Transferunion
16. September 2011"No bailout" - keine Haftung für Verbindlichkeiten eines anderen Mitgliedstaates, so steht es im Artikel 125 des EU-Vertrages. Eine Regel, mit der insbesondere die Deutschen 1992 im Vertrag von Maastricht sicherstellen wollten, dass der Euro so stabil sein würde wie die D-Mark es war. Knapp zwei Jahrzehnte später soll die Union mit milliardenschweren Rettungsschirmen vor dem Untergang bewahrt werden. Wie konnte es so weit kommen? Viele Wirtschaftswissenschaftler stellen sich diese Frage nicht, für sie ist die Entwicklung wenig überraschend.
Professor Jürgen Donges, bis 2002 einer der "Fünf Weisen", wie der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung auch genannt wird, erinnert an das "Manifest der 62", mit dem deutsche Ökonomieprofessoren schon 1993 vor einer Transfer-Union warnten. "Wir haben Länder zusammengefügt, die sich realwirtschaftlich fundamental unterscheiden, was das Wachstumspotenzial und die Wettbewerbsfähigkeit angeht. Das wurde aber einfach vom Tisch gewischt, weil das Ganze ja ein politisches Projekt war", so Donges heute.
Donges spricht von Konstruktionsfehlern. Da jeder Staat in der Währungsunion weiter seine eigene Wirtschafts- und Finanzpolitik betreiben konnte, habe es gar keiner Finanzkrise bedurft, um in die Misere zu laufen. Die habe nur beschleunigend gewirkt. Eine These, für die den Initiatoren und Unterzeichnern des 'Manifest der 62' oft Schwarzmalerei oder auch europafeindliche Motive vorgeworfen wurden.
"Eine Illusion"
Auch vom Wirtschaftswissenschaftler Otmar Issing, bis 2006 Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank: "Ich habe gedacht, dass der Druck des gemeinsamen Geldes und einer einheitlichen Geldpolitik sehr viel stärker zu einer Veränderung der Politik in einzelnen Ländern führen würde. Das war eine Illusion." Issing teilt inzwischen die Meinung des früheren EU-Kommissar Mario Monti: "Der hat mir gesagt, wir seien zu lange zu höflich zueinander gewesen. Damit meinte er natürlich nicht, dass man sich anschreien soll, sondern dass man in den zuständigen Gremien einander klipp und klar die Wahrheit sagen sollte. Und das ist so gut wie überall unterblieben."
Die Krise der Währungsunion, so sagt Issing, sei Folge des laufenden Verstoßes gegen unterschriebene Verträge. Und jetzt? Ist der Euro-Raum an einem Punkt angelangt, an dem es keine Alternative mehr zu einer Risiko-, Haftungs- und Transferunion gibt? Der Ökonom Donges bejaht diese Frage. Das gemeinsame Krisenmanagement produziere einen negativen Verhaltensanreiz nach dem anderen, gipfelnd im Europäischen Stabilisierungsmechanismus ESM, der am 1. Juli 2013 in Kraft treten soll. "Man räumt praktisch jedem Staat ab 2013 ein potenzielles Erpressungspotenzial ein, denn jedes Land muss sich ja nur als systemisch relevant darstellen und sagen, ich bringe den ganzen Euroraum durcheinander. Dann müssen ja sofort alle in die gemeinsame Haftung eintreten." Oder, um es flapsiger zu formulieren: Wir können doch ruhig mal Fünf gerade sein lassen, die Deutschen helfen uns doch sowieso."
Falsche Anreize
Dabei haben Spanien und Italien nach Meinung der Ökonomen durchaus ausreichend Wachstumspotenzial. Aber warum sollten sie sich anstrengen und darüber hinaus auch noch sparen, wenn man für eine schlechte Wirtschafts- und Finanzpolitik, die über die gemeinsame Währung die anderen in Mitleidenschaft zieht, mit der Solidarität der anderen belohnt wird. Gute Politik wird dagegen bestraft, weil man für die anderen in die Bresche springen muss. "Eine Perversion des Solidargedankens" nennt das Otmar Issing.
Und nennt ein Beispiel: Als die Zinsen für italienische Staatsanleihen massiv stiegen, habe die italienische Regierung innerhalb von drei Tagen ein Sparpaket auf den Weg gebracht - in einem Land, das ansonsten Jahre braucht, um eine Verkehrsregel zu ändern. "Aber als dann die Europäische Zentralbank zwei Wochen später begann, auf den Finanzmärkten zu intervenieren, haben die Italiener das Sparpaket sofort wieder verwässert. Postwendend."
Druck aufbauen, Druck aushalten und notfalls mit den Konsequenzen leben, das scheint für die Ökonomen der einzige Ausweg zu sein, der die Währungsunion langfristig aus der Misere führen kann. Die Idee, mit Eurobonds das Risiko auf die Gemeinschaft zu verlagern, lehnen sie als kontraproduktiv ab. Und eine europäische Wirtschaftsregierung scheint unter den derzeitigen Umständen illusionär. Für den Augenblick, so viel ist klar, sehen auch Wirtschaftswissenschaftler keine Alternative zu den milliardenschweren Rettungsschirmen.
Schuldenschnitt nötig
Allerdings, so betont Clemens Fuest, Professor an der Oxford University, würden sich Rettungsschirme und die Insolvenz eines Mitgliedslandes nicht widersprechen. "Griechenland braucht einen Schuldenschnitt. Denn nur dann werden die Gläubiger in Zukunft vorsichtiger sein und nur so können wir in Zukunft die Verschuldung in Grenzen halten." Ein Insolvenzverfahren sei nötig, um die richtigen Anreize in den Kapitalmärkten zu setzen, "aber wir können das in der aktuellen Lage nur unterstützt durch Rettungsschirme."
Zu bedenken sei auch, dass es für Griechenland nach einem Schuldenschnitt unmöglich sein müsse, so wie bisher weiter wirtschaften zu können. Frei nach dem Motto: Dann gibt es eben den nächsten Schuldenschnitt. Allein der Appell an die 'good governance', an die Bereitschaft, seine Wirtschafts- und Finanzpolitik ordentlich zu betreiben, auch im eigenen Interesse, werde da aber nicht ausreichen. Die Ökonomen plädieren dafür, dass im zukünftigen Europäischen Stabilisierungs-Mechanismus der Grundsatz, dass jeder die Folgen für sein Handeln tragen muss, stärker berücksichtigt werden soll. Die Gemeinschaft dürfe sich nicht erpressbar machen. An die Bundesregierung gerichtet mündet das in einem eindeutigen Rat: Sie solle schnell lernen, auch mal 'Nein' zu sagen.
Autorin: Sabine Kinkartz
Redaktion: Rolf Wenkel