Gedämpfte Stimmung bei Papst-Messe
29. April 2017Mirna Essameldin strahlt. "Wir lieben diesen Papst", sagte die 27-Jährige, die an dem Besucher aus Rom vor allem seine bescheidene und menschliche Ausstrahlung schätzt. "Mit ihm beten wir für Frieden im Nahen Osten, vor allem in Syrien, aber auch in Ägypten." Die Büroangestellte ist in Minia aufgewachsen - seit Jahren die Unruheprovinz Ägyptens, in der das Verhältnis von Christen und Muslimen äußerst angespannt ist. Mehr als 50 Kirchen, Sozialstationen, Wohnhäuser und Schulen gingen hier 2013 in Flammen auf, als der heutige Präsident Abdel Fattah al-Sisi den Präsidenten und Muslimbruder Mohammed Mursi mit militärischer Gewalt absetzte.
Den Auftritt von Franziskus an der Al-Azhar-Universität am Vortag hat Mirna Essameldin im Fernsehen gesehen, als er "jeglicher Form von Gewalt, Rache und Hass im Namen von Religion oder im Namen Gottes" ein entschiedenes "Nein" entgegensetzte. "Das waren klare Worte und die haben uns gut getan", sagt die junge Koptin.
Am Samstag früh im Stadion der Luftwaffe hatte das katholische Oberhaupt dann deutlich mehr Mühe, seiner christlichen Botschaft Gehör zu verschaffen. "Der Friede sei mit Euch" - kaum hatte Franziskus die etwa 10.000 Gläubigen in der halb gefüllten Arena begrüßt, als schon der nächste Apache-Kampfhubschrauber über die Köpfe hinweg ratterte. Ganze Teile des Evangeliums und der Predigt wurden vom militärischem Rotorenlärm gestört, alle drei Minuten schwebte eine der schwarzen Kampfmaschinen hinter dem Altarzelt vorbei.
Keine Selfies für Gläubige
Und so war von allen Open-Air-Gottesdiensten, die katholische Päpste in den vergangenen zwei Jahrzehnten im Nahen Osten zelebrierten, die Feier von Franziskus in Kairo die wohl angespannteste. Das Sportgelände vor den Toren der ägyptischen Hauptstadt glich einer Militärfestung. Auf sämtlichen Ausfallstraßen stand alle fünfzig Meter ein Polizeiposten. Denn die Führung am Nil wollte unter keinen Umständen riskieren, dass nach den Selbstmordattentaten auf christliche Kirchen in Tanta und Alexandria nun auch während des Papstbesuches irgendetwas passiert.
Und so griffen die Sicherheitskräfte auch im Stadion zu beispiellos drastischen Schritten. "Wir haben schon über tausend Handys angenommen, wir können nicht mehr", stöhnten an den Zugangstoren die koptischen Pfadfinder. Jeder, der den Papst sehen wollte, musste vorher sein Mobiltelefon abgeben. Selbst beim Besuch des US-Präsidenten Barack Obama 2009 in Kairo hatte es so etwas nicht gegeben. Und so türmten sich draußen vor den Toren reihenweise Pappkartons, bis zum Rand gefüllt mit durcheinander geworfenen Smartphones. Drinnen beim Papstgottesdienst dagegen gab es für die Gläubigen zum ersten Mal seit Erfindung der sozialen Medien kein Erinnerungsfoto an den populären Gast aus Rom.
Franziskus schien die gedämpfte Stimmung zu spüren. Schon beim Einzug in die halbvolle Sportarena wirkte er erschöpft und etwas gequält, seine Stimme bei der anschließenden Liturgie klang brüchig und müde. Zwei Dutzend Sicherheitskräfte schirmten den 80-Jährigen ab. Dicke Eisengitter vor den Tribünen hielten die winkenden und jubelnden Menschen auf Distanz, so dass der Funke zwischen den von überall her angereisten Christen und ihrem sonst so kontaktfreudigen vatikanischen Oberhaupt nicht richtig überspringen wollte. Auch die Stadionrunde mit dem weißen Elektrowagen wurde von den Organisatoren kurzerhand halbiert, damit der Pontifex nicht Minuten lang an völlig leeren Rängen vorbeifahren musste. Denn über 10.000 Plätze blieben unbesetzt, obwohl unzählige Gläubige im ganzen Land, die sich um Karten beworben hatten, leer ausgingen.
Aufruf zur Feindesliebe
In seiner Predigt warb Franziskus für eine "Kultur des Dialogs, des Respekts und der Brüderlichkeit". Alle Frömmigkeit nutze nichts, wenn sie nicht von tiefem Glauben und Nächstenliebe inspiriert und belebt werde. Der einzig erlaubte Extremismus für Gläubige sei die Nächstenliebe. Jede andere Art von Extremismus "kommt nicht von Gott und gefällt ihm nicht". Die ägyptischen Christen rief der Papst drei Wochen nach den Terroranschlägen mit 46 Toten zur Feindesliebe auf. Dies sei die Stärke der Christen und ihr Schatz.
"Ich fahre froh nach Hause", sagt Makarios Michel, der seit 28 Jahren als koptischer Pfarrer in Assiut arbeitet. Probleme zwischen Christen und salafistischen Hardlinern gibt es auch dort. Er habe jedoch auch Freunde unter Muslimen, erzählt der 56-Jährige. "Und die beneiden mich jetzt, dass ich einen Papa wie Franziskus habe".
Uralte Tradition
Die koptische Kirche, deren Mitglieder sich als Erben des pharaonischen Ägyptens sehen, ist die größte und älteste christliche Gemeinschaft, nicht nur in Ägypten, sondern im ganzen Nahen und Mittleren Osten. Ihre Anfänge führen diese Christen zurück auf den Evangelisten Markus, der im ersten Jahrhundert in Ägypten gelebt und als erster Bischof von Alexandria gewirkt haben soll. Heute wohnen schätzungsweise neun bis zehn Millionen Gläubige am Nil, ein beträchtlicher Teil in armen Verhältnissen als Müllsammler oder Kleinbauern.
Neben den orthodoxen Kopten gibt es auch 200.000 Christen der mit Rom verbundenen koptisch-katholischen Kirche und der koptisch-protestantischen Kirchen. Die Zahl der römischen Katholiken beträgt einige Zehntausend. Seit dem 18. und 19. Jahrhundert sind auch große abendländische Orden wie Jesuiten, Dominikaner und Franziskaner in Ägypten aktiv, die vor allem Schulen, Krankenhäuser und Sozialstationen aufgebaut haben. Die deutschen Borromäerinnen gründeten 1884 ein Mädchengymnasium in Alexandria und zwanzig Jahre später eine zweite Schule in Kairo, die beide bis heute existieren und einen sehr guten Ruf genießen. Ihre Schwestern waren dann auch am Samstagnachmittag mit dabei, als sich Papst Franziskus in den letzten beiden Stunden vor seiner Abreise im Stadtteil Maadi mit etwa 1500 Ordensleuten aus der gesamten Region traf.