Fata Morgana in der "perfekten Diktatur"
30. April 2015Ich schreibe aus einem der tödlichsten Länder für die Presse. Aus einem Land, in dem zwar offiziell kein Krieg herrscht, in dem jedoch bereits so viele Journalisten ermordet wurden wie in Afghanistan, Libyen, Irak oder Syrien. Einem Ort, in dem die Journalisten mit der gleichen Gewalt, Grausamkeit und Straflosigkeit umgebracht werden, wie es der IS in der arabischen Welt tut. Es ist ein Ort, in dem jeder Angst davor hat, Opfer der entfesselten Gewalt zu werden, die sich gegen die Zivilbevölkerung richtet.
Seit 15 Jahren bin ich Investigativjournalistin, und alleine aufgrund der Tatsache, dass ich meinen Beruf verantwortungsvoll, unabhängig und gemäß einem strikten Ethikkodex ausübe, der nicht den kleinsten Raum für Toleranz gegenüber Korruption lässt, habe ich einen hohen Preis zahlen müssen: Drohungen, Aggressionen, gerichtliche Verfolgung, Exil und vieles mehr.
Gang ins Exil
2012 war ich die erste mexikanische Journalistin, die nach Deutschland ins Exil gegangen ist. Über zwei Jahre lebte ich in einem Schutzprogramm der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte und dem Programm "Writers-in-Exile" des deutschen PEN-Zentrums.
Auch wenn das Exil Journalisten die Möglichkeit bietet, ihr Leben zu retten, können nur diejenigen, die es am eigenen Leib erfahren haben, verstehen, wie kompliziert und schwer es ist, sich diesem Prozess zu stellen. Meine Kollegin, die Dichterin Bashana Abeywardane aus Sri Lanka, definierte es in ihrer poetischen Sprache so: "Wer wäre auf die Idee gekommen zu fragen, wie das Zimmer aussähe, in dem man im Exil schlafen würde? Es ist das ewige Schattenreich."
Gefahr wie in Afghanistan, Libyen und Irak
Allerdings haben mich diese Schattenwelt und das Exil davor bewahrt, zum Teil einer Liste des Schreckens zu werden: In den vergangenen 15 Jahren wurden in meinem Land 103 Journalisten ermordet, 25 verschwanden spurlos. Nun, da ich aus dem Exil zurückgekehrt bin, kann ich bestätigen, dass die Situation für die Presse nach wie vor unheilverkündend ist.
Wer jenseits der mexikanischen Grenzen über das Land des Tequilas, der Strände und der ewigen Sonne liest, über das Land der "strukturellen Reformen", dessen Präsident mit seiner Familie bei den Königshäusern in England oder Spanien zu Gast ist, müsste annehmen, dass man in Mexiko ganz "normal" leben kann, da es offiziell eine Demokratie ist und anscheinend dort Pressefreiheit herrscht. Doch nicht alles ist so, wie es scheint. Von hier aus kann ich Ihnen sagen, dass in Mexiko eine "perfekte Diktatur" herrscht, wie Mario Vargas Llosa es einst nannte. Und um diese am Leben zu erhalten, wird die Presse kontrolliert, mundtot gemacht, und ihre Inhalte werden vorgegeben. Wenn diese zu unbequem oder kritisch erscheinen, wird die Presse einfach beseitigt.
Regelmäßige Rückschläge
Mexiko steht heute beispielhaft für ein Land, das weder Meinungsfreiheit noch die Sicherheit seiner Journalisten garantiert und somit auch nicht das Recht der Gesellschaft auf Information. Mexiko ist ein Land, das Rückschritte bei der Einhaltung der internationalen Verträge in Sachen Meinungsfreiheit und Recht auf Information macht, obwohl es Protokolle und Abkommen auf diesem Gebiet ratifiziert hat.
Laut Organisationen wie Reporter ohne Grenzen, Freedom House oder dem Komitee für den Schutz von Journalisten ist es nicht nur eines der Länder, in dem die meisten Verbrechen an Medienschaffenden geschehen, sondern auch Entführungen und Angriffe auf die Kommunikationsmedien.
Inmitten des Machtvakuums, das in vielen Regionen Mexikos herrscht, sind wir Journalisten Zielscheibe jener, die sich dieses Vakuum zu Nutze machen, sowie der Kriminalität. Im besten Fall sind die Behörden nachlässig, aber fast immer sind sie verantwortlich für diese Angriffe oder darin verstrickt.
Informierte Gesellschaft als Gefahr
Es ist bewiesen, dass nicht nur die organisierte Kriminalität hinter diesen Angriffen steckt, sondern vor allem öffentliche Funktionäre, Politiker oder Einzelpersonen, für die die Arbeit der Medienschaffenden jene "Gefahr" darstellt, die von einer informierten, gebildeten Gesellschaft ausgeht, die von ihnen Rechenschaft verlangt und die Korruption entschieden ablehnt. Jene, die Journalisten angreifen, sind nicht nur Feinde der Pressefreiheit und der Gesellschaft, sondern auch der Demokratie.
In jeder Gesellschaft ist der Mord an einem Journalisten die schlimmste und feigeste Art der Zensur. Der Botschafter wird umgebracht, damit er nicht hinterfragen, recherchieren oder veröffentlichen kann. Sein Tod soll den Sprecher der Gesellschaft zum Schweigen bringen. Leider herrscht in der Gesellschaft selbst kaum ein Bewusstsein über die Bedeutung, die solch ein Verlust darstellt.
Nur leise Kritik
Jeder ermordete oder verschwundene Journalist ist ein irreparabler Schaden für die Gesellschaft als Ganzes, und wenn ein Journalist zum Schweigen gebracht wird, wird die gesamte Gesellschaft mundtot gemacht. Allerdings fehlt noch das Bewusstsein dafür, was das bedeutet. Gleichzeitig herrscht bei den meisten Verbrechen an Medienschaffenden nach wie vor Straflosigkeit. Hier gehen die Menschen nicht auf die Straße, um die Presse zu verteidigen, wie es in Paris nach dem Anschlag auf die Satirezeitung "Charlie Hebdo" geschah, der Millionen Europäer auf die Straßen trieb. Deshalb ist in Mexiko, wo der Staat selbst die Korruption verkörpert, die bewusste Stimme der Gesellschaft immer noch zu leise.
Angesichts des unheilvollen Panoramas der Pressefreiheit in Mexiko ist jeder Angriff auf einen Journalisten ein Angriff auf das Herz einer Gesellschaft, denn ohne eine öffentliche und ungehemmte Presse sind Demokratie und Meinungsfreiheit nur eine Utopie.
Ana Lilia Pérez ist eine mexikanische Investigativjournalistin und Schriftstellerin. Im Verlag Random House erschienen ihre Werke "Camisas Azules, Manos Negras", "El Cártel Negro" sowie "Mares de Cocaína". Sie wurde bereits dreimal mit dem Nationalen Journalistenpreis der mexikanischen Presse ausgezeichnet. 2012 erhielt sie den Leipziger Medienpreis. 2005, unter anderem, den Unicef Preis.