Gauck würdigt Frauen
7. März 2013
Die Frage, ob sie aufgeregt gewesen sei, wischt Gudrun Halbrock mit einem "Ach" weg: "Mir ist das einfach so wichtig, dass mit dieser Ehrung bekannt wird, dass Erziehungskompetenz gelernt werden muss", sagt die pensionierte Lehrerin. Da hat sie gerade das Bundesverdienstkreuz am Bande vom Bundespräsidenten erhalten. In ihrem pinkfarbenen Blazer ist die alte Dame mit dem Bubikopf nach vorne gegangen, hat eine kleine schwarze Kiste mit dem Orden und eine Urkunde entgegen genommen und einige Worte mit dem Präsidenten gewechselt, während die Fotoapparate der Presseleute geklickt haben.
Joachim Gauck hat 33 Frauen anlässlich des Weltfrauentags am 8. März für ihr bürgerschaftliches Engagement ausgezeichnet. Es sind Frauen, die sich für Notfallrettung und Erste Hilfe einsetzen oder für kriminell gewordene Jugendliche. Frauen, die Sterbende in ihren letzten Stunden begleiten und Frauen, die versuchen, Mädchen in Afrika vor der Genitalverstümmelung zu bewahren oder Unternehmen dazu zu bewegen, weibliche Führungskräfte einzustellen. "Frauen, für die Leben und Geben zusammengehören", wie es Bundespräsident Joachim Gauck ausdrückt.
"Unglaubliche Menge positiver Energie"
Mit der launigen Bemerkung, die Sonne scheine draußen und drinnen, begrüßt er seine Gäste. Im Schloss habe sich "eine unglaubliche Menge positiver Energie versammelt", sagt er. Gauck wirkt heiter, man nimmt es ihm ab, wenn er sagt, solche Momente seien "die dankbarsten, die ich empfinden kann." Da macht es auch nichts, dass draußen gar nicht die Sonne scheint.
Eine Schönwetterrede hält der Präsident trotzdem nicht. Es ist sogar ziemlich bedrückend, wenn er zitiert, dass häusliche Gewalt noch immer die häufigste Ursache von Verletzungen bei Frauen in Deutschland ist. Oder wenn er darauf hinweist, dass jede zweite getötete Frau in Deutschland von ihrem aktuellen oder ehemaligen Partner umgebracht wurde. Gauck führt aus, dass bürgerschaftliches Engagement von Frauen viel seltener wahrgenommen wird als ehrenamtliche Tätigkeiten von Männern.
Die Statistik des Bundespräsidialamtes gibt ihm recht. Von mehr als 1700 Medaillen, die der Präsident im vergangenen Jahr verlieh, gingen nur 515, also 30 Prozent, an Frauen. In den Vorjahren sah es nicht anders aus. "Haltung ist nicht geschlechtsspezifisch", sagt der Präsident. "Aber sie wird unterschiedlich honoriert."
Deutschland hat in den vergangenen Monaten das Thema Geschlechterbeziehungen wiederentdeckt. In der Regierung streiten die Minister aus der liberalen und den beiden christlich-konservativen Parteien über die Frage, wie man endlich mehr Frauen in die männerdominierten Vorstandsetagen der Wirtschaft hieven könnte. Ein Artikel in der Zeitschrift "Stern", in dem geschildert wurde, wie der alte Liberale Rainer Brüderle einer jungen Journalistin Avancen machte, rief eine Debatte über Sexismus und sexuelle Gewalt hervor, die unter dem Stichwort "#Aufschrei" wochenlang die Diskussionen in Sozialen Netzwerken dominierte. Und der Bundespräsident hat selbst in den letzten Tagen einige Kritik einstecken müssen, als er davor warnte, die Sexismusdebatte könne in "Tugendfuror" umschlagen. Nun betont er, er begrüße es, "wenn Männer und Frauen über alltäglichen Sexismus eine Debatte führen".
Lebensthema Erziehung
Auch Gudrun Halbrock kennt die Probleme von Rollenbildern und geschlechtsspezifischer Diskriminierung seit vielen Jahren. In den siebziger Jahren gründete sie den Verband der alleinerziehenden Mütter (später wurden auch Väter aufgenommen). Das war zu einer Zeit, als alleinerziehende Mütter die absolute Ausnahme in Deutschland waren und nicht selten schief angesehen wurden. Sorgerecht und Unterhaltsansprüche hingen noch davon ab, ob man "schuldig" oder "nicht schuldig" geschieden war. "War nicht immer einfach", sagt die Mutter einer Tochter knapp zu ihrer eigenen Geschichte, möchte dann aber lieber wieder über ihr Lebensthema Erziehung sprechen: "Ich bin in einer autoritären Gesellschaft groß geworden", sagt sie. "Deshalb weiß ich, wie schädlich das ist."
Nachdem sie als Lehrerin pensioniert wurde, ließ sie sich zur Kindertherapeutin ausbilden. Sie gründete eine Stiftung, um die Kinderfreundlichkeit in Deutschland zu fördern, schreibt Erziehungsratgeber und bloggt im Netz über Fragen wie "Will mein Kind mich ärgern? Habe ich das verdient?" Sie sei schon immer engagiert gewesen, sagt sie wieder ganz knapp und betont dann lieber noch einmal, wie wichtig es ihr sei, Eltern dabei zu helfen, ihre Kinder respektvoll zu erziehen. Dann entschuldigt sie sich. Sie möchte zu dem Empfang mit dem Präsidenten.
Der hatte den 33 Frauen zuvor noch bescheinigt, sie dürften ruhig mehr Anerkennung für ihr Engagement erwarten. Zu viele Frauen hätten verinnerlicht, dass es selbstverständlich sei, für andere da zu sein und eigene Belange zurückzustellen. Er wolle ihnen eine Bitte mitgeben: "Bleiben Sie nicht so bescheiden!"