Schutz vor Völkermord?
18. Mai 2009
Als die UNO-Generalversammlung am 9. Dezember 1948 die "Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes" beschloss, existierte der Begriff im deutschen Sprachgebrauch bereits seit über 100 Jahren. 1831 kritisierte der Lyriker August Graf von Platen in seinen "Polenliedern" die Unterdrückung Polens durch das zaristische Russland und forderte "die Bestrafung der 'Dschingiskane', die nur des Mords noch pflegen und nicht der Schlacht, des Völkermords".
Doch bis der Begriff schließlich Aufnahme fand in das Völkerrecht und in nationale Strafgesetzbücher, geschahen noch eine Reihe schwerer Verbrechen, die alle die in der Konvention vereinbarte Definition von Völkermord erfüllen. Darunter die Ausrottung der Indianer in Nordamerika, die Vernichtung von Volksstämmen in Afrika, Asien und Lateinamerika durch die europäischen Kolonialherren oder der türkische Genozid an den Armeniern. Erst der von Hitlerdeutschland verübte Holocaust an den europäischen Juden und die Verbrechen der Nazis an den Bevölkerungen Russlands, Polens und anderer osteuropäischer Staaten erzeugten den erforderlichen politisch-moralischen Druck zur Vereinbarung einer internationalen Strafnorm.
Abschreckende Wirkung gering
1944 schuf der polnisch-jüdische Rechtsanwalt Raphael Lemkin den Begriff Genozid - zusammengesetzt aus "genos", dem griechischen Wort für Rasse oder Volk, und "caedare",´dem lateinischen Verb für "ermorden". Er machte erste Textvorschläge für die UNO-Konvention von 1948. Darin wird schließlich "Völkermord" definiert als "Handlungen, begangen in der Absicht, eine nationale, ethnisch, rassische oder religiöse Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören". Ein erster Entwurf für die Konvention hatte auch die Aufnahme politischer, sozialer und wirtschaftlicher Gruppen vorgesehen. Doch dieser Vorschlag scheiterte am Widerspruch der Sowjetunion.
Zumindest bis zum Ende des Kalten Krieges entfaltete die Genozidkonvention kaum abschreckende Wirkung. Ihr fehlten Durchsetzungs- und Sanktionsmechanismen. Dabei hatte die UNO-Generalversammlung bereits 1946 die Schaffung eines Internationalen Strafgerichtshofes gefordert, der für die Verfolgung von Völkermord zuständig sein sollte. Außerdem für die bereits vom Nürnberger Gerichtshof über die Nazis verhandelten Verbrechen gegen die Menschheit, Kriegsverbrechen und Angriffskriegen. Doch die fünf ständigen Mitglieder des UNO-Sicherheitsrats verhinderten die Umsetzung dieses Beschlusses und schützten sich damit vor Strafverfolgung wegen ihrer eigenen Verbrechen – unter anderem die der USA in Vietnam, der Sowjetunion in Afghanistan oder Frankreichs in Algerien.
Unzureichende Früherkennung
Die erste Anklage wegen Völkermord erhob das 1993 vom UN-Sicherheitsrat geschaffene Sondertribunal für Ex-Jugoslawien. Die erste Verurteilung wegen Völkermordes erfolgte 1998 durch das Ruanda-Tribunal. Im selben Jahr wurde endlich der Internationale Strafgerichtshof geschaffen, der inzwischen mit dem sudanesischen Präsidenten Omar al-Baschir erstmals einen amtierenden Staatschef angeklagt hat. Die abschätzige Reaktion Al-Baschirs und seiner afrikanischen Amtskollegen auf diese Anklage deutet allerdings nicht darauf hin, dass die Völkermordkonvention seit Schaffung des Strafgerichtshofes eine größere Abschreckungswirkung entwickelt hätte.
Doch immerhin existiert mit dem Strafgerichtshof das notwendige Instrumentarium zur weltweiten Bestrafung von Völkermord. Große Defizite bleiben allerdings mit Blick auf die Verhütung, zur der sich die 189 Unterzeichnerstaaten der Genozidkonvention ja ebenfalls verpflichtet haben. Unerlässlich für die rechtzeitige Früherkennung wäre eine im Rahmen der UNO vereinbarte Liste von Indikatoren für einen drohenden Völkermord. Indikatoren, wie die in Ruanda, wo es schriftliche Mordpläne der Hutus gegen die Tutsis gab, eine monatelange Hasspropaganda über das Radio verbreitet wurde und wo Waffen an die späteren Täter ausgegeben wurden. Und damit - anders als im Fall Ruanda - bei Vorliegen dieser Indikatoren auch gehandelt wird, muss konkretisiert werden, wie Informationen innerhalb der UNO weitergegeben werden und in welchen Schritten Entscheidungen getroffen werden. Dazu braucht es endlich ein verbindliches Verfahren bis zum UN-Sicherheitsrat.
Autor:
Andreas Zumach ist UNO-Experte und Korrespondent in Genf. Er schreibt und berichtet für Rundfunk und Zeitungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz.
Redaktion: Ulrike Mast-Kirschning (stl)