Gesetz gegen Kinderehen muss überarbeitet werden
29. März 2023Wer in Deutschland lebt und jünger als 16 Jahre ist, kann rechtlich nicht verheiratet sein. Nie. Das regelt seit 2017 ein Bundesgesetz. Doch der Bundestag muss dieses Verbot von sogenannten Kinderehen überarbeiten, um es zu sichern. Dazu verpflichtete das Bundesverfassungsgericht am Mittwoch den Gesetzgeber.
Demnach sei das "Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen" in jetziger Form mit dem Grundgesetz unvereinbar. Deshalb solle der Gesetzgeber bis Mitte des Jahres 2024 die Auswirkungen des gesetzlichen Verbots konkretisieren und offene Fragen klären. Dabei verweist der Erste Senat des höchsten deutschen Gerichts auf mögliche Unterhaltsansprüche und auf eine notwendige Klärung von Möglichkeiten, eine solche Ehe nach Erreichen der Volljährigkeit wirksam führen zu können. Das heißt: Die zuständigen deutschen Behörden werden stärker eingebunden und gefordert.
14-Jährige Braut
Der jetzigen Entscheidung des höchsten deutschen Gerichts liegt ein asylrechtlicher Streit zugrunde, der seinen Ausgangspunkt im Jahr 2015 hatte. Damals ging es um zwei syrische Staatsangehörige, einen im Januar 1994 geborenen Mann und eine im Januar 2001 geborene Frau, die noch in Syrien vor einem Scharia-Gericht in Syrien nach dem dortigen Recht eine Ehe geschlossen hatten - und dann im August 1995 als Flüchtlinge nach Deutschland kamen.
Das zuständige örtliche Jugendamt nahm die junge Frau in Obhut und brachte sie in einer Jugendhilfeeinrichtung für weibliche minderjährige unbegleitete Flüchtlinge unter. Zudem ordnete damals ein Familiengericht eine Vormundschaft für die damals 14-jährige an und bestellte das Jugendamt zum Amtsvormund. Dem folgte eine rechtliche Auseinandersetzung und die gesetzliche Klarstellung des Jahres 2017. Aber die Grundsatzfrage blieb: Wie verhält sich die Gültigkeit einer im Ausland geschlossenen Ehe zu einem Verbot im deutschen Recht? Der Bundesgerichtshof verwies die Klärung dieser Frage an die Karlsruher Richter.
So muss der Gesetzgeber während der kommenden 15 Monate das Verbot präzisieren, um seinen Bestand zu sichern. Das scheint durchaus möglich, denn im Gesetzgebungsverfahren 2017, als die sogenannte große Koalition von Union und SPD regierte und das Gesetz vorlegte, drängte vor allem die SPD und ihr Bundesjustizminister Heiko Maas auf die Regelung. Und die Sozialdemokraten sind, nun in der Ampel führend, nach wie vor in der Regierung.
Fälle meist aus Syrien, Afghanistan, dem Irak
Seit 2017 ist es in Deutschland erst möglich, zu heiraten, wenn beide Partner mindestens 18 Jahre alt sind. Bereits geschlossene Ehen, bei denen mindestens ein Partner unter 16 Jahren ist, werden als null und nichtig eingestuft und sind damit ungültig. Bei 16- und 17-Jährigen soll die Ehe in der Regel aufgehoben werden müssen, was einer Scheidung gleichkäme. Ausnahmen sollen bei dieser Altersgruppe aber möglich sein. In diesen Fällen soll das Familiengericht nach einer Anhörung der Minderjährigen und des Jugendamtes entscheiden.
Dass solche Fälle nicht nur seltene Einzelfälle sind, zeigen Zahlen des Bundesinnenministeriums. Demnach waren 2017 deutschlandweit 1475 Minderjährige als verheiratet erfasst. Viele von ihnen kamen aus Syrien, Afghanistan und dem Irak, weitere aus Bulgarien und Rumänien. Im Hintergrund stehen religiöse oder kulturelle Traditionen. Weltweit gibt es nach Schätzungen bis zu 700 Millionen Ehen mit Minderjährigen.
Übrigens sah das deutsche Recht noch bis 1974 unterschiedliche Altersvorgaben für Männer und Frauen vor. Junge Männer mussten 21 Jahre alt sein und durften in Ausnahmefällen nach einer gerichtlichen Entscheidung mit 18 Jahren heiraten. Bei jungen Frauen lag diese Mindestalter-Grenze bei 16 Jahren. Aber dazu brauchte es bei ihr die Zustimmung der Eltern oder des rechtlichen Vormunds. Also ist das rechtliche Ehe-Alter in Deutschland seit noch nicht einmal 50 Jahren im Regelfall auf mindestens 18 Jahre festgelegt. Über Ausnahmefälle musste ein Familiengericht entscheiden.
In der politischen Debatte 2017 hatte sich die Organisation "Terre des femmes" vehement für ein solches Verbot von Kinderehen eingesetzt. Sie verwies damals auf den Schutz von Mädchen, die unter dem Alter von 16 Jahren verheiratet wurden. Und hinter der Warnung vor Kinderehen steht auch die Furcht vor Zwangsverheiratungen.
Weitere Änderungen?
Nun begrüßte "Terre des femmes" die Entscheidung der Karlsruher Richter. Denn im Grundsatz sei die generelle Nichtigkeit von Eheschließungen mit unter 16-Jährigen verfassungskonform - die Regelung müsse nur nachgebessert werden. Im bisherigen Gesetz fehlten die genaueren Regelungen zu möglichen Rechtsfolgen.
Wesentlich ist nach Einschätzung der Nichtregierungsorganisation, dass der Schutz von Minderjährigen gestärkt bleibe. Und "Terre des femmes" verweist auf die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, dass Deutschland in Einklang mit dem Bemühen der Vereinten Nationen handele, die Frühehen mit unter Sechzehnjährigen weltweit ächten wollten.
Für die in Kürze anstehende Neufassung oder Konkretisierung des Gesetzes äußert "Terre des femmes" weitere Erwartungen, die gewiss bei den parlamentarischen Beratungen zur Sprache kommen werden. So brauche es die genaue Erfassung von Frühehen und eine behördliche Meldepflicht. Und jede verheiratete Minderjährige müsse durch das zuständige Jugendamt betreut und über längere Zeit über ihre Rechte informiert werden. Und "Terre des Femmes" weitet den Blick bei seiner Mahnung aus. Auch junge Volljährige, die verheiratet seien, stellten eine "vulnerable Gruppe" dar und bräuchten umfassende Beratung.