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KonflikteIsrael

Gastarbeiter aus Thailand leben gefährlich in Israel

Julian Küng in Bangkok
23. Oktober 2024

Arbeitsmigranten, viele davon aus Thailand, riskieren in den evakuierten Grenzgebieten im Norden Israels ihr Leben. Nun starb ein thailändischer Gastarbeiter.

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Traueraltar mit Foto des Gastarbeiters Nisan Miram, davor sitzt seine Frau
Pruksa Miram, die Witwe des verstorbenen Gastarbeiters Nisan Miram (im Bild), vor dem Traueraltar in ihrem Haus im Dorf Kalong, ThailandBild: Julian Küng

Pruksa Miram sitzt auf dem kahlen Zimmerboden im Rohbau ihres Hauses. Umgeben von unverputzten Wänden und offenliegenden Wasserrohren hat sie einen kleinen Traueraltar errichtet, um ihrem in Israel verstorbenen Ehemann Nisan zu gedenken.

Israel Gastarbeiter Nisan Mira aus Thailand auf einer Apfelplantage
Der thailändische Gastarbeiter Nisan starb in Israel bei der Explosion eines BlindgängersBild: Privat

"Er ist mein Held", schluchzt die 43-Jährige und streckt seinem Gedenkfoto symbolisch einen Löffel Reis hin. Das nährt seine hungrige Seele, so glaubt man hier im ländlichen Nordosten Thailands. "Er hat sein Leben geopfert, um uns ein Zuhause zu schaffen und für unsere Familie zu sorgen."

Nach Angaben der thailändischen Behörden waren vor dem 7. Oktober 2023 etwa 30.000 thailändische Arbeiter in Israel. Geldsorgen und drohende Armut in der Heimat waren der Hauptgrund. Seit dem Angriff der Hamas sind etwa 10.000 von ihnen zurückgekehrt. Wie viele andere Thais hat auch Nisan Mirams vierköpfige Familie Geldsorgen: Schulden, die durch eine gescheiterte Hühnerfarm entstanden sind. Um diese zu tilgen und ein bescheidenes Eigenheim zu bauen, arbeitete Nisan auf einer Apfelplantage im Kibbuz Yiron, in unmittelbarer Nähe zur libanesischen Grenze. Dort verdiente er rund zehnmal so viel wie in seiner Heimat. Das Geld gab seiner Familie wieder Hoffnung.

Wie jeden Monat überwies er am 10. Oktober noch stolz seinen Verdienst, um die Rechnungen zu bezahlen. "Damit er ruhig schlafen konnte, zeigte ich ihm noch die Belege", erinnert sich seine Frau Pruksa. Doch im Laufe des nächsten Tages blieben seine Nachrichten plötzlich aus. Stattdessen erfuhr sie von seinem Arbeitskollegen, dass Nisan bei einer Explosion ums Leben gekommen war. "Für uns brach die Welt zusammen. Die Kinder und seine Mutter weinten unaufhörlich", sagt die zweifache Mutter.

Gefährliche Arbeit im Schatten des Krieges

Ersten Ermittlungen der israelischen Behörden zufolge starb der 42-Jährige durch die Explosion eines Blindgängers, der im Feld lag. Ein weiterer Landarbeiter wurde verletzt. Schon im März kam ein Erntehelfer in der Nähe der israelisch-libanesischen Grenze ums Leben. Damals hatte eine Hisbollah-Rakete auf einem Mandelfeld in Margaliot eingeschlagen und einen indischen Gastarbeiter getötet. Mehrere Thais waren dabei verletzt worden.

Die Familie sitzt im Rohbau
Das thailändische Dorf Kalong in der Provinz Buri Ram trauert um Nisan MiramBild: Julian Küng

Die israelische Migrationsbehörde reagierte am 14. Oktober auf den Tod von Nisan Miram mit einer schriftlichen Stellungnahme. Dabei sprach sie der Familie ihr Beileid aus, nahm gleichzeitig die Arbeitsmigranten in die Pflicht. "Wir möchten Sie daran erinnern, dass das Berühren von Raketen oder Sprengkörpern verboten ist. Sollten Sie solche Gegenstände finden, benachrichtigen Sie unverzüglich Ihren Arbeitgeber und halten Sie Abstand."

Lücken in der Gesetzgebung?

Darüber hinaus sei es verboten, ausländische Arbeitskräfte in Siedlungen und Gebieten einzusetzen, die an die nördliche Grenzlinie und den Gazastreifen angrenzen, ohne eine tagesaktuelle Genehmigung des Heimatfrontkommandos, hieß es in dem Schreiben weiter. Israels Innenminister Mosche Arbel erklärte bereits kurz nach dem Tod des Gastarbeiters, es sei illegal, ausländische Arbeiter in evakuierten Gemeinden zu beschäftigen.

