"Besondere" Beziehungen?
Das ist das Besondere an den Beziehungen Deutschlands zu Israel: Sie sind - anders als gebetsmühlenartig behauptet - längst nicht mehr besonders. Gleiches gilt bezüglich der israelisch-deutschen Beziehungen.
Mehr Legenden als Tatsachen prägen Deutschlands Israel-Bild. Lassen wir statt Meinungen, verkopften Verkrampfungen und Phrasen repräsentative Fakten sprechen. Zuerst also Umfragen: Seit den frühen 1980er-Jahren und erst recht seit der Wiedervereinigung zählt Israel in den Köpfen und Herzen der Bundesdeutschen zu den drei unbeliebtesten Staaten weltweit. Die Gesellschaft in diesem Trio wechselt: Iran, Nord-Korea, Gaddafis Libyen, das Südafrika der Apartheid. Aber Israel gehört dauerhaft dazu.
Moralisches Überlegenheitsgefühl der Deutschen
Warum ist das so? Weil die empirisch nachweisbare Mehrheit der Deutschen in ihrem moralischen Überlegenheitsgefühl Israel gegenüber keine Scham (mehr) empfindet? Im Gegenteil. Israel wird darüber belehrt, was und wie politische Moral eigentlich sei. Lange Zeit wurde das weder von Medien, Politik noch Gesellschaft umschrieben. Aber auch diese Phase gehört zur Vergangenheit.
Die Personifizierung des politisch-moralischen Deutschlehrers war Sigmar Gabriel als Außenminister. Aber schon Bundeskanzler Helmut Schmidt nannte Israel im Herbst 1980 eine Gefahr für den Weltfrieden. Innerparteilich derart geprägt mied Gerhard Schröder in seiner Regierungszeit wo er nur konnte den Dialog mit Israels Regierung.
Noch weniger als die FDP und ihre Anhänger zählen die Mandatsträger der Linkspartei zu den besonderen Israelfreunden. Und eine Legende ist zweifellos, dass es in der AfD keine Antisemiten gäbe. Tatsache ist jedoch auch, dass giftige Israel-Kritik und moralischer Dünkel eher von einem CDU-Altlinken wie beispielsweise dem langjährigen Arbeitsminister Norbert Blüm kommen, als aus der ganz rechten Ecke.
Für Israelis das zweitbeliebteste Land
Ganz anders - und ebenfalls repräsentativ durch Umfragen seit Jahrzehnten erhärtet - ist das Deutschland-Bild der meisten Israelis. Nach den USA ist Deutschland im Jüdischen Staat das zweitbeliebteste Land. Die Popularität Angela Merkels übertraf beispielsweise die Barack Obamas um ein Vielfaches.
Etwa 30.000 Israelis leben in Deutschland, davon rund 20.000 in Berlin. Für sie ist Deutschlands Hauptstadt zwar nicht das himmlische Jerusalem, aber sie ziehen Berlin dem irdischen Jerusalem vor und errichten hier - symbolisch überspitzt - den Dritten Tempel, indem sie hoffen, hier (und nicht in Nahost) Frieden mit den Palästinensern stiften. So betrachtet ist das durchaus "besonders", wenngleich in und für Nahost nicht besonders wirksam. Ob dieses irdische Nahost-Scheinparadies in Berlin Bestand hat, darf bezweifelt werden. "Juden ins Gas!" brüllten während des Dritten Gaza-Krieges im Juli 2014 muslimische Fanatiker und ihre meist linken deutschen Gesinnungsfreunde in Berlin. Überhaupt ist muslimische Gewalt gegen Diaspora-Juden und Israelis "besonders" in Berlin längst Alltagsphänomen.
Die Legende von der gebenden und nehmenden Seite
Dass vor allem Israel die nehmende und Deutschland die gebende Seite wäre, gehört ebenfalls zu den "besonderen" deutsch-israelischen Legenden. Sie wird durch Tatsachen der 1950er-Jahre genährt: Denn unbestreitbar hat das 1952 von der Adenauer-Regierung geschlossene Wiedergutmachungsabkommen Israels wirtschaftliches Überleben ermöglicht. Doch im Kalten Krieg profitierten Bundesrepublik und NATO von Israels Erfahrungen mit sowjetischen Waffen, die in Kämpfen mit arabischen Staaten und Palästinensern entweder unschädlich gemacht oder erbeutet wurden. Heute wäre die Bundeswehr ohne israelische Drohnen noch weniger einsatzfähig, und in der Terrorprävention und -reaktion ist israelische Hilfe nahezu unverzichtbar.
Unverzichtbar ist darüber hinaus nicht nur für die deutsche Wirtschaft israelisches IT-Wissen. Ein Beispiel von vielen: Jeder deutsche Produzent kooperiert mit israelischen Firmen bei der Entwicklung der Autos von morgen.
Es ge- oder missfalle: Deutschland und Israel verbinden gemeinsame Interessen im Hier, Heute und Morgen - weit mehr, als dass sie das Gestern noch trennt. Wer seine Interessen durchsetzen will, ist gut beraten, weder großsprecherisch noch kleinlaut aufzutreten. Diese ganz besondere Tatsache wird in Israel mehr erkannt als in Deutschland. Im öffentlichen Diskurs scheint sie hierzulande weitgehend unbekannt.
Prof. Dr. Michael Wolffsohn, geboren 1947 in Tel Aviv, Hochschullehrer des Jahres 2017, ist Historiker und Publizist. von 1981 bis 2012 lehrte er Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr in München. Zuletzt erschienen seine Bücher "Deutschjüdische Glückskinder", "Wem gehört das Heilige Land?","Zum Weltfrieden", "Israel".