Getreide Indien
13. Juli 2013Es ist wohl eines der größten Nahrungsmittel-Subventionsprogramme der Welt. Bis zu 800 Millionen Menschen, also rund zwei Drittel der indischen Bevölkerung sollen davon profitieren. Präsident Pranab Mukherjee unterschrieb kürzlich eine entsprechende Rechtsverordnung (Food Security Bill). Es handelt sich um den jüngsten Versuch, den weit verbreiteten Hunger zu bekämpfen in einem Land, in dem nach Angaben der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) mehr als 200 Millionen Menschen unterernährt sind. Trotz bemerkenswerter Wachstumsraten in den vergangenen zwanzig Jahren rangierte Indien im vergangenen Jahr auf dem Welthunger-Index weit unten: auf Platz 65 (von 79).
"Ein wichtiger Schritt"
Indiens regierende Kongress Partei (INC) bezeichntete die neue Initiative als "Wende im Kampf gegen die Armut". Die neue Verordnung, die noch vom Parlament verabschiedet werden muss, ist umfassender als alle bisherigen Subventionsmaßnahmen zuvor. Rund 75 Prozent der Landbevölkerung und 25 Prozent der Stadtbewohner sollen in Zukunft ein Kilo Reis für drei Rupien (vier Eurocent), Weizen für zwei Rupien und Hirse für eine Rupie kaufen können.
Der renommierte indische Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger Amartya Sen lobt die Initiative: "Dass diese Nahrungsmittel-Subvention jetzt durchgesetzt wurde, ist ein sehr wichtiger Schritt", sagte er gegenüber der deutschen ARD-Korrespondentin in Indien.
Scharfe Kritik
Doch nicht alle sind mit dem Programm der Regierung einverstanden. Manche Experten meinen, das Programm werde den Hunger nicht bekämpfen. Es werde ihn im Gegenteil eher verstärken, prognostiziert die indische Menschenrechts- und Umweltaktivistin Vandana Shiva. Die Gründerin der indischen Stiftung "Foundation for Science Technology Ecology", verurteilt die Maßnahme als "Angriff auf die Nahrungsmittelsicherheit", denn sie vernachlässige den Aspekt der Produktion. "Diese Maßnahme wird den Lebensunterhalt von Millionen Kleinbauern gefährden und so Indiens Eigenständigkeit in der Nahrungsmittel-Produktion bedrohen." Die gewaltigen Finanzmittel seien eher als Subvention für Unternehmen zu betrachten, "denen damit gestattet wird, Indiens Landwirtschaft zu übernehmen". Shiva fordert die Regierung auf, für eine nachhaltige Produktion von gesunden und nahrhaften Lebensmitteln zu sorgen. "Aber an dieser Stelle hat die neue Nahrungsmittelverordnung völlig versagt."
Christian Wagner, Indienexperte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik ist ähnlicher Ansicht:" Ich glaube nicht, dass das Subventions-Programm auf lange Sicht der weit verbreiteten Unterernährung in Indien Herr werden kann", sagt er gegenüber der Deutschen Welle." Er glaubt, dass sich hier ein weiteres "bürokratisches Monster" entwickeln könnte. "Das dringende Anliegen, die Kleinbauern Indiens zu unterstützen, würde dann vernachlässigt werden."
Auch die Kosten und die Implementierung des Programms sind bereits scharf kritisiert worden. Schätzungen zufolge könnte der Subventionsplan den indischen Staat mehr als 17 Milliarden Euro im Jahr kosten. Einige Experte glauben, dass dies Indiens Finanzlage verschlechtern könnte - zu einer Zeit, wo sich das Wirtschaftswachstum verlangsamt. Die jüngsten Zahlen belegen, dass die indische Wirtschaft im letzten Haushaltsjahr nur um fünf Prozent gewachsen ist. Dieses niedrigste Wachstum seit zehn Jahren erhöht den Druck auf die Regierung, die Wirtschaftsreformen voranzutreiben.
Wuchernde Korruption
Der indische Staat unterstützt Menschen unterhalb der Armutsgrenze bereits mit anderen Subventionsprogrammen. Sie können zum Beispiel Kerosin, Kochgas, Düngemittel und Weizen zu niedrigen Preisen erhalten. Aber diese Programme stehen in dem Ruf, unwirksam und von Korruption durchsetzt zu sein. Verschiedene Studien zeigen, dass zwischen 30 und 60 Prozent der subventionierten Nahrungsmittel aus staatlichen Lebensmittelläden verschwinden. Auch das neue Programm laufe Gefahr, durch die weit verbreitete Korruption ineffizient zu werden, meint Südasien-Experte Christian Wagner.
Trotz aller Bedenken und Herausforderungen hält der Journalist Amit Baruah aus Delhi die neuen Subventionsmaßnahmen jedoch für notwendig: "Sie erfordern einen immensen finanziellen Aufwand, aber wenn man an Indiens drängendes Armutsproblem denkt, muss man die Initiative begrüßen. Denn immer noch hat eine riesige Zahl von Menschen keinen Zugang zu Nahrungsmitteln." Da es Indien bisher nicht gelungen sei, das Hunger-Problem zu lösen, sei es gut und richtig, nun hier eine finanzielle Priorität zu setzen.
Stimmenfang vor den Wahlen?
Die gigantische Wohlfahrts-Maßnahme wurde von Sonia Gandhi vorangetrieben. Die Vorsitzende der regierenden Kongress-Partei hat darauf bestanden, ein Wahlversprechen aus dem Jahr 2009 einzuhalten - trotz aller Sorgen über mögliche Auswirkungen auf die Staatsfinanzen und die Nahrungsmittelpreise.
Indische Oppositionsparteien kritisierten jedoch die Minderheitsregierung und warfen ihr vor, das Programm am Parlament vorbei durch das Mittel der Rechtsverordnung durchgesetzt zu haben. Sie betrachten den Schritt der Kongress-Partei als politischen Schachzug, der ihnen Stimmen für eine dritte Amtszeit sichern soll. "Da sind sicher populistische Elemente im Spiel. Politiker handeln oft mit Hintergedanken. Die Regierungskoalition will die Initiative sicher bei den Parlamentswahlen im Mai 2014 zum Top-Thema machen", so Amit Baruah. Kritisiert wurde außerdem, dass es nicht genug Diskussion über die Auswirkungen der Maßnahme gegeben habe.
Um erfolgreich zu sein, müsse das Subventionsprogramm drei Hindernisse überwinden, und das seien "Kosten, Kooperation und Korruption", fasst Indien-Experte Wagner zusammen. Bisher sei unklar, mit welchen Mitteln die Regierung die neuen Subventionen finanzieren will. Eine weitere große Herausforderung ist nach Ansicht des Experten auch die Lagerung der zusätzlich produzierten Nahrungsmittel. Sie sei bislang völlig ungeklärt. Im nordindischen Bundesstaat Punjab verrotten bereits jetzt Tonnen von Getreide im Freien, weil es an Lagerhallen fehlt.