Wie die EU-Staaten bereits Gas sparen
27. Juli 2022Der wahrscheinlich beste Energiespartipp für die Deutschen, die wie sonst fast niemand in Europa von Putins Gas abhängig sind, kommt aus Griechenland: Wie wäre es, wenn die deutschen Rentnerinnen und Rentner im Winter einfach einen längeren Urlaub auf Kreta machten, fragt der Tourismusminister aus Athen. Oder noch besser: Warum siedelten die Pensionäre nicht gleich direkt nach Griechenland um? Sonne, Strand und griechische Küche also, statt im nassgrauen deutschen Winter Unsummen an Euro für Heizen und Warmwasser zu blechen.
Der Hintergrund des durchaus ernst gemeinten Vorschlages: Griechenland ist wesentlich besser auf den EU-Notfallplan zur freiwilligen Reduzierung des Gasverbrauches um 15 Prozent vorbereitet als Deutschland. Alle griechischen Inseln außer Euböa sind nicht ans Erdgasnetz angeschlossen, geheizt wird mit Öl oder elektrisch. Und falls es doch mal kälter werden sollte, gehört in vielen Wohnungen auch ein Kamin zum Standardinventar.
Kleiner Seitenhieb aus Spanien für Deutschland
Griechenland hatte sich wie Portugal und Spanien zunächst gegen den Sparvorschlag der EU-Kommission ausgesprochen. Die spanische Energieministerin Teresa Ribera brachte die Haltung der südlichen EU-Staaten süffisant auf den Punkt: "Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern haben die Spanier in Sachen Energie nicht über ihre Verhältnisse gelebt."
Madrid konnte sich diesen Seitenhieb auf Deutschland leisten: In den letzten Jahren steckte die Regierung viel Geld in Infrastruktur für die großen Tankschiffe mit LNG-Flüssiggas aus den USA und anderen Weltregionen. Europas größte Anlage zur Regasifizierung steht in Barcelona, ein Drittel aller Anlagen der EU sind in Spanien zu Hause. Im Notfall, kündigte Ribera an, werde Spanien seinen Gasverbrauch freiwillig um sieben bis acht Prozent reduzieren.
"Generalmobilmachung" in Frankreich
Auch das Nachbarland Frankreich besitzt vier Importterminals für flüssiges Gas. Seit Mitte Juni bezieht Frankreich auf direktem Weg kein Pipelinegas mehr aus Russland, ist aber dafür zum weltweit größten Importeur von russischen Flüssiggas aufgestiegen. Die Chefs der drei größten Versorgungskonzerne haben die Bevölkerung deshalb vor einem Monat zum Stromsparen aufgefordert. Frankreich aktivierte die sogenannte Phase Orange, die eine angespannte Situation signalisiert.
Der französische Präsident Emmanuel Macron setzte noch einen drauf: am 14. Juli, dem Nationalfeiertag, bezeichnete er den nationalen Energiesparplan als "Generalmobilmachung". Die Regierung plant, die Energieversorgung weiter zu diversifizieren, erneuerbare Energien schneller auszubauen und die Speicher zu füllen. Die Bürger sollen derweil die Spülmaschine nur ein- statt zweimal am Tag anschalten und das Licht ausknipsen.
Klimaanlagen in Italien laufen nicht mehr auf Hochtouren
Italien, das vor Beginn des russischen Einmarschs in der Ukraine 48 Prozent seines importierten Gases aus Russland bezog, verzögert wie Deutschland den geplanten Kohleausstieg - mit sieben Kraftwerken, die teils stillgelegt waren oder nur auf Sparflamme liefen.
In öffentlichen Gebäuden Italiens ist es für die Bevölkerung seit dem 1. Mai einen Hauch wärmer: Klimaanlagen dürfen die Temperatur nicht mehr unter 27 Grad kühlen, mit einer Toleranz von zwei Grad. Im Winter darf die Temperatur dort auf höchstens 19 Grad angeheizt werden. Bei Verstößen drohen drakonische Strafen zwischen 500 und 3000 Euro.
Belgien honoriert Energiesparen mit Mehrwertsteuersenkung
Belgien belohnt dagegen energiesparsame Landsleute: Seit März gelten ermäßigte Mehrwertsteuersätze für Bauprodukte und -dienstleistungen wie Abriss und Renovierung sowie für Sonnenkollektoren, Wärmepumpen und Solarboiler. Nur noch sechs statt die vorher üblichen 21 Prozent Mehrwertsteuer werden aufgeschlagen, der Slogan der Regierung lautet: "Isolieren Sie ihre Wohnungen, isolieren Sie Putin".
Russische Importe machen nur sechs Prozent des belgischen Gasverbrauchs aus und der Hafen von Seebrügge verfügt über ein riesiges LNG-Flüssiggasterminal - trotzdem hat Belgien beschlossen, die beiden Atommeiler Tihange 3 und Doel 4 nicht 2025 abzuschalten, sondern zehn weitere Jahre am Netz zu lassen.
Niederlande und Österreich setzen wieder auf Kohle
Auch die Niederlande rücken von Prinzipien ab, die genau wie in Deutschland noch vor ein paar Monaten unverrückbar erschienen: Die Kohlekraftwerke, die wegen der Klimakrise auf ein Drittel der Produktion heruntergefahren worden waren, sollen jetzt bis 2024 auf voller Kraft laufen. In Österreich wird indes ein Verbund-Kraftwerk auf den Betrieb mit Steinkohle umgerüstet, andere Gaskraftwerke möglicherweise auf Ölbetrieb umgestellt.
Und Südosteuropa? Kroatien erhöht seine LNG-Kapazitäten, Bulgarien lässt nach Öl und Gas im Schwarzen Meer suchen und in Rumänien hat die Regierung dem Parlament eine Reform des restriktiven Offshore-Fördergesetzes zur Abstimmung vorgelegt, die die Gasförderung lukrativ machen soll.
Fauxpas eines britischen Energieunternehmens
Die EU-Staaten scheinen den Ernst der Lage erkannt zu haben. Was man von dem britischen Energieversorger SSE nicht gerade behaupten kann: das Unternehmen hatte an seine Kunden eine E-Mail mit praktischen Tipps verschickt, um Heizkosten zu sparen: ein paar Hampelmannsprünge, ein herzhafter Haferbrei, Kuscheln mit dem Haustier oder einem Familienangehörigen, ein Hula-Hoop-Wettbewerb mit den Kindern und der Verzehr von Ingwer standen auf der Liste der "einfachen und wirtschaftlichen Methoden, um im Winter warm zu bleiben".
Was folgte, war ein Sturm der Entrüstung in einem Land, in dem laut Wohltätigkeitsorganisationen bis zu sechs Millionen Haushalte sich im Winter wahrscheinlich entscheiden müssen, ob sie ihr weniges Geld für Lebensmittel oder Gas und Strom ausgeben. Die Entschuldigung folgte prompt, die Nachricht sei "beschämend" gewesen - inklusive des Ratschlags, beim Aufräumen und Putzen werde einem warm.