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Gewalt in Gefängnissen

Kerry Skyring / AR27. Juli 2013

Nach einer Serie von Vergewaltigungen und einem Selbstmord unter jungen Straftätern überprüft Österreich seinen Jugendstrafvollzug. Justizministerin Karl hat versprochen, das Problem zu lösen.

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Ein Häftling schaut aus dem Fenster eines Jugendgefängnisses - Foto: Marius Becker (dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Schlüssel klirren. Ein Metallbolzen rastet ein, als der Wärter die Zellen für die Nacht verschließt. Es ist ein Geräusch, das der 21-jährige Ricardo gut kennt. Vor vier Jahren, als er noch ein Teenager war, kam er wegen Körperverletzung für sechs Monate ins Gefängnis. Jetzt kann er als Insider Einblicke in den österreichischen Strafvollzug verschaffen, bei dem viele junge Täter auf der Strecke zu bleiben drohen.

"Nachts, wenn alles schläft und niemand richtig aufpasst, dann schlagen sie zu", erinnert sich Ricardo. Er berichtet von überfüllten Zellen, in denen Häftlinge Mitgefangene vergewaltigen. "Einer steht an der Tür, sodass der Rote Knopf nicht gedrückt werden kann, mit dem man einen Arzt rufen oder die Wachen alarmieren kann", erzählt Ricardo. "Einer verdeckt also den Alarmknopf, während die anderen zur Sache gehen. Die Fenster werden oftmals abgedichtet, damit kein Lärm nach außen dringt."

Blick in eine Zelle der Wiener Justizvollzugsanstalt Josefstadt - Foto: Votava (dpa)
Zelle in Wien-Josefstadt: "Nachts, wenn alles schläft, schlagen sie zu"Bild: picture-alliance/dpa

Ruf nach Konsequenzen

Das österreichische Jugendstrafrecht sorgt für Schlagzeilen, seit im Juni eine Lokalzeitung über den Fall eines 14-Jährigen berichtete, der in der Untersuchungshaft vergewaltigt worden war. Österreichs Justizministerin Beatrix Karl hatte daraufhin zunächst von einem Einzelfall gesprochen und deutlich gemacht, dass Strafvollzug nicht das Paradies sei. Doch dann kam heraus, dass es allein im laufenden Jahr vier Vergewaltigungsfälle in Jugendstrafanstalten gab, sowie einen Selbstmord. Es gab erste Rücktrittsforderungen an die Ministerin. Karl blieb im Amt, berief eine "Task Force Jugend-U-Haft" und kündigte schnelle Reformen an.

Zellen sollen künftig nur noch mit zwei Häftlingen belegt werden und es soll eine Nachtschicht bei der Aufsicht geben, so Karl. Zudem sei mehr Raum für Freizeitaktivitäten geplant und die Beschäftigungsmöglichkeiten der Jugendlichen sollen sich bessern. Die Task Force der Ministerin soll außerdem Alternativen ausarbeiten, wie minderjährige Verdächtige künftig behandelt werden, die bislang in Untersuchungshaft kommen.

Österreichs Justizministerin Karl - Foto Georges Gorbet (AFP)
Justizministerin Karl: "Strafvollzug ist nicht das Paradies"Bild: Georges Gobet/AFP/Getty Images

Neue Politik nach Regierungswechsel

Experten, wie Heinz Patzelt von Amnesty International Österreich, führen die aktuellen Probleme im Jugendstrafvollzug auf eine Entscheidung der Regierung vor zehn Jahren zurück, als ein spezielles Jugendgericht geschlossen wurde. "Vor vielen Jahren ging Österreich vorbildlich mit jugendlichen Straftätern um. Ihre Fälle wurden gesondert behandelt, es gab ein spezielles Gericht und genau das, was Jugendliche brauchen: Zuwendung und Erziehung", sagt Patzelt. "Und dann kam eine konservative Regierung, die alles änderte, mit dem Argument: Recht und Ordnung seien wichtiger, als Verständnis zu zeigen. Und nun sehen wir das Ergebnis."

