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Ein Projekt macht Schule

Anna Kuhn-Osius1. Dezember 2008

Gegen Rassismus und Diskriminierung im alltäglichen Miteinander, zum Beispiel unter Kindern und Jugendlichen auf Schulhöfen, kämpft das Projekt "Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage". Ein EU-Projekt mit Erfolg.

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Am Eingang des Nikolaus August Otto Berufskolleg in Köln-Deutz hängt das Schild 'Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage' (Foto: Armin Ahlheim)
Am Eingang des Nikolaus August Otto Berufskolleg in Köln-DeutzBild: Armin Ahlheim
Sprayen für gegenseitiges Verständnis: Grafifiti-Workshop am Berufskolleg in Köln-Deutz (Foto: Armin Ahlheim)
Sprayen für gegenseitiges VerständnisBild: Armin Ahlheim

10 Uhr morgens an der Berufsschule im Kölner Stadtteil Deutz. Eigentlich hätten die Schüler jetzt Technikunterricht. Aber heute ist alles anders: Heute ist Aktionstag - gegen Rassismus und für Integration. Eine Gruppe von Teenagern sprüht bunte Graffitis auf die grauen Mauern der Schule. Im Nachbarraum diskutieren einige Schüler mit einem alten Mann, der berichtet, wie er als Kind in einem nationalsozialistischen Konzentrationslager gequält wurde. Auf dem Schulhof üben ein paar Jungs Breakdance.

Die Hälfte der Gruppe sind Migranten. Hier geht es ums Mitmachen - egal, welche Hautfarbe der andere hat. Die Schüler überzeugt das Projekt: "Hier an der Schule stoßen viele Kulturen aufeinander", sagt Elia, Schüler am Berufskolleg. "Es ist wichtig aufzupassen, dass die Sachen da nicht falsch laufen. Zum Beispiel Schüler auszugrenzen, nur weil sie eine andere Herkunft haben, oder Mobbing." Auch sein Klassenkamerad Andreas ist von den Projekttagen begeistert: "Durch die gemeinsamen Aktionen kommt man sich einfach näher. Man lernt die Mitschüler kennen und merkt: Der andere ist ja auch nur ein Mensch wie ich", sagt er. "Wir lernen hier voneinander - und das ist eine super Sache!"

Schüler werden aktiv

Das ist die Idee von Schule ohne Rassismus: Die Schüler werden selbst aktiv - und lernen voneinander, statt sich auszugrenzen. Damit es erst gar nicht zur Diskriminierung auf Schulhöfen kommt, nur weil jemand anders aussieht. Andreas hat schon oft erlebt, welche Sprüche dann fallen: "Du hast hier nichts zu suchen, du blöder Neger oder Deutschland den Deutschen und so Sachen." Andreas schüttelt den Kopf. "Dabei ist das wirklich totaler Blödsinn. Wir sind doch alle Menschen, wir haben alle Gefühle und die gleichen Rechte."

Armin Ahlheim und Christoph Wesemann betreuen als Lehrer das Projekt gegen Rassismus an der Kölner Berufsschule. Ihnen ist besonders wichtig, die Zivilcourage der Schüler zu stärken. "Einen großen Teil der Diskriminierung bekommen wir als Lehrer gar nicht unbedingt mit, weil er auf dem Schulhof abläuft", sagt Wesemann. "Da wollen wir den Schülern Mut machen, selbst aktiv zu werden, Courage zu zeigen und sich gegen dumme Sprüche und Diskriminierung zu wehren."

Menschenrechte im Technikunterricht

Für seinen Kollegen Armin Ahlheim geht es beim Projekt vor allem um das Ziel, den Schülern ethische Werte zu vermitteln. "In der Ausbildung kommt es genauso wie später im Beruf nicht darauf an, ob jemand eine andere Hautfarbe oder ein anderes Geschlecht hat", betont er. "Es geht um das Team, die Zusammenarbeit und das Ergebnis. Nur das ist wichtig." In jedem neuen Schuljahr berichten Ahlheim und seine Kollegen den neuen Schülern von dem Projekt "Schule ohne Rassismus". "Jeder Schüler dieser Schule weiß davon", sagt Ahlheim. "Die meisten machen aktiv mit. Deswegen ist das Projekt bei uns so ein Erfolg."

Sogar im Technikunterricht wird mittlerweile das Thema Menschenrechte bewusst diskutiert - anhand von Fallbeispielen. "'Darf ich als Lehrling in einer Autowerkstatt einen kaputten Airbag wieder einbauen, weil mein Chef mir diesen Auftrag gegeben hat, um Kosten zu sparen? Nehme ich in Kauf, dass dadurch bei einem Unfall ein Mensch sterben könnte? Und was ist, wenn ich meinem Chef widerspreche?' Das sind die Fragen, mit denen sich unsere Schüler auseinander setzen müssen", berichtet Ahlheim. "Es ist uns wichtig, dass sich unsere Schüler schon früh mit den ethischen Grundrechten auseinandersetzen. Menschenrechte sind eben nicht nur ein Thema für Gymnasien und Universitäten, sondern gehen uns alle an."