Die Aussagen sorgen bei Experten und Nichtregierungsorganisationen für Erstaunen. Von so einer Rechtsgrundlage habe man noch nie gehört. "Im Gegensatz zu den Aussagen des Innenministers gibt es kein Gesetz, das Arbeitnehmern in evakuierten Gebieten ein Arbeitsverbot erteilt", sagt Yahel Kurlander, Wissenschaftlerin am Tel-Hai College, die sich auf thailändische Arbeiter in Israel spezialisiert hat, gegenüber der DW.

Auch Assia Ladizhinskaya von der israelischen Organisation Kav LaOved, die die Rechte der Arbeitnehmer schützt, widerspricht den Aussagen des Innenministers. "Wir wissen gar nicht, was er damit meint", sagt die Sprecherin der Nichtregierungsorganisation der DW. "Uns ist de facto keine solcher Vorschriften bekannt. Die Arbeiter arbeiten, wann immer sie es gesagt bekommen."

Stattdessen sei es so, dass ausländische Gastarbeiter bei kriegerischen Auseinandersetzungen in gefährlichen Grenzgebieten eingesetzt wurden. "Während ganze Siedlungen vor Monaten bereits evakuiert wurden, mussten migrantische Arbeiter zurückbleiben, um die Bevölkerung mit Eiern und Gemüse zu versorgen", sagt Ladizhinskaya. Das gleiche einem russischen Roulette mit den Leben der Gastarbeiter.

Die meisten Gastarbeiter in Israel kommen aus Thailand

Unter den Arbeitsmigranten in Israel stellt Thailand die größte Gruppe, insbesondere in den landwirtschaftlich geprägten Grenzgebieten zum Gazastreifen und zu Libanon. So waren die südostasiatischen Erntehelfer auch unter den ersten, die während der Hamas-Anschlägen im Oktober letzten Jahres in die Fänge der Terroristen gerieten. 41 thailändische Landarbeiter wurden dabei getötet und 32 gefangen genommen. Inzwischen hat die Hamas 23 thailändische Geiseln freigelassen.

Eine Familie trifft einen jungen Mann am Flughafen
Thailändische Geiseln aus Hamas-Gefangenschaft freigelassen: Rückkehr nach Thailand am 4. Dezember 2023Bild: Sakchai Lalit/AP/picture alliance

Kurz nach dem Angriff repatriierte die thailändische Regierung aus Sicherheitsbedenken fast 10.000 ihrer Bürger in die Heimat. Mit schwerwiegenden Folgen: Die plötzliche Abwanderung von rund einem Drittel aller thailändischer Gastarbeiter führte im israelischen Agrarsektor zu einem akuten Arbeitskräftemangel, wie unter anderem das MIGAL-Galilee Forschungsinstitut berichtete.

Vermeintliche Sicherheitsgarantien

Israels Botschafterin in Bangkok versuchte, die thailändischen Obst- und Früchtepflücker mit Sicherheitsgarantien zur Rückkehr zu bewegen und versprach: "Israel wird alles in seiner Macht Stehende tun, um die Sicherheit der Arbeiter zu gewährleisten." Auch der thailändische Arbeitsminister wollte die Kontingente der Gastarbeiter wieder hochfahren und reiste im Mai persönlich nach Israel, um sich von den israelischen Behörden versichern zu lassen, dass die Arbeiter nur in "sicheren Zonen" eingesetzt würden. Daraufhin kündigte er an, bis Ende des Jahres 10.000 thailändische Erntehelfer nach Israel zu entsenden.

Arbeiter aus Thailand von Hamas-Angriff traumatisiert

Unter den Rückkehrern war auch Nisan Miram, der im Juni wieder in den Norden Israels reiste, um seinen fünfjährigen Arbeitsvertrag zu erfüllen. Sicher sei die Arbeit auf der Apfelplantage im Grenzgebiet zum Libanon jedoch nie gewesen, klagt seine Witwe Pruksa: "Regelmäßiges Arbeiten war kaum möglich. Manchmal fing er morgens an. Und nach nur zwei Stunden heulte die Sirene auf. Sie mussten in den Bunker rennen." Vor dem Tod ihres Mannes sei es in der Region zu heftigen Gefechten gekommen. Daraufhin wurden die rund zwei Dutzend Thailänder nicht mehr auf der Plantage, sondern weiter weg in einem Hotel untergebracht. "Als sich die Lage etwas beruhigte und die Äpfel reif zur Ernte waren, befahl ihnen der Chef, wieder auf die Felder zurückzukehren."

Der Chef der Apfelplantage aus dem Kibbuz Yiron, der auf Anfragen der DW nicht reagiert hat, habe sich telefonisch bei ihr gemeldet und versprochen, für die Fertigstellung ihres Hauses aufzukommen und ihre Schulden von rund einer Million Baht (umgerechnet rund 28.000 Euro) zu begleichen, so Pruksa. Doch wichtiger als das Geld sei ihr, dass niemand mehr dasselbe Schicksal erleiden müsse wie sie. "Wegen meiner leidvollen Erfahrung habe ich alle seine Freunde gebeten, zurückzukommen", sagt sie. "Ihnen könnte dasselbe widerfahren. Ich möchte nicht, dass ihre Frauen jemals so leiden müssen wie ich."