Geteilte Meinung zu Militäreinsätzen
3. Oktober 2014Nach einer langen Debatte verabschiedete das türkische Parlament am Donnerstag (02.10.) ein Mandat für einen möglichen Militäreinsatz in Syrien und im Irak. Den Vorschlag hatte die regierende AKP ins Parlament eingebracht. Die Regierung hat nun ein Jahr lang freie Hand, um dort mit Bodentruppen oder anderen militärischen Mitteln gegen Terrororganisationen vorzugehen.
Zudem soll auch ausländisches Militär türkische Militärstützpunkte und den türkischen Luftraum nutzen dürfen, um gegen den Islamischen Staat (IS) vorzugehen. Dies war der umstrittenste Punkt bei der Debatte im Parlament. Die Opposition verlangte mehr Informationen darüber, welche Staaten involviert seien, wo genau sie sich in der Türkei aufhalten würden und für wie lange. Sie äußerte die Befürchtung, mit ausländischem Militär könne auch ausländischer Terror in die Türkei gelangen. Sowohl die größte Oppositionspartei, die sozialdemokratische CHP, als auch die kurdische HDP hatten vor der Sitzung angekündigt, der Resolution nicht zuzustimmen.
Geteilte Stimmung
Die türkische Bevölkerung steht laut Meinungsforschungsinstitut Metropoll mit 52 Prozent mehrheitlich hinter einem militärischen Vorgehen der Türkei. Immer wieder war Kritik laut geworden, die türkische Regierung gehe nicht gegen den IS-Terror in den Nachbarländern vor. Die Kurden dagegen reagieren unglücklich auf die Entscheidung des Parlaments. In überwiegend von Kurden bewohnten Städten, wie Van, Hakkari und Diyarbakir kam es zu Demonstrationen und Massenkundgebungen. Molotowcocktails seitens der Demonstranten und Wasserwerfer sowie Tränengas seitens der Polizisten kamen zum Einsatz.
Ein Nutzer des Kurznachrichtendienstes Twitter kommentiert die Entscheidung des Parlamentes wie folgt: "Die Kurden glauben nicht, dass die Türkei tatsächlich den IS bekämpfen will". Ein anderer Nutzer hält dagegen und twittert: "Es ist doch klar, dass die Türkei gute Absichten hat. Die einzige Absicht ist es, die Unschuldigen zu beschützen". Eine Facebook-Nutzerin und Anhängerin der Oppositionspartei CHP schreibt als Reaktion auf den Parlamentsbeschluss: "Nun ist Krieg. Unsere Leute und Andere werden wieder sinnlos sterben".
Zwei verschiedene Kriege
Die Resolution bedeute nicht unbedingt, dass die Türkei schon bald militärisch in den Nachbarländern eingreife, so Gareth Jenkins, politischer Analyst in Istanbul. "Das größte Problem ist hier, dass Präsident Erdogan und alle anderen westlichen Staaten, zwei verschiedene Kriege führen wollen. Erdogan spricht stets davon, den syrischen Machthaber Assad beseitigen zu wollen. Die Anti-IS-Koalition will dagegen den Islamischen Staat (IS) zerstören. Die Türkei sagt zwar auch, dass der IS bekämpft werden solle, aber gleichzeitig hätte die türkische Regierung schon mehr gegen ihn unternehmen können", so Jenkins im DW-Gespräch. Es könne nun zu einer Vereinbarung zwischen den USA und der Türkei kommen. "Die USA darf die türkischen Militärstützpunkte und den Luftraum nutzen und im Gegenzug hilft die USA der Türkei im Kampf gegen Assad", so der Politologe.
Was die Möglichkeit für ausländisches Militär aus der Türkei zu operieren bedeutet, sei ein sehr intransparenter Punkt, so Jenkins. "Es sind noch immer keine spezifischen Staaten genannt oder Orte. Doch es ist zu erwarten, dass die Militärstation Incirlik nahe der syrischen Grenze von der Koalition genutzt werden könnte. Es ist jedoch sehr unwahrscheinlich, dass beispielsweise amerikanische Bodentruppen in der Türkei stationiert werden. US-Präsident Obama hat sich bereits gegen Bodentruppen ausgesprochen", so der Politologe. Auch die von der türkischen Regierung geforderte Sicherheits- und Flugverbotszone in Syrien oder vielleicht auch im Irak, sei noch unklar. "Noch immer weiß niemand genau, wo sich diese befinden soll und ob sie überhaupt eingerichtet wird", sagt Jenkins. Die Resolution sei sehr vage.
Kurden trauen der türkischen Regierung nicht
Vor allem die Kurden glauben nicht, dass die türkische Regierung die IS-Terroristen direkt bekämpfen wolle, so Jenkins. "Viele syrische Kurden glauben, dass die Türkei Waffen an die IS liefert. Ob das nun wahr ist oder nicht - wichtig ist, dass es in den Köpfen der Menschen verankert ist“, so der Analyst.
Es sei unklar, was die türkische Regierung tatsächlich vorhabe, findet auch der Politologe und Kolumnist Cengiz Aktar, der unter anderem am Istanbul Policy Center (IPC) arbeitet. "Die Resolution ermächtigt das türkische Militär, terroristische Organisationen in Syrien und im Irak zu bekämpfen. Wir alle wissen, dass die PKK sowie die PYD (die kurdische Partei in Syrien; Anm. d. Red.), die der PKK nahe steht und sich in Syrien befindet, in den Augen der türkischen Regierung terroristische Organisationen sind. Es sind sehr viele Fragen offen, wenn es darum geht, gegen wen die Türkei tatsächlich vorgehen wird. Der Friedensprozess mit der PKK ist dadurch enorm gefährdet", so Aktar im DW-Gespräch. Daher sei es wichtig, dass nun Taten folgen und nicht mehr nur geredet werde, so Aktar. "Dadurch erkennen wir dann alle, was die türkische Regierung vorhat, ob sie tatsächlich den IS bekämpfen will und damit meine ich auch die logistischen Routen der IS – auch innerhalb der Türkei."