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"Ein zweites Warschau"

Panagiotis Kouparanis8. März 2014

Der Bundespräsident entschuldigte sich in Griechenland für das von deutschen Besatzungstruppen begangene Unrecht. Mancher fühlte sich an den Kniefall Willy Brandts in Warschau erinnert.

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Bundespräsident Joachim Gauck vor dem ahnmal in Lyngiades (Foto: DW)
Bild: DW

Fast tausend Meter hoch liegt das kleine Dorf Lyngiades. Der Blick von hier aus auf den See und die Stadt Ioannina ist atemberaubend. Es gibt hübsche Häuser - meist aus weißem Stein. Kirche und Schule sind die einzigen alten Bauten im Dorf. Als einzige Gebäude wurden sie am 3. Oktober 1943 nicht in Schutt und Asche gelegt. An diesem Tag zerstörten Soldaten des Feldersatzbataillons 79 der Gebirgsjäger unter Hauptmann Alfred Schröppel nicht nur das Dorf, sondern richteten auch 83 Menschen hin - vom zwei Monate alten Baby bis zur 100-jährigen Greisin. Eine gerechtfertigte "Sühnemaßnahme" für einen von Partisanen getöteten Offizier - befand ein deutsches Gericht nach dem Krieg.

Gauck bittet um Verzeihung

Rund 120 Ortschaften gibt es in Griechenland, denen ein ähnliches Schicksal beschieden war. In Deutschland ist das den allermeisten Menschen unbekannt. Darüber sind die Opfer und deren Nachkommen zutiefst enttäuscht ebenso wie darüber, dass Deutschland jegliche Wiedergutmachung verweigert. Der Versuch, eine solche Forderung vor dem Internationalen Gerichtshof durchzusetzen, scheiterte. Die Staatenimmunität habe Bestand: Privatpersonen könnten keinen fremden Staat vor Gericht bringen, hieß es. Was übrig blieb, ist "Opfertourismus", so der in Athen lebende Historiker Hagen Fleischer. Damit meinen Griechen etwas despektierlich das seit Jahren verstärkte Auftreten deutscher Diplomaten auf Gedenkveranstaltungen für die Opfer deutscher Gräueltaten. Bei solchen Anlässen werde zwar Bedauern geäußert, aber das Wort Entschuldigung vermieden.

Bundespräsident Joachim Gauck umarmt den griechischen Präsidenten Karolos Papoulias (Foto: picture alliance/dpa)
Herzliche Geste: Gauck umarmt seinen Amtskollegen PapouliasBild: picture-alliance/dpa

Das hat nun Bundespräsident Joachim Gauck in Lyngiades nachgeholt. Hier, in der Heimatregion des griechischen Staatspräsidenten Karolos Papoulias, sprach er davon, dass er doppelt Scham empfinde: Zum einen, weil die Täter Deutsche waren und sich keiner von ihnen entschuldigt hat. Zum anderen, weil nach dem Krieg nicht an dieses Unrecht erinnert wurde. Der Bundespräsident sprach dann das aus, was keiner seiner Vorgänger im Amt, die Griechenland besucht haben, je gesagt hat: "Mit Scham und Schmerz bitte ich im Namen Deutschlands die Familien der Ermordeten um Verzeihung."

Unter den wenigen Dorfbewohnern, die der Rede beiwohnten, war auch Panagiotis Mpampouskas. Er ist der letzte Überlebende des Massakers. Als es passierte, war er gerade mal 15 Monate alt. Man fand ihn schwer verletzt vor, noch an der Brust der toten Mutter. Auch der Vater wurde ermordet, die Brüder, Verwandte. Entschuldigung? Das seien nur Worte. Er will Gerechtigkeit, und das bedeutet für ihn Entschädigung. Das ist auch die Losung der griechischen Opferverbände. Obwohl vom Protokoll nicht vorgesehen, trifft sich Gauck mit ihnen. Sie zollen ihm Respekt. Das sei eine "mutige Geste" gewesen, sagt ihr Vertreter Asimakis Sygelakis der Deutschen Welle. Aber es müssen jetzt weitere Schritte folgen, um zu einer von beiden Seiten akzeptierten Lösung in den Reparations- und Wiedergutmachungsfragen zu gelangen. Der Bundespräsident habe versprochen, das Anliegen der deutschen Regierung vorzutragen.

Panagiotis Mpampouskas, Überlebender des Massakers von Lyngiades (Foto: DW)
Überlebender des Massakers: Panagiotis MpampouskasBild: DW

Der Mensch darf nicht unmenschlich werden

Von Lyngiades fahren die beiden Präsidenten rund 15 Kilometer den Berg hinunter nach Ioannina. Ihr Ziel ist die Synagoge in der Altstadt. Groß ist sie. Ohne weiteres könnten hier 400 bis 500 Menschen Platz finden. Die rund 50 Juden, die noch in Ioannina leben, mögen sich darin etwas verloren fühlen. Vor dem Krieg waren es nahezu 2000. Fast alle wurden sie vor 70 Jahren, am 25. März 1944, abtransportiert. Kaum 100 von ihnen kamen aus Auschwitz zurück, unter ihnen die heute 89-jährige Jeanette Nahmia, und Stella Cohen. Als Joachim Gauck sie nach ihrem Namen fragt, antwortet sie ihm mit einer Nummer. Gauck versteht sofort: Es ist die Zahl, die man ihr im Konzentrationslager auf den Unterarm tätowiert hat. Beide brechen in Tränen aus, sie fallen sich in die Arme. Als Stella Cohen wieder ihre Fassung gefunden hat, appelliert sie an Gauck, dafür Sorge zu tragen, dass das Geschehene nicht vergessen wird, "dass darüber geschrieben wird, dass der Mensch nicht unmenschlich sein darf". Der deutsch-griechische Zukunftsfond, das deutsch-griechische Jugendwerk - dass seien geplante Projekte, die gegen das Vergessen wirken werden, versichert der Bundespräsident.

Die Art von Gaucks Auftritts in Griechenland kommt gut an, nicht nur bei den Medien. Von der Deutschen Welle darum gebeten, die Reise des Bundespräsidenten zu bewerten, erklärte eine hochrangige Quelle der griechischen Präsidentschaft, man sei nicht nur hochzufrieden, der Besuch Gaucks sei "ein zweites Warschau". Anders gesagt: Der Besuch des deutschen Staatsoberhaupts hat eine ebenso wirkmächtige symbolische Bedeutung wie 1972 der Kniefall von Willy Brandt am Ehrenmal der Helden des Warschauer Ghettos.

Man muss abwarten, ob diese Einschätzung die Zeit überdauert. Gewiss aber war dieser Griechenlandbesuch die bislang wohl schwierigste Auslandreise von Joachim Gauck. Dabei hätte einiges schief gehen können. Das Gegenteil war der Fall.