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Europa will die Hoheit über seine Daten

Uta Steinwehr | Andrea Lueg
11. Februar 2020

Schon bald soll es zur Datenspeicherung eine europäische Cloud geben - als Alternative zu Microsoft, Amazon, Google und Alibaba. Wie läuft es mit dem Projekt? Und warum brauchen wir es überhaupt?

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Wolke am Himmel
Eine einsame, abgeschlossene Cloud will Europa zwar nicht schaffen, aber Autonomie zurückgewinnenBild: picture-alliance/chromorange/C. Ohde

Es ist so einfach: Dropbox oder Google Drive öffnen, Datei hochladen. Und schon kann ich von überall dort, wo es Internet gibt, auf die Datei zugreifen oder mit anderen teilen. So eine Cloud zu nutzen ist bequem. Das geht nicht nur Privatnutzern so, sondern auch Unternehmen oder Institutionen, die beispielsweise an mehreren Standorten arbeiten.

"Das Problem ist: Gratis ist nicht gratis", sagt José van Dijk, Professorin für Medien und Digitale Gesellschaft an der Universität Uetrecht in den Niederlanden. "Gratis bedeutet: Man zahlt nicht mit Geld, sondern mit Daten. Das ist eigentlich die neue Währung."

Daten - ein hohes Gut

Was die Konzerne damit machen (können), ist nicht absehbar. Testen sie anhand gespeicherter Fotos und Videos Programme zur Gesichtserkennung? Werten sie die Datenmassen aus und nutzen sie als Grundlage für völlig neue Entwicklungen? "Daten sind der Sauerstoff für künstliche Intelligenz, das sind also sehr kostbare Grundstoffe für das Generieren neuen Wissens."

Aus diesem Grund sollten wir sie nicht freimütig weggeben. Bisher fehlt es in Europa aber an einer Infrastruktur, die mit der der kommerziellen Anbieter vergleichbar ist - und teils fehlt es auch am Bewusstsein für mögliche Probleme. "Wir haben andere Standards, was die demokratische Kontrolle angeht, die Transparenz, die Kontrolle über unsere eigenen Daten, auch den Gebrauch von anonymisierten Daten. All das ist uns in Europa sehr wichtig."

Daher sollte sich Europa nicht von US-Konzernen abhängig machen, die rein kommerzielle Ziele verfolgen, meint van Dijk. "Digitale Souveränität" nennt das Markus Beckedahl, Chefredakteur von Netzpolitik.org. Die Plattform informiert zu netzpolitischen Themen und setzt sich für digitale Freiheitsrechte ein.

Zukunftsweisendes Lernen

An der digitalen Souveränität mangelt es in Europa. Derzeit haben eine kleine Zahl von Unternehmen die Marktmacht in der Welt - beispielsweise Amazon, Google, Microsoft und Alibaba. Ungefähr 80 Prozent der Informationen auf der Erde werden von einer Handvoll von US-amerikanischen und chinesischen Konzernen verarbeitet. Das sagte zumindest der neue EU-Binnenkommissar, Thierry Breton, dem Handelsblatt. Breton ist in seiner Position auch für digitale Themen verantwortlich.

Es gibt derzeit keine Alternative

Van Dijk kritisiert, niederländische Universitäten seien "beinahe vollständig abhängig" von Cloud-Diensten US-amerikanischer Unternehmen. In Deutschland gibt es ähnliche Fälle. Vor knapp einem Jahr wurde bekannt, dass die Bundespolizei Aufnahmen von Kameras, die Polizisten am Körper tragen, in einem Dienst von Amazon gespeichert werden. Zwar beteuerte das Bundesinnenministerium, deutsche Datenschutzstandards würden eingehalten. Dennoch hagelte es Kritik, die Opposition sprach von einem Sicherheitsrisiko. Auch acht Monate später hatte sich in der Praxis nichts geändert, berichtete Netzpolitik.org. Der Grund: Es gebe keine "geeignete Alternative".

Wie die Opposition sieht auch Beckedahl ein Sicherheitsrisiko: "US-Unternehmen sind verpflichtet, US-Sicherheitsbehörden Zugriff auf alle Daten zu geben, die auf ihren Servern gespeichert sind." Gerade die Daten von nicht-amerikanischen Staatsbürgern seien "quasi vogelfrei", da die Behörden nur gegenüber US-Bürgern rechenschaftspflichtig sind. Bei chinesischen Anbietern könne man dasselbe sagen.

Markus Beckedahl: "Ich habe ganz klar was zu verbergen"

Abhilfe soll nun bald Gaia-X schaffen - eine europäische Cloud. Den Anstoß dazu gab unter anderem das Bundeswirtschaftsministerium und bezeichnet das Projekt als "Vorschlag an Europa". Das Ministerium übernimmt die Koordination, doch die Details sollen viele Unternehmen und Stellen gemeinsam erarbeiten. Auch Frankreich treibt die Entwicklung voran.

"Eine vernetzte Dateninfrastruktur auf Basis europäischer Werte"

Das Projekt Gaia-X soll dabei nicht nur eine dezentrale Alternative für die Datenspeicