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Kunst

Gefesselt vom Sog des Krieges: Fotograf Andy Spyra

Bettina Baumann
1. Januar 2017

Er gehört zu den besten und gefragtesten Fotografen Deutschlands. Sein Thema ist der Krieg. Im DW-Interview erzählt Andy Spyra von den Hürden, Grenzen und der Faszination der riskanten Fotografie.

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Porträt des deutschen Fotografs Andy Spyra (Foto: J. Idrizi)
Bild: J. Idrizi

DW: Herr Spyra, Sie arbeiten als Fotograf in Kriegsgebieten, werden aber nicht gerne als "Kriegsfotograf" bezeichnet. Warum nicht?

Andy Spyra: Die Kriegsfotografen, die ich so kenne, die fahren oft nur an die Front, gucken aufs große Bang-Bang, die sind dort, wo es wirklich um den Krieg an sich geht. Aber der Krieg an sich interessiert mich gar nicht so sehr. Mich interessiert eher das Momentum, das um den Krieg herum entsteht. Der Krieg hat einen unglaublichen Sogeffekt. Aber auch einen unheimlichen Knalleffekt und all die Journalisten und Fotografen fliegen darauf, wie die Motten ins Licht. Aber ich glaube, dass man sich davon ein bisschen distanzieren kann. Die für mich spannenderen Geschichten passieren um den Krieg herum, im Hinterland der Front.

Aber sind die Geschichten, die sich jenseits der Gefechte abspielen, nicht ebenfalls Teil des Krieges?

Ja, was ich sagen will, ist, dass die Gefechte nicht das sind, was mich primär interessiert. Mich interessieren die Nebenschauplätze, die Hinterlassenschaften des Krieges. Ich beschäftige mich in meiner Arbeit, zum Teil in Langzeitprojekten, auch mit Kriegen, die schon 100 Jahre her sind, wie zum Beispiel mit dem Armenischen Völkermord.

Während der eben angesprochenen Reise in die Türkei für die Reportage "100 Jahre armenischer Völkermord" wurden Sie verhaftet und zurück nach Deutschland geschickt. Haben Sie ähnliche Einschränkungen auch schon andernorts erlebt?

Nein, das nicht. Aber ich muss sagen, dass es generell immer schwieriger wird, als Journalist in solchen Ländern zu arbeiten. Die Pressefreiheit wird immer weiter eingeschränkt, es wird immer schwieriger auch Visa zu bekommen, dort frei zu arbeiten, sich auch als Journalist auszugeben. Das ist immer ein Katz- und Mausspiel mit den Autoritäten, damit du bloß nicht auffällst. Dabei denkt man ja, man würde irgendwelchen Schutz genießen als Journalist, aber die Bedingungen aus den 70ern, 80ern sind für meine Generation endgültig vorbei. Wir sind nicht mehr nur Beobachter, wir sind auch Angriffsziel. Heute kauft sich kein Journalist mehr eine weiße, schusssichere Weste. Wer das macht ist lebensmüde und wird zum leichten Ziel für Scharfschützen und Entführungen.

Warum setzten Sie sich dieser Gefahr dennoch aus, was fasziniert Sie an dem Thema Krieg so sehr?

Der Krieg wischt viel von unserem Komfortleben weg. Zivilisation wird weggewischt, es kommt viel Archaisches zum Vorschein. Also viel Böses, gleichzeitig aber auch viel Gutes. Gerade erst war ich in einem Flüchtlingslager, in dem es den Menschen elend ging. Und doch trifft man dort dann Menschen, mit denen man zusammen lacht und man merkt, die Menschlichkeit verschwindet eben nicht. Der Mensch wird viel sichtbarer, als wenn er sich hinter Häuserwänden und seinem Komfortleben versteckt. Für mich hat der Krieg ein immenses Momentum, das alles um ihn herum in seinen Sog zieht - sei es jetzt Gesellschaften, Menschen oder Landschaften. Und ich interessiere mich sehr für diese transformative Kraft des Krieges.

Afghanistan in Masar-i Sharif - Ausstellung Conflict (A. Spyra)
Schulunterricht in Masar-i Scharif, einem der Stützpunkte der deutschen Bundeswehr in Afghanistan. Spyra möchte vor allem die Nebenschauplätze des Krieges abbildenBild: Andy Spyra

Sie fotografieren Menschen, die Schreckliches durchmachen, leiden, morden, gebrandmarkt sind durch das, was ihnen widerfahren ist. Wie gelingt es, ihnen in solchen Lebenssituationen mit der Kamera so nahe zu kommen und ihnen gleichzeig respektvoll zu begegnen?

Ich glaube, das hängt mit der eigenen Haltung gegenüber diesen Menschen zusammen, dass man sie eben als - so einfach und simpel es klingt - auch wirklich als Menschen wahrnimmt und ihnen mehr auf Augenhöhe als durch die Kamera begegnet. Ich sehe das manchmal bei Kollegen, dass sie den Menschen teilweise gar nicht mehr ins Auge schauen, sondern nur auf ein Objekt durch die Linse ihrer Kamera gucken. Ich kann so nicht arbeiten, ich brauche den menschlichen Kontakt zu den Menschen vor meiner Kamera. Und der muss zuerst aufgebaut werden. Ich versuche, dass ich nicht ständig die Kamera vor den Augen habe, sondern auch mit den Menschen rede, auf sie zugehe. Dann öffnen sie sich auch.

Wie definieren Sie für sich, was ein gutes Foto ist? 

