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Der Westen ist in Kundus gefordert

General a.D. Egon Ramms
Egon Ramms
1. Oktober 2015

Kundus füllt wieder die Schlagzeilen. Die Taliban haben die Provinzhauptstadt erobert. War der deutsche Einsatz dort also vergeblich? Der frühere NATO-General Egon Ramms analysiert die Fehler des Westens.

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Afghanistan Gegenoffensive nach Einnahme Kundus durch Taliban
Bild: Reuters

Mit der Einnahme von Kundus durch die Taliban wird nach Auffassung vieler belegt, dass der Einsatz in Afghanistan sich nicht gelohnt hat. Es geht aber nicht um die Frage des "Lohnens", schon gar nicht, wenn man dabei die gefallenen und an Leib und Seele verwundeten Soldaten in die Waagschale legt. Richtig ist, dass der Einsatz die erwarteten Ergebnisse nicht nachhaltig erbracht hat. Das hat verschiedene Ursachen.

Zum einen ist die zivile Entwicklung weit hinter der militärischen Operation zurückgeblieben. Das war zu erwarten und wird auch durch das Ergebnis der zweiten Petersberger Afghanistan-Konferenz vom Dezember 2011 bestätigt. Als Ergebnis dieser Konferenz wurde festgehalten, dass man Afghanistan beim zivilen Wiederaufbau noch bis 2024 unterstützen will. Voraussetzung für diese zivile Unterstützung ist allerdings die Sicherheit. Erst im Oktober 2009 begann die NATO-Ausbildungsmission für ganz Afghanistan. Erst seit diesem Zeitpunkt wurden Polizei und die Streitkräfte durch die NATO in ganz Afghanistan ausgebildet. Im Gegensatz dazu waren bilaterale und internationale Ausbildungsprogramme - wie die deutsche und die europäische Polizeimission - regional begrenzt. Als die Ausbildungsmission der NATO im Oktober 2009 zusammen mit dem Strategiewechsel der NATO umgesetzt wurde, wurden nur zwei Monate später der Abzug der ersten ISAF-Soldaten bis September 2013 und das Ende dieser Mission bis Ende 2014 bekannt gegeben.

Der Abzug aus Afghanistan kam zu früh

Der Strategiewechsel 2009 und die Ausbildungsmission der Nato waren richtig. Falsch waren die Ankündigung des Abzuges zu diesem Zeitpunkt und die Erklärung, dass die ISAF-Mission Ende 2014 beendet werden würde. Hier wurde den eigenen Soldaten für die Umsetzung des neuen Auftrages nicht mehr genügend Zeit gegeben und gleichzeitig signalisierte man den Taliban, ihr müsst nur warten bis wir abgezogen sind. Zum anderen hängt der Erfolg der noch bis 2024 andauernden Wiederaufbaumission von der Sicherheit ab, die bis Ende 2014 durch ISAF und jetzt durch die afghanischen Sicherheitskräfte gewährleistet werden soll. Immer wieder hat die Politik betont: "Ohne Sicherheit kein Wiederaufbau und ohne Wiederaufbau keine positive Entwicklung Afghanistans zum Nutzen der Bevölkerung." Gehandelt hat sie anders.

Kundus ist nicht die erste Stadt und der erste Distrikt, die an die Taliban zurückfallen. Bereits vorher haben sich die Taliban in anderen Provinzen und Distrikten ausgedehnt, die durch die Öffentlichkeit in Deutschland, da Deutschland in diesen Regionen nicht tätig war, nicht wahrgenommen wurden. Musa Kala in der Provinz Helmand ist dafür ein weiteres Beispiel.

Porträt General a.D. Egon Ramms (Foto: DW)
Bis zu seiner Pensionierung 2010 war Egon Ramms Vorgesetzter der ISAF-BefehlshaberBild: DW/A. Drechsel

Folgen für die Flüchtlingskrise

Was bedeutet der Verlust von Kundus oder Musa Kala für den Wiederaufbau in Afghanistan? Bereits seit April dieses Jahres begann aufgrund einer erhöhten Gefährdung in den umliegenden Distrikten von Kundus, so auch in dem lange umkämpften Distrikt Chahar Dara der Abzug der internationalen Organisationen und der Nichtregierungsorganisationen. Damit war der Wiederaufbau in diesem Bereich der Provinz Kundus bereits eingeschränkt. Er wird in den genannten Distrikten und Provinzen - und weitere werden folgen - weiter zurückgehen. Damit wird aufgrund fehlender Sicherheit auch das Ziel des Wiederaufbaus und damit eines für die afghanische Bevölkerung lebenswerten Afghanistans in weite Ferne gerückt.

Die Ergebnisse lassen sich heute bereits in der Flüchtlingsbewegung nach Europa, aber in diesem Falle auch nach Amerika ablesen. Der Flüchtlingsstrom wird steigen und insbesondere aus der Provinz Kundus werden viele Flüchtlinge den Weg nach Deutschland suchen, da sie die deutschen Wiederaufbaukräfte, Polizei und Soldaten selbst erlebt und unterstützt haben. Die historische Freundschaft zu Deutschland seit den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wird diese Bewegung aus Afghanistan nach Deutschland noch fördern.

Mangelnder Durchhaltewille

Was haben wir falsch gemacht? Wir haben einer innenpolitischen Entscheidung folgend beginnend ab 2013 unsere Sicherheitskräfte abgezogen und haben die afghanischen Sicherheitskräfte alleine gelassen. Und dieses zu einem Zeitpunkt, zu dem die afghanischen Sicherheitskräfte noch nicht in der Lage waren, auf sich gestellt zusammenhängende Operationen gegen die Taliban erfolgreich zu führen. Mit dem aus innenpolitischen Gründen durchgeführten Abzug aus Afghanistan bis zum Ende des Jahres 2014 und der verbliebenen Mission, die zu klein dimensioniert ist, haben wir den Erfolg der Arbeit der vergangenen Jahren selbst gefährdet.

Es muss immer wieder betont werden, dass es sich dabei um die Gesamtmission für Afghanistan handelt und nicht nur um den militärischen Einsatz. Es handelt sich um die zwei Seiten derselben Medaille, bei der wir die Gravur der einen Seite gelöscht haben und damit die Medaille als ganze entwertet haben. Die Konsequenzen, dass wir die politische Durchhaltefähigkeit nicht gehabt haben, um Afghanistan die nötige Sicherheit für den Wiederaufbau und ein lebenswertes Leben seiner Bevölkerung zu geben, werden wir auch in Europa tragen müssen.

Das gilt es auch zu bedenken, wenn über die Fortsetzung der von Anfang an unterdimensionierten Operation "Resolute Support" politisch entschieden werden muss. Wenn wir wollen, dass die afghanischen Sicherheitskräfte erfolgreich gegen die Taliban bestehen, dann müssen wir sie dazu in die Lage versetzen. Das kann auch mehr sein, als wir heute in Afghanistan zu leisten bereit sind. Mit Sicherheit aber ist es kein zweiter überhasteter Abzug.

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