Das Problem ist der Populismus
Ja, klar: Die italienische Politik wirkt im Moment so, wie die letzte Staffel einer schlechten Fernsehserie. Drei potenzielle Premierminister (Gentiloni, Conte, Cottarelli), alle drei "eingefroren", bis irgendwie vielleicht eine Regierung aus dem Zylinder springt; ein heftiger Streit mit dem Staatspräsidenten auf Kosten der italienischen Verfassung; die Populisten in Aufruhr, entsprechend dem Slogan "Sie lassen uns nicht regieren”. Hinzu kommen noch die Schockstarre der traditionellen Parteien, das Risiko von Neuwahlen mit völlig ungewissem Ausgang, die Angst der Börsen.
Und, auch klar: Die Italiener geben schon seit langem viel mehr aus, als sie verdienen - sprich die Staatsschulden bewegen sich in schwindelerregender Höhe. Von langfristigen und nachhaltigen Reformen im Moment keine Spur. Wer jetzt das Sagen hat, das sind eine rechtsextreme Partei (die Lega von Matteo Salvini) und klassische Populisten (die Fünf-Sterne Bewegung von Luigi Di Maio), die - obwohl in einer konfusen und sehr widersprüchlichen Weise - immer öfter zu verstehen geben, dass das von ihnen regierte "Italien der Veränderung" den Euro verlassen wird. Was natürlich Leute wie Steve Bannon oder Viktor Orbán, Marine Le Pen oder sogar Wladimir Putin mächtig freut.
Das Problemkind Europas
Ja, in der ganzen Welt spricht man in diesen Tagen von Italien: Wir sind wieder einmal das Problemkind Europas. Von einer "griechischen Tragödie" schreiben die bekanntesten Kommentatoren. Gemeint ist die Gefahr eines italienischen Defaults, die Furcht, dass das Land seine Schulden nicht mehr bezahlen kann. Dass Italien, die drittgrößte Volkswirtschaft der EU, bankrottgehen könnte.
Und trotz alledem (oder gerade deswegen): Wenn EU-Kommissar Günther Oettinger nun mehr oder weniger deutlich sagt, dass "die Märkte den Italienern beibringen werden, wie man zu wählen hat", dann hilft das Italien und Europa gar nichts. Im Gegenteil. Eine solche Ausdrucksweise ist ein gefundenes Fressen für Populisten. "Oktoberfest-Klischees" nennt man das in den großen Zeitungen, in neuen Slogans von rechts und links ist schon von "Erpressung" und "Arroganz" der "starken Mächte" in Brüssel, Straßburg und Berlin die Rede. Die Sozialen Netzwerke füllten sich binnen weniger Minuten mit schwachsinnigen Sprüchen über das "Vierte Reich" und deutsche Panzer. Deutschland hat sich in vielen Köpfen schon wieder in eine imperialistische Supermacht verwandelt!
Sogar Jean-Claude Juncker hat sofort erkannt, dass der Oettinger-Satz (der zwar in seiner ersten, verkürzten Form dementiert wurde) ein grober Kommunikationsfehler gewesen ist. Wenn jemand einen Brand vermeiden will, dann gießt er kein Benzin ins Feuer - das sollte selbstverständlich sein. Das Problem - und eben nicht nur in Italien - ist ja gerade der Populismus: Er schürt Ängste, rüttelt kräftig an der demokratischen Struktur der etablierten Institutionen. Natürlich hat das mit dem großen Vetrauensverlust zu tun, dem sich die "traditionelle Politik" in ganz Europa in diesen Jahren stellen muss: Alles ist angeblich nur noch "Establishment", alles wird als entfremdende Globalisierung empfunden, als Identitätsverlust derjenigen, die sich vom politischen Diskurs ausgeschlossen fühlen.
Arrogante Rhetorik und fehlende Solidarität
Was konkret Italien betrifft: Wer sich jetzt wundert, dass man sich hier von Oettingers Worten verletzt fühlen kann, sollte auch an die enorme Arbeitslosenquote denken, an die fehlenden Investitionen, an die andauernde und als arrogant empfundene Rhetorik über "Hausaufgaben" in den Fächern Sparen und soziale Einschnitte, an die fehlende europäische Solidarität beim Thema Migranten und Flüchtlinge. Ja, und auch an das Grinsen der Bannons, Le Pens und ihresgleichen. Wer nicht versteht, dass die Kraft der Populisten sehr viel mit den Fehlern zu tun hat, die in Europa in den vergangenen Jahren gemacht wurden, der erkennt nicht das Ausmaß der Risiken, die jetzt drohen - und nicht allein in Italien.
Ja, die Lage ist kompliziert: Deswegen sollte man die Spirale der gegenseitigen Klischees (faule Südländer gegen überhebliche, aber sparsame Nordeuropäer) lieber sein lassen. In Rom, in Berlin und in Brüssel.
Roberto Brunelli ist außenpolitischer Redakteur der in Rom erscheinenden Tageszeitung "La Repubblica". Außerdem hat er bereits mehrere Bücher verfasst, darunter 2013 eine Biografie der Bundeskanzlerin unter dem Titel "Angela Merkel - Die Sphinx".
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