Gute Fotos sind immer Bilder, die mich emotional berühren, Bilder, in denen ich eine Aussage sehe, auch den Fotografen darin sehe. Ein Foto bringt nichts wenn es wie ein Newsticker aussieht und lediglich zeigt, das und das ist da und da passiert. Mich interessiert durchaus, was wo passiert, aber auch, wie sich das anfühlt. 

Sie haben im Rahmen eines Ihrer Langzeitprojekte etwa 80 der von Boko Haram entführten Frauen und Mädchen porträtiert. Ist es Ihnen gelungen, auch in dem Fall deren Gefühle mit Ihren Bildern einzufangen?  

Nein, ich glaube, ich bin letzten Endes daran gescheitert. Diese Frauen sind selbst für mich, der jetzt schon so oft in Nigeria war, noch so fremd. Das, was die Frauen durchgemacht haben - Vergewaltigungen, Zwangsverheiratungen, Auspeitschen - das sind absolute Horror-Storys und viele dieser Frauen sind hochgradig traumatisiert. Dieses Trauma, aber auch die immense Stärke dieser Frauen, habe ich versucht in Bildern festzuhalten. Aber ich glaube, ich bin dabei an meine eigenen Grenzen als Fotograf gestoßen. Denn da ist eigentlich noch so viel mehr, was man dann aber nicht in einem Foto festhalten kann.

Von Boko Haram geflohene Christin - Ausstellung Conflict (A. Spyra)
Porträt einer der von Boko Haram entführten Frauen. Spyra fotografiert überwiegend in schwarz-weißBild: Andy Spyra

Wenn ich die heutige Presse mit der von vor etwa 50 Jahren, als der zweite Vietnamkrieg im Gange war, vergleiche, habe ich den Eindruck, dass Kriege heute weniger explizit gezeigt werden. Ist der Stellenwert der Kriegsfotografie in der deutschen Presselandschaft heute wirklich ein anderer?

Der Zugang der Presse zum Kampfgeschehen war während der 70er, 80er und auch noch 90er Jahre viel direkter. Aber man muss da auch nochmal zwischen der deutschen Presse und der angelsächsischen differenzieren. Die deutsche Presse ist sehr konservativ, was die Berichterstattung über Krisen und Konflikte angeht. Das Thema wird eher stiefmütterlich behandelt. Es heißt oft "Ne, geht uns nichts an", "Ne, nicht relevant genug", "Ne, will keiner sehen". Dann wird die Modestrecke gebracht anstatt die Reportage über Mossul. Schwierige Themen, die vom Leiden der Welt berichten und sich dementsprechend schlecht neben einer Werbeseite machen, sind schwer loszukriegen. Wenn die Themen gemacht werden, dann eher aus journalistischem Pflichtbewusstsein, als aus einem wirklichen und tiefergehenden Interesse daran, habe ich das Gefühl. Außerdem hat der Umgang mit diesem Thema in Deutschland auch mit der historisch bedingten Wahrnehmung mit Krieg hierzulande zu tun. Wenn man sieht, was für einen Zugang man zum Kampfgeschehen hat wenn man mit den Amerikanern irgendwo in Afghanistan oder im Irak unterwegs ist, dann ist das Irrsinn im Vergleich zu dem, was man mit der Bundeswehr bekommt. Mit der Bundeswehr fährt man einmal einen halben Tag im Dingo raus und das war's. Man darf nicht aussteigen, nur rausgucken, der Krieg wird immer weggeschoben. Bei den Briten oder Amerikanern ist der Krieg nicht so ein Tabu.

So schwer es auch sein mag, das Thema Krieg zu verkaufen, sind Sie nichtsdestotrotz erfolgreich in dem, was Sie tun. Ihre Bilder wurden von der Süddeutschen Zeitung, der Zeit, Times oder dem Spiegel gedruckt. Was möchten Sie mit Ihren Fotos aus den Krisenregionen transportieren? 

Das Klischee, also das Fenster in eine andere Welt. Das sind ja Welten, die für uns, die hier in Deutschland leben und die dort nicht hinkönnen oder nicht hinwollen, ansonsten immer verschlossen bleiben würden. Ich finde, wir können und sollten vor den Dingen, die in Krisenregionen passieren, nicht die Augen verschließen. Wir haben eine Verantwortung, zum Teil auch eine historisch gewachsene Verantwortung. Denn ein Großteil der Probleme, mit denen wir uns jetzt gerade beschäftigen, wie zum Beispiel die Flüchtlingskrise, das sind hausgemachte Probleme, die hier in Europa ihren Ursprung haben. Ich will die Themen, die mich interessieren, einem großen Teil der Bevölkerung zugänglich machen.

Andy Spyra wurde 1984 in Hagen geboren. Nach dem Abitur reiste er durch Mittelamerika und Südost-Asien, entdeckte dort seine Liebe zur Fotografie. Von 2007 bis 2009 studierte er an der Fachhochschule Hannover Bildjournalismus und Dokumentarfotografie. Aktuell arbeitet Spyra von Dortmund aus als freier Fotograf. Immer wieder begibt er sich in Krisenregionen. Er fotografiert fast ausschließlich in schwarz-weiß und arbeitet bevorzugt in Langzeitprojekten. Seine Fotos sind bei zahlreichen renommierten Zeitungen und Zeitschriften erschienen. 

In der Ausstellung "Conflict - Young Photographers Witness", die im Februar 2017 in Berlin startet, werden auch Fotos von Andy Spyra zu sehen sein. DW wird berichten. 

Das Interview führte Bettina Baumann.