Bei den Vergewaltigungs- und Missbrauchsfällen, die in diesem Jahr ans Licht kamen, waren stets Mitgefangene die Täter. Laut Ex-Häftling Ricardo kommt es aber auch durch Gefängniswärter zu Übergriffen: "Es wird gebrüllt, man muss sich auf den Boden legen, es gibt nachts kalte Duschen, Durchsuchungen und in der Zelle wird alles demoliert."

Aus Opfern werden Täter

Das "Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte" in Wien befragte kürzlich junge Gefangene und fand heraus, dass diejenigen, die Gewalt ausgesetzt waren, sich oft absonderten und depressiv wurden. Einer dieser Häftlinge wurde als "Tickende Zeitbombe" beschrieben. Die Studie kam zu dem Schluss, dass einige der misshandelten Gefangenen zu Wiederholungstätern werden.

"Auch in meiner Zelle gab es ein Vergewaltigungsopfer", sagt Ricardo. "Derjenige war schon zweimal im Gefängnis gewesen. Beim ersten Mal wurde er von vier Mitgefangenen vergewaltigt."

Zellentrackt in der Wiener Justizvollzugsanstalt Josefstadt - Foto: Votava (dpa)
Justizvollzugsanstalt Josefstadt: Vergewaltigung eines 14-Jährigen in der UntersuchungshaftBild: picture-alliance/dpa

Die Probleme sind nicht nur auf ein Gefängnis beschränkt - österreichweit gibt es Missbrauchsfälle in Strafanstalten. Josef Adam ist Leiter der Justizanstalt in Graz. Wie die Justizministerin sagt auch er, es sei unrealistisch, zu erwarten, dass es zu keiner Gewalt in Gefängnissen kommt: "Es ist absolut unmöglich, dies hundertprozentig zu verhindern, deshalb kommt es zu einzelnen Fällen."

Die österreichische Gewerkschaft der Justizwache hat sich ebenfalls an Justizministerin Karl gewandt: Es gebe nicht ausreichend Personal, um für ein größeres Freizeitangebot, bessere Beschäftigung und psychologische Betreuung der jugendlichen Gefangenen zu sorgen. "Die besten Maßnahmen für einen Gefangenen oder jemanden, der resozialisiert werden soll, können nur funktionieren, wenn es für ihn einen festgelegten Tagesablauf gibt", sagt der Gewerkschaftsvorsitzende Albin Simma. "Doch bei der Vielzahl von Gefangenen, die wir betreuen, können wir das zurzeit einfach nicht bewerkstelligen."

Mängel sind nicht zu entschuldigen

Nach Ansicht von Heinz Patzelt von Amnesty International sind Mängel nicht zu entschuldigen. Bessere Haftanstalten und mehr Personal, einschließlich Betreuern und Psychologen, seien dringend nötig. "Es ist doch wirklich ein Skandal", ärgert sich Patzelt, "dass ein reiches Land, wie Österreich, diese verletzbaren jungen Menschen - die Opfer und Täter zugleich sind - so schlecht behandelt."

Heinz Patzelt, Generalsekretär Amnesty International Österreich - Foto: Laurent Ziegler (AI Österreich)
Mesnchenrechtler Patzelt: "Wirklich ein Skandal"Bild: Laurent Ziegler

Österreich gehört zu den Unterzeichnern der Menschenrechtskonvention der Vereinten Nationen. Das verpflichtet die Republik besondere Maßnahmen zu ergreifen, um Jugendliche vor Gewalt zu schützen - auch wenn sie in Haft sind. Die "Task Force Jugend-U-Haft" der österreichischen Regierung hat nun drei Monate lang Zeit, Fehler im Jugendstrafvollzug aufzudecken und eine Lösung zu finden.