1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Geschichte einer Depression

24. November 2009

Die deutsche Regisseurin Sandra Nettelbeck hat sich intensiv mit der Krankheit befasst. "Helen" enstand in Hollywood mit dem Star Ashley Judd in der Hauptrolle. Ein Gespräch mit der Regisseurin.

https://p.dw.com/p/Ke4A
Junges Mädchen und Mann schauen betreten drein (Foto: 2009 Warner Bros. Ent.)
Tochter und Ehemann bangen: "Helen"Bild: 2009 Warner Bros. Ent.

DW-World.de: Wie ist Ihr Film ursprünglich entstanden? Was war die Keimzelle für den Film?

Sandra Nettelbeck: Ich habe 1998 im "New Yorker" einen Artikel von Andrew Solomon gelesen. Der Artikel berichtete von seiner persönlichen Erfahrung mit einer schweren Depression und beschrieb, was er damals durchgemacht hat. Eine Depression, die er überlebt und über die er ein Buch geschrieben hat (Deutsch: "Saturns Schatten"). Ich hatte bis zu dem Zeitpunkt noch nie dergleichen gelesen. Es war ein Artikel mit viel Hintergrundwissen: Mit der ausführlichen Berichterstattung über die Medikamente, was er alles getan hat und welche Ausmaße seine Depression angenommen hat, welche körperlichen Symptome er bekommen hat und wie schwerwiegend es tatsächlich war. Das war für mich völliges Neuland und hat viele Erinnerungen in mir wachgerufen. Von einer Freundin, die sich drei Jahre vorher das Leben genommen hat. Die sehr lange krank gewesen ist. Mit der ich zusammen aufgewachsen bin. Ich habe das sehr intensiv miterlebt, wusste aber nicht wirklich, was mit ihr war. Die Diagnosen gingen hin und her und es war nicht wirklich klar, was eigentlich mit ihr war. Sie hat sich dann nach zwölf Jahren schwerer Krankheit umgebracht.

Eine Frau am windigen Strand stehen (Foto: 2009 Warner Bros. Ent.)
Depressiv: Helen (Ashley Judd) am Strand - Szene aus Sandra Nettelbecks FilmBild: 2009 Warner Bros. Ent.

Diesen Artikel zu lesen, hat mich dazu motiviert drei Jahre später anzufangen an dem Projekt zu arbeiten. Ich wollte die Geschichte einer Depression erzählen im Leben von Menschen, denen es gut geht, die alles haben, die glücklich sind, die sich lieben und denen diese trotzdem widerfährt. Um ein für allem Mal mit einem Missverständnis aufzuräumen. Die Leute fragen alle immer nach dem "Warum". Auf diese Frage gibt es keine Antwort. Die Depression ist eine Krankheit, die kann jeden treffen. Das war in erster Linie die Geschichte, die ich erzählen wollte.

Schwierige filmische Umsetzung

Nun ist das ja eine Krankheit, die man nach außen erst einmal nicht so deutlich sieht. Das ist ja für einen Film sehr schwer darzustellen. Wie sind Sie da vorgegangen das filmisch zu verpacken?

Porträt der Regisseurin Sandra Nettelbeck (Foto: AP Photo/ KEYSTONE/ Alessandro della Valle)
Sandra NettelbeckBild: AP

"Das war eine lange, schwierige Zeit der Entwicklung und des Drehbuchsschreibens und des Umschreibens. Es ist eine wahnsinnig schwierige Sache gewesen, weil die Depression als solche sich ja jeder Dramaturgie entzieht. Weil sie den Zusammenbruch von Kommunikation bedeutet. Die Menschen ziehen sich immer weiter zurück, teilen sich immer weniger mit und liefern insofern nichts, was einen Film dramaturgisch nach vorne bringt. Man darf die Entwicklung dieser Krankheit nicht zu schnell und nicht zu langsam erzählen. Wenn man das zu schnell macht, wird sie unglaubwürdig. Wenn man das zu langsam erzählt, wird sie unerträglich in einem Film. Das war eine ganz schwierige Sache.

Da ist viel im Schnitt entstanden. Es sind auch viele Sachen rausgefallen, die wir noch gedreht hatten, die auch diese Entwicklung noch mit erzählt haben, wo es aber dann einfach für den Film zu lang wurde. Das ist schwer gewesen. Ich hoffe, dass es mir gelungen ist, weil ich einerseits bei der Hauptfigur bleiben wollte um aus ihrer Perspektive zu erzählen. Ich wollte nicht diese Patient-Angehörige-Geschichte machen, wo die Leute immer von außen betrachtet werden. Ich wollte schon sehr dicht bei ihr bleiben. Und trotzdem braucht man natürlich die Figuren um Sie herum, die das wahrnehmen, so wie wir das wahrnehmen, also den Ehemann und die Tochter, die Studenten, die merken, dass sich etwas bei Ihr tut, was sie nicht wirklich durchschauen, wo sie nicht wirklich wissen, wo das hinführt.

Eine junge Frau und ein Mann sitzen auf zwei Bänken am Meer (Foto: 2009 Warner Bros. Ent.)
Die Freundin und der Ehemann (Laureen Lee Smith und Goran Visnjic) in "Helen"Bild: 2009 Warner Bros. Ent.

Freunde und Familie sind wichtig - aber nicht ausreichend

Sie haben ja schon gesagt, die Krankheit kann jeden befallen. Nun gibt es verschiedene Mittel oder auch Wege dagegen anzukämpfen. Welche Rolle spielt die Familie bei der Krankheit? Oder auch Freunde?

Also Freunde und Angehörige spielen insofern eine wichtige Rolle, weil sie Unterstützung bedeuten können, Kraft bedeuten können, Hilfe bedeuten können. Insofern, dass man jemandem helfen kann, sich Hilfe zu suchen. Ich glaube nicht, dass die Familie und die Freunde jemanden heilen oder retten können. Das können tatsächlich - wenn es sich um eine schwere Form der Krankheit handelt - nur Fachleute. Da werden Medikamente gebraucht. Da wird eine Betreuung gebraucht, die ist für Angehörige schlicht und ergreifend eine Überforderung. Weil ganz oft ein Verhältnis entsteht, in dem der Kranke den Anderen das Gefühl geben möchte, dass sie ihm helfen können. Was schlicht nicht der Fall ist! Das bedeutet unter Umständen nur noch eine zusätzliche Belastung für denjenigen, den es betrifft.

Frau und Mädchen am Tisch machen Schularbeiten (Foto: 2009 Warner Bros. Ent.)
Helen (Ashley Judd) hilft ihrer Tochter Julie (Alexia Fast) bei den HausaufgabenBild: 2009 Warner Bros. Ent.

Ich glaube für die Angehörigen und für die Freunde ist es am aller schwersten auszuhalten, dass man tatsächlich sehr wenig oder vielleicht auch gar nichts tun kann. Das man zwar für jemanden da sein kann, was auch sehr wichtig ist, aber man nicht tatsächlich helfen kann in dem Sinne, dass es ihm dann besser geht, wenn man sich unterhält oder wenn man ein leckeres Essen kocht oder dafür sorgt, dass er auch schlafen kann. Das sind alles Dinge, die reichen nicht. Die sind zwar auch wichtig, aber sie reichen nicht.

Das Interview führte Jochen Kürten

Redaktion: Conny Paul