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Politik

Humanitäre Helfer, erst Freund, nun Feind?

Volker Westerbarkey Kommentarbild App PROVISORISCH
Volker Westerbarkey
19. August 2017

Seenotretter im Mittelmeer werden neuerdings mit Waffengewalt bedroht, wenn sie Flüchtlingen helfen wollen. Die Bilanz zum Welttag für humanitäre Hilfe fällt bitter aus, meint Volker Westerbarkey von Ärzte ohne Grenzen.

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Flüchtlinge im Mittelmeer gerettet
Bild: picture alliance/dpa/Bunde3swehr/Gotschalk

Seit mehr als zwei Jahren arbeiten Teams von Ärzte ohne Grenzen auf Rettungsschiffen im Mittelmeer, seit mehr als einem Jahr auch in Internierungslagern in Libyen, in denen Flüchtlinge und Migranten unter unmenschlichen Bedingungen willkürlich eingesperrt werden. Unsere Teams reagieren damit auf zwei dramatische humanitäre Notsituationen: Hunderttausende Flüchtlinge und Migranten sind in Libyen extremer Gewalt und massiven Gefahren ausgesetzt, mehr als 2400 sind allein in diesem Jahr im Mittelmeer ertrunken.

Doch anstatt ihrer Verantwortung gerecht zu werden und für den Schutz der Menschen an den Außengrenzen Europas zu sorgen, setzt die Europäische Union auf Abschottung und behindert mehr und mehr die humanitäre Hilfe von Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen. Eine bittere Bilanz zum Tag der humanitären Hilfe.

Am 11. August haben libysche Behörden die Einrichtung einer eigenen Such- und Rettungszone angekündigt und den Zugang für Schiffe von humanitären Organisationen zu einem riesigen Gebiet in internationalen Gewässern vor der libyschen Küste eingeschränkt. Die von der EU massiv unterstützte libysche Küstenwache droht humanitären Seenotrettern, sie notfalls mit Waffengewalt aus der neu deklarierten Such- und Rettungszone zu vertreiben. Das ist ein ungeheuerlicher Vorgang.

Bedrohte Seenotretter

Volker Westerbarkey Kommentarbild App PROVISORISCH (Sebastian Bolesch)
Volker Westerbarkey ist Vorstandsvorsitzender von Ärzte ohne Grenzen in Deutschland

Das Klima gegenüber zivilen Rettungseinsätzen wird immer feindseliger. Italien und die EU haben einen Verhaltenskodex für NGOs präsentiert, der die Seenotrettung zum Teil behindert, Italien hat sogar Militärschiffe in libysche Gewässer entsandt. Das Ziel: Die EU und ihre Mitgliedstaaten arbeiten mit ihren libyschen Partnern daran, die Menschen an der Flucht aus Libyen zu hindern. Das ist ein nicht hinnehmbarer Angriff auf das Leben und die Würde von Menschen, die dringend Schutz benötigen.

Sollten die libyschen Behörden und die libysche Küstenwache ihre Ankündigungen umsetzen, dann können Ärzte ohne Grenzen und andere Organisationen die Seenotrettung nicht mehr entsprechend der international anerkannten humanitären Prinzipien und der völkerrechtlichen Vereinbarungen zu Seenotrettung und Flüchtlingsschutz durchführen. Es ist verboten, Menschen in unsichere Gebiete zurückzubringen. Ärzte ohne Grenzen weigert sich, von einem System vereinnahmt zu werden, das Menschen um jeden Preis daran hindern will, Schutz und Sicherheit zu suchen.

Vor allem hat diese Politik aber für die Menschen katastrophale Auswirkungen, die vor Verfolgung und extremer Gewalt aus Libyen fliehen. Wenn die Schiffe der humanitären Organisationen zusehends aus dem Mittelmeer verdrängt werden, können weniger Menschen vor dem Ertrinken gerettet werden. Diejenigen, die nicht ertrinken, werden abgefangen und nach Libyen zurückgebracht - in ein Land der Gesetzlosigkeit, mit willkürlichen Inhaftierungen, Folter und sexueller Gewalt.

Abschottung geht vor Schutz

Unsere Bilanz der EU-Politik am Tag der humanitären Hilfe im Jahr 2017 fällt bitter aus. Zwar werden in feierlichen Erklärungen gerne die humanitären Grundsätze beschworen. Doch in der Realität beobachten wir, dass der Schutz von Menschen auf der Flucht oft der Abschottung Europas untergeordnet wird.

Schon mit dem EU-Türkei-Deal haben die europäischen Regierungschefs mit Bundeskanzlerin Angela Merkel an der Spitze die Blaupause für die Festung Europa geliefert. Eine Folge davon war ein Dominoeffekt geschlossener Grenzen, der dazu führt, dass Menschen nicht einmal mehr aus Kriegsgebieten wie Syrien fliehen können. Hunderttausende sitzen dort noch immer in Wüstengebieten und provisorischen Lagern unter entsetzlichen Bedingungen fest. Das Leiden der Menschen ist nicht geringer geworden, es ist nur weit von Europas Grenzen entfernt, an Orten weitab von den Kameras der Weltöffentlichkeit.

In unseren Projekten mit Flüchtlingen und Vertriebenen in mehr als 40 Ländern weltweit sehen wir: Sichere und legale Fluchtwege für Menschen auf der Flucht sind dringend erforderlich. Die EU hilft dabei kaum. Das ist ein Armutszeugnis für einen Kontinent, der aus eigener Erfahrung weiß, wie sehr Menschen unter Flucht und Vertreibung leiden.

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