Gewalt bedroht den Südsudan
2. Juni 2011Immer wieder Abyei. Die Stadt liegt im umstrittenen Grenzgebiet zwischen Norden und Süden des Sudan. Die Region ist fruchtbar und reich an Öl. Sowohl der Norden als auch der Süden beanspruchen sie für sich und ringen mit Militärgewalt darum.
Ende Mai eroberten Streitkräfte des Nordens nach heftigen Gefechten mit den Süd-Truppen die Stadt Abyei. Mehrere Menschen wurden getötet, tausende Zivilisten flohen. Die Regierung in Khartoum verkündete am Dienstag (31.5.) einen Fünf-Punkte-Plan, um die Krise in Abyei zu beenden - noch ist unklar, ob der Süden den Vorschlag akzeptieren will.
Patrouillen der Mission der Vereinten Nationen im Sudan bestätigten ebenfalls am Dienstag, dass viele Dörfer südlich von Abyei durch die Kämpfe "erheblich zerstört" seien. Die UN schätzt, dass rund 60.000 Menschen in den vergangenen Wochen ihre Häuser verlassen haben. Der umstrittene Status von Abyei bedrohe nun den friedlichen Übergang zur Unabhängigkeit des südlichen Sudan, heißt es in einer Erklärung. Bei einem Referendum im Januar hatten sich die Südsudanesen mit großer Mehrheit für die Unabhängigkeit vom Norden ausgesprochen - am 9. Juli soll es offiziell soweit sein.
Ugandische Milizen terrorisieren die Südflanke
Aber Abyei ist nicht der einzige Teil des Sudan, wo die Konflikte schwelen. Weiter südlich, in Grenzregionen, wo die Lord's Resistance Army (LRA) aktiv ist, bleibt die Sicherheit ebenfalls zerbrechlich.
Die LRA ist eine Truppe norduganischer Milizen, geführt von Joseph Kony. Sie treibt sich entlang der Grenzen von Uganda, dem Süden des Sudan, der Zentralafrikanischen Republik und der Demokratischen Republik Kongo (DRC) herum. Seit mehr als 20 Jahren terrorisiert die LRA die dortigen Gemeinden: Sie plündert, tötet, vergewaltigt, entführt Frauen und zwingt Kinder dazu, Soldaten zu werden.
Kony und mehrere LRA-Führer werden vom Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag per Haftbefehl gesucht. Human Rights Watch zufolgte hat die LRA seit 2008 mehr als 2.400 Zivilisten getötet, mehr als 3.400 Menschen - darunter viele Kinder - entführt und mehr als 400.000 Bewohner aus ihren Häusern vertrieben.
Gefesselt und geschlagen
Der 13-jährige "Charles" (Name geändert) lebt mit seiner Familie in einem Dorf nahe der sudsudanesisch-kongolesischen Grenze. Aus einem seichten Erdloch zieht er einen Eimer voll braunem Brackwasser: Waschwasser für seine Familie.
Im Januar vergangenen Jahres entführte die LRA Charles und fünf andere Jungs. "Sie fesselten mich mit einem Strick und schlugen mich", erzählt Charles. "Als ich versucht habe, zu fliehen, schnitten sie mir den Rücken mit einer Machete ein."
Seine Entführer hätten sich schnell voran bewegt, sagt Charles. Die Frauen seien beim Marsch durch den Urwald nach und nach freigekommen. Schließlich sei es ihm gelungen, zu fliehen - ebenso wie einem anderen Jungen, der zu dem Zeitpunkt schon drei Jahre von der LRA festgehalten wurde.
Das Trauma dauert ein Leben lang
Charles kam erst in ein Zentrum für entführte Kinder in Yambio, der Hauptstadt des Bundesstaates Western Equatoria im südlichen Sudan. Das Zentrum bietet den Kindern medizinische Versorgung und spezielle psychologische Betreuung. Die Mitarbeiter versuchen auch, die Familien aufzuspüren. "Ich war sehr glücklich, meine Mutter wiederzusehen. Als sie mich sah, rannte sie auf mich zu und nahm mich in die Arme", sagt Charles. "Ich danke Gott, dass er mich beschützt hat."
Kinder, die von der LRA entführt werden, sind oft traumatisiert durch die Schläge, sexuellen Missbrauch oder weil die LRA sie gezwungen hat, Familienmitglieder zu töten. "Die Soldaten töten einen engen Verwandten wie Vater, Bruder oder Mutter, damit die Kinder Angst haben, wegzulaufen", sagt Justin Ebere, der das Zentrum in Yambio leitet. "Die LRA hält die Kinder so davon ab, wieder zu ihrer alten Gemeinschaft zurückzukehren."
