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Gemeinsames Erbe von Deutschen und Polen

Michael Brückner19. Januar 2004

Wenn es um die Erforschung des kulturellen Erbes geht, funktioniert die deutsch-polnische Zusammenarbeit meist einvernehmlich und erfolgreich. Was bei der schwierigen Vergangenheit keine Selbstverständlichkeit ist.

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Über Architekturgeschichte zur Versöhnung? Wroclaw / Breslau in SchlesienBild: transit-Archiv

Im deutsch-polnischen Verhältnis vollzieht sich das Positive oft im Stillen, während alte Traumata gerne lautstark gepflegt werden. So schlug der Streit um ein vom deutschen "Bund der Vertriebenen" angekündigtes "Zentrum gegen Vertreibungen" in Berlin im Sommer 2003 hohe Wellen. 58 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und 13 Jahre nach der endgültigen völkerrechtlichen Anerkennung der nach diesem Krieg neu gezogenen Grenzen sind die Wunden von Überfall, Krieg und Vertreibung noch nicht geheilt. Doch wenn es um die Pflege des kulturellen Erbes geht, ist von der breiten Öffentlichkeit fast unbemerkt eine fruchtbare und lebendige Zusammenarbeit entstanden.

Annahme der Vergangenheit

Deutsche Wissenschaftler, die sich mit Geschichte und Kultur Schlesiens oder Ostpreußens beschäftigen, werden von ihren polnischen Kollegen mit offenen Armen empfangen. "Wir Deutsche kommen oft gar nicht aus dem Staunen heraus, mit welcher Rasanz und Intensität sich in Polen eine Zuwendung an die vorgefundenen Geschichte auch dort vollzieht, wo es keine nationalpolitische Vergangenheit gab", bemerkte der Stuttgarter Historiker Norbert Conrads schon 2001 bei der Eröffnung des "Schlesischen Museums" in der deutsch-polnischen Grenzstadt Görlitz.

Gemeinsam Forschen

Der Generalkonservator der Republik Polen, Andrzej Tomaszewski, setzte in den 1990er Jahren durch, dass das Symbol der Herrschaft des Deutschen Ordens im Osten, die Marienburg, sowie die ehemals preußische Stadt Thorn in die Unesco Weltkulturerbeliste aufgenommen wurden. Für seine Verdienste um die Denkmalpflege erhielt Tomaszewski dann Ende 2003 dem renommierten deutschen Georg-Dehio-Kulturpreis.

Für 2004 ist denn auch ein von deutschen und polnischen Kunsthistorikern gemeinsam bearbeiteter "Dehio-Schlesien" angekündigt. Der Name Dehio steht seit bald 100 Jahren für das Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler, sozusagen die Bibel des kunsthistorischen Erbes der Nation.

Keine Berührungsängste

"Die polnische Denkmalpflege ist wirklich hervorragend", weiß auch Christiane Salge, Professorin an der Freien Universität Berlin zu berichten. Ihr Lehrer, der Architekturhistoriker Hellmut Lorenz, reiste seit der Wende regelmäßig mit Studenten nach Polen. Unter anderem stellte er dabei eine Dokumentation sämtlicher Herrenhäuser im historischen Brandenburg zusammen. Da auch ein Teil des alten Brandenburg heute zu Polen gehört, war man auf die Hilfe polnischer Kollegen angewiesen. "Wir haben fast beschämend gute Erfahrungen mit der Gastfreundschaft in Polen gemacht", sagt sie gegenüber DW-WORLD. "In Polen hat man sich viel mehr mit dem Erbe beschäftigt als zum Beispiel in der ehemaligen DDR". Und das obwohl die Bewohner der ehemals deutschen Gebiete selbst Vertriebene gewesen sind.

Was Polen im Westen von den Alliierten dazubekam, wurde ihm im Osten von der Sowjetunion weggenommen: Die Bewohner Galiziens zum Beispiel wurden nach Schlesien "verschoben". Die altehrwürdige polnische Universität Lemberg zog aus ihrer nun ukrainisch gewordenen Stadt nach Breslau und beerbte so die dortige preußische Universität.

Vertriebene auf beiden Seiten

Polnische Zeithistoriker sprechen vom heutigen Breslau als "der Stadt, in der keiner zu Hause ist" und sehen im Schicksal der Vertreibung eigentlich eine Gemeinsamkeit zwischen Polen und Deutschen, die in Deutschland allerdings viel zu wenig bewusst ist. Nach dem Krieg wurde von der historischen Altstadt gerettet, was zu retten war. Die schon zu kommunistischen Zeiten im westlichen Ausland hoch geschätzten polnischen Restaurateure leisteten beeindruckende Arbeit und der in West- wie in Ostdeutschland oft ideologisch begründete Abrisswahn der Nachkriegszeit entfaltete hier keine Wirkung. Mittlerweile trägt die Stadt sogar wieder das ihr von Kaiser Karl V. verliehene alte Wappen.

Um die kulturellen Begegnungen weiter zu verbreitern und zu vertiefen, plant die deutschen Kulturstaatsministerin Christina Weiss zusammen mit ihrem polnischen Kollegen Waldemar Dabrowski ein auf zwei Jahre angelegtes Projekt deutsch-polnischer Kulturbegegnungen ab 2005. Ähnlich wie bei den in diesem Jahr (2004) zu Ende gehenden deutsch-russischen Kulturbegegnungen soll sich dabei jeweils ein ganzes Jahr lang das eine Land beim Nachbarn ausführlich vorstellen.