Gesicht zeigen
15. März 2010Es ist ein beliebtes Spiel bei den jungen Freiwilligenhelfern hier in Vancouver und Whistler: Welchen Star darf ich zum Medal Plaza führen, welchen Olympiasieger darf ich im Auto herumkutschieren, welcher Legende darf ich das Essen servieren. Bei den Olympischen Spielen kam so etwas oft vor. Bei den Paralympischen Spielen dagegen fällt das Spiel meistens aus. Denn die so genannten Volonteers (er-)kennen die meisten Behindertensportler gar nicht. Am vergangenen Freitag aber waren sich Kim und Kathi ziemlich sicher, diese eine Person zu kennen. Aber eine Speerwerferin bei den Paralympischen Winterspielen? Nein, da müssen sie sich getäuscht haben.
Haben sie aber nicht. Aber was macht Steffi Nerius hier in Vancouver und Whistler? Die Antwort: Gesicht zeigen. „Ich bin mittlerweile Botschafterin für den Behindertensport geworden“, erklärt sie. Deutschlands Sportlerin des Jahres 2009 ist nicht – wie es auf den ersten Blick vielleicht scheinen mag - zufällig für diesen Job angefragt worden. Steffi Nerius ist eine ausgewiesene Expertin im Behindertensport: „Ich bin Diplom-Sportlehrerin mit Schwerpunkt Rehabilitation und Behindertensport.“
Berührungsängste abbauen
Entscheidend für diesen Berufsweg war die Zeit bei ihrem letzten Verein in Leverkusen. „Der Verein ist bekannt für seine integrative Arbeit von Behinderten- und Nichtbehindertensport“, erzählt Steffi Nerius. Seit 1991 trainiere sie in diesem Verein und von Anfang an hätten dort Behindertensportler mit Nichtbehinderten zusammen trainiert. „Da kommen erst gar keine Berührungsängste auf.“. Bereits 2002, noch während ihrer aktive Karriere, kam das Angebot vom Verein, als Trainerin im Behindertensport in der Leichtathletik zu arbeiten.
Sie hat angenommen. Sieben Jahre lang war das Trainieren der Leichtathletik-Nachwuchstalente mit einer Behinderung ein Teilzeitjob für Steffi Nerius, neben ihrem eigenen Training. Vor einem halben Jahr dann der letzte ruhmreiche Auftritt der 37-Jährigen als aktive Sportlerin. Sie wurde im eigenen Land Weltmeisterin. Jetzt konzentriert sie sich vollkommen auf die Arbeit mit den Sportlern mit Behinderung. Eine große Umstellung sei das für sie nicht gewesen. Von der Trainingsmethodik sei gar kein Unterschied zu erkennen.
Perspektivwechsel
„Das einzige ist, dass man kreativer arbeiten muss, weil man mit den Orthopädietechnikern zusammen arbeiten muss.“ Denn sie muss nachvollziehen können, wie eine Prothese funktioniert. Ein Unterschied sei zudem der psychologische Aspekt: Haben die Sportler die Behinderung seit der Geburt, wodurch die Behinderung meist schnell und früh akzeptiert werde. „Bei einem Unfall dagegen muss man erst mal abklopfen. Ob die Athleten tatsächlich schon über der Behinderung stehen.
Das zu akzeptieren, was man hat und kann und daraus das Beste machen. Mit diesem Motto begegnet Steffi Nerius auch den ständigen Fragen der Journalisten, ob oder inwieweit der Behindertensport sowohl sportlich, finanziell als auch gesellschaftlich mit dem Nichtbehindertensport vergleichbar sei. „Ich denke, wenn man sich die Entwicklung der letzten Jahre anguckt, ist es auch schon viel besser geworden und insofern sollte man sich daran orientieren und nicht immer den Vergleich mit den Nichtbehinderten machen.
Stattdessen vergleicht Steffi Nerius den Behindertensport vor 20 Jahren und wo er heute steht: „Und da denke ich, gehen wir einen guten Weg.“
Autor: Sarah Faupel
Redaktion: Joachim Falkenhagen