Auch wenn nicht alle Waffen bekämen, sagt Ebere, so bereite die LRA die Kinder doch darauf vor, zu töten. "Die LRA richtet die Kinder auf extreme Gewalt und Mord ab", sagt er. "Das Leben im Urwald hängt ab von der Fähigkeit, töten zu können."
Mit Waffengewalt entführt
In einem Dorf ganz in der Nähe von Yambio hilft die 12-jährige "Grace" (Name geändert) ihrer Mutter beim Abwasch. Ihre kleine und einfache Lehmhütte steht im Schatten eines Mangobaums. Für Grace ist jeder Tag mit ihrer Familie ein Geschenk - trotzdem hat sie Angst. 2009 wurden sie und zahlreiche andere Bewohner des Dorfes mit vorgehaltenen Waffen von der LRA entführt. Auf dem Weg durch den Busch töteten die Milizen die erwachsenen Männer.
"Während wir liefen, hörten wir Schüsse. Sie sagten, wenn wir versuchten, wegzulaufen, würden sie uns töten", erzählt Grace. Fast ein Jahr lang hielt die LRA sie gefangen. Grace diente als Lastenträgerin, wurde geschlagen und missbraucht. Als die ugandische Armee das Lager stürmte, wurde sie im Bein getroffen. Das war ihre Rettung: Die Soldaten nahmen sie mit. Grace kam zurück zu ihrer Familie. Obwohl die Wunde im Bein inzwischen verheilt ist, macht sich ihre Mutter Esther große Sorgen, dass die Seele ihrer Tochter weiter unter dem Erlebten leidet.
"Ihre Stimmung schwankt. Manchmal ist sie still und mag bei nichts mitmachen. Sie wird manchmal so wütend, als hätte ihr jemand was getan. Dann will sie auch nicht, dass jemand fragt, was bei der LRA passiert ist", sagt Esther.
Angst vor weiteren brutalen Überfällen
Die andauernde Bedrohung durch die LRA in diesem Teil des südlichen Sudan vertreibt tausende Menschen. Dorfbewohner aus Sangua in der Nähe von Nzara sagen, dass sie auf keinen Fall zurückkehren können. Die LRA habe auch ihr Dorf schrecklich attackiert. Jetzt würden sie abhängen von der Hilfe internationaler Hilfsorganisationen in Übergangslagern.
Eine Frau erzählt, wie die LRA eines Morgens das Dorf angegriff. Sie konnte gerade noch ihr jüngstes Kind in Sicherheit bringen, musste aber ein anderes zurücklassen. Obwohl sie nicht dabei war, geht sie davon aus, dass das Kind - ebenso wie andere Babies im Dorf - zu Tode geschlagen wurde in einem großen, hölzernen Mörser. Dort wo sonst das Getreide gemahlen wird.
Mit Pfeil und Bogen gegen Maschinengewehre
Die kongolesische Armee und ugandischen Streitkräfte jagen Joseph Kony und seine LRA seit Jahren über Ländergrenzen hinweg. Allerdings mangelt es ihnen laut Human Rights Watch an ausreichenden Möglichkeiten, schnell zu reagieren. Menschenrechtsorganisationen drängen vor allem die Vereinten Nationen und die USA dazu, mehr zu unternehmen, um die Zivilisten in der Region zu schützen.
Denn abgesehen von einer eigenen Miliz - den "Arrow Boys" - sind die Gemeinden in entlegenen Gebieten weitgehend hilflos. In Western Equatoria gibt es ungefähr 3.000 Arrow Boys. Ausgestattet mit Pfeil und Bogen, Speeren und selbstgebauten Waffen, patrouillieren sie in der Region. Angst haben sie nicht, erzählt einer der Anführer, Gemenze William John: "Die LRA hat Maschinengewehre und wir stellen uns dem entgegen, so gut wir können. Mit meinen Pfeilen geht es, weil ich für mein Land kämpfe."
Der umstrittene Status von Abyei, gelegentliche Kämpfe in anderen Regionen und die ständige Bedrohung durch die LRA - es wird keine einfache Geburt für den Südsudan am 9. Juli. Die Menschen des bald jüngsten Staates der Welt haben bereits Jahrzehnte voller Konflikte und Gewalt erduldet. Obwohl der Südsudan für seine Unabhängigkeit kämpft, sind Frieden und Sicherheit absolut ungewiss.
Autoren: Guy Degen / Monika Griebeler
Redaktion: Sean Sinico /tl