"Ey, bist du schwul?!"

Das dachte sich auch Renate Bonow. Die Gymnasiallehrerin wurde an ihrer Schule aktiv und bewarb sich für "Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage". Heute ist sie eine der Koordinatoren des Projektes. Wenn sie eine rassistische oder diskriminierende Äußerung an ihrer Schule hört, schreitet sie sofort ein. Am häufigsten kommen von den Schülern untereinander Sprüche wie "Ey, bist du schwul?!" oder "Bist du behindert, oder was?" Bonow fragt dann bewusst nach, was die Schüler damit meinen. "Oft wird dann deutlich: Der Schüler hatte das alles nicht wörtlich gemeint, wollte weder die Schwulen noch die Behinderten treffen", sagt Renate Bonow. Als Argument lässt sie das aber nicht gelten. Sie fragt direkt zurück: "Und wenn dich jetzt ein Schwuler hört - was meinst du wie der sich fühlt?"

Spaß am Lernen

Um als Schule Mitglied beim Projekt "Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage" zu werden, müssen mindestens 70 Prozent aller Schulmitglieder per Unterschrift erklären: Sie werden gegen Rassismus und Diskriminierung im Alltag aktiv - wann immer er ihnen auffällt. Außerdem machen die teilnehmenden Schulen jährlich mehrere Aktionstage gegen Rassismus. Für die Lehrer eine faszinierende Erfahrung: Wenn es um Engagement gegen Rassismus geht, haben die Schüler auf einmal Lust zu lernen. "Der letzte große Aktionstag war an einem Samstag", erzählt Bonow. "Aber das hat die Schüler nicht abgehalten. Von morgens um 10 bis nachmittags um 4 Uhr waren fast 300 Schüler da, um sich in Workshops mit diesem Thema auseinander zu setzen. Die waren alle freiwillig da, die waren pünktlich und die hatten Lust am Lernen - weil sie selber aktiv werden konnten."

Angefangen hat das Projekt "Schule ohne Rassismus" in Belgien. Anfang der 1990er Jahre fand es Mitstreiter in den Niederlanden und schließlich in Deutschland. Heute gibt es auch in Spanien und Österreich Schulen ohne Rassismus - insgesamt europaweit mehr als 600. Die Bundesregierung und die Europäische Union unterstützen das Projekt.

Vorurteile spüren

Vor allem geht es bei "Schule ohne Rassismus" um den Abbau von Vorurteilen. So übt eine Hauptschule einen Rap gegen Diskriminierung ein. Und in einem Theaterprojekt spielten die Teenager eines Gymnasiums nach, was es heißt, Vorurteile zu erleben. Renate Bonow macht das regelmäßig mit ihren Schülern: So genannte Ausgeschlossenheits-Erfahrungen. Die Idee: Ein Teil der Klasse diskriminiert einen Tag lang bewusst einige Schüler wegen ihres Aussehens. Damit diese spüren, was es heißt, als Minderheit Opfer von Vorurteilen zu sein und ausgeschlossen zu werden. Für Bonow ist es wichtig, dass ihre Schüler diese Erfahrung am eigenen Leib durchmachen: "Vorurteile basieren nicht auf Wissen und können deswegen auch nicht mit Theorie und Wissen aufgelöst werden", sagt sie. "Vorurteile muss ich spüren, um zu merken, wie schlimm sie sind."

An der Schule zu Hause

Alex kennt Vorurteile gut. Für den Nigerianer ist es Alltag, wegen seiner schwarzen Hautfarbe an einer mehrheitlich weißen Berufsschule aufzufallen. Und gerade er ist von dem Projekt "Schule ohne Rassismus" begeistert, denn er spürt persönlich den Erfolg. "Seit ich hier an dieser Schule bin, habe ich noch nie erlebt, dass ein Schüler wegen seiner Hautfarbe diskriminiert wurde", sagt er. "Dieses Projekt hat das Bewusstsein der Menschen hier verändert. Ich fühle mich an dieser Schule zu Hause: Hier werde ich akzeptiert und angenommen - so wie ich bin."

Alex aus Nigeria fühlt sich an der Berufsschule zu Hause (Foto: Armin Ahlheim)
Alex aus Nigeria fühlt sich an der Berufsschule zu HauseBild: Armin Ahlheim
Lehrerin und Koordinatorin Renate Bonow (Foto: Armin Ahlheim)
Lehrerin und Koordinatorin Renate BonowBild: Armin Ahlheim
Lehrer Armin Ahlheim (Foto: Armin Ahlheim)
Lehrer Armin AhlheimBild: Armin Ahlheim
Ein Überlebender des Nazi-Regimes hat seinen Judenstern mitgebracht, der auf einem Tisch liegt (Foto: Armin Ahlheim)
Ein Überlebender des Nazi-Regimes hat seinen Judenstern mitgebrachtBild: Armin Ahlheim