess zu ebnen. Im Idealfall sollte das größte arabische Land auf den Weg zur Demokratie zurückfinden.

Doch letzte Woche kristallisierte sich heraus, dass die neuen Machthaber um Ägyptens starken Mann General al-Sisi keine ernsthaften Absichten hegen, nach friedlichen Auswegen aus der Staatskrise zu suchen - von einer notwendigen Einbindung der Muslimbrüder in die Nach-Mursi-Ordnung ganz zu schweigen.

Und so erklärte der Übergangspräsident Adli Mansur die Gespräche zwischen ausländischen Vermittlern und der Muslimbruderschaft kurzerhand für endgültig gescheitert. Damit war die schreckliche Gewaltorgie programmiert. Allen politischen Beobachtern war ab diesem Zeitpunkt klar: Das größte arabische Land steuert auf ein Blutbad zu. Es war allzu bekannt, dass sich die ägyptischen Streitkräfte nicht scheuen, massive Gewalt und scharfe Munition gegen Mursi-Anhänger einzusetzen.

Mursi-Anhänger geben sich nicht geschlagen

Tiefe Gräben im postrevolutionären Ägypten

Dass die Gewaltanwendung unverhältnismäßig und vor allem vermeidbar war, bestätigte der international angesehene Vizepräsident Mohammed El Baradei. Der Friedensnobelpreisträger und Hoffnungsträger der liberalen Ägypter sah sich nach dem Blutbad gezwungen, Konsequenzen zu ziehen. Er erklärte seinen Rücktritt aus der Regierung. Damit wurde offenbar, dass sich die Hardliner in der Militärregierung um den berüchtigten Innenminister Mohammed Ibrahim durchgesetzt haben.

Doch der wohl blutigste Tag in der jüngsten Geschichte Ägyptens wäre ohne den Zustand extremer gesellschaftlicher und politischer Polarisierung, ja ohne den Hass zwischen den verfeindeten Lagern der islamistischen Muslimbrüder und den säkular-liberalen Kräften, undenkbar.

Schon einige Monate nach Muris Amtsantritt zeichnete sich ab, dass das Lager der Revolution vom 25. Januar 2011 gespalten ist. Zur Erinnerung: Mursi hatte viele Stimmen den Vertretern der Revolution zu verdanken, die nicht hinter der Ideologie der Bruderschaft standen. Sie wollten lediglich einen endgültigen Bruch mit dem diskreditieren Mubarak-System.

Polizisten räumen gewaltsam das Protestlager der Muslimbrüder in Kairo (AP Photo/Manu Brabo)
Das Protestlager der Muslimbrüder in Kairo wurde gewaltsam geräumtBild: picture alliance / AP Photo

Statt weiter gemeinsam gegen die Netzwerke des "tiefen Staates" des alten Regimes zu kämpfen und diese zu demokratisieren, hat die wachsende Spaltung zwischen Muslimbrüdern und säkularen Ägyptern das Land politisch blockiert. Und spätestens seit Mursi im Dezember 2012 die neue Verfassung im Alleingang durchboxte wurde offensichtlich, dass es keine reale Grundlage mehr für die Zusammenarbeit zwischen den postrevolutionären Kräften gibt.

Allianz gegen Mursi

Nach der Verabschiedung der umstrittenen Verfassung bildeten die zersplitterten, säkularen Kleinparteien die sogenannte Nationale Heilsfront, um gegen die Verfassungserklärung vom 22. November 2012 von Ex-Präsident Mursi anzugehen. Da sie vermutlich nicht in der Lage waren, den regierenden Muslimbrüdern politisch Paroli zu bieten, entschieden sie sich für eine strategische Allianz mit dem Militär und den Kräften des noch intakten, alten Regimes im Sicherheitsapparat und in der Wirtschaft.

Als es der Graswurzelbewegung "Tamarud" (Rebellion) Ende Juni gelang, Millionen wütende Ägypter gegen die Muslimbrüder zu mobilisieren, nutzte das Militär die Gunst der Stunde. Es baute die politisch überforderten Muslimbrüder als vermeintlich übermächtige, dunkle Gefahr für die ägyptische Nation auf und präsentierte sich als Retter der Nation. Die von ihm kontrollierten Medien dämonisieren seitdem die Gruppe als "terroristisch" und "faschistoid".

Mitglieder der Graswurzelbewegung Tamarud protestieren in Kairo gegen Mursi (Foto: REUTERS/Asmaa Waguih (EGYPT)
Tamarud-Proteste im Juni 2013Bild: Reuters

Ohne diese militärisch organisierte, pogromartige Stimmung gegen moderate Persönlichkeiten wie den liberalen Politiker Amr Hamzawy und ohne die mediale Hexenjagd auf die Muslimbrüder wäre die Unterstützung der Bevölkerung für die Gewaltorgie kaum denkbar.

Die Strategie des neuen-alten Regimes, eines Bündnisses von Militärs und alten Mubarak-Seilschaften, zielt derzeit offensichtlich darauf ab, die Muslimbruderschaft weiter politisch in die Enge zu treiben, um sie zu radikalisieren. Einige Hardliner im Sicherheitsapparat machen keinen Hehl daraus, die Muslimbrüder "ausradieren" zu wollen.

Da man aber eine sozial-religiöse Bewegung wie die Muslimbruderschaft mit Gewalt nicht besiegen kann, dürfte diese Strategie verheerende Folgen für die Zukunft Ägypten mit sich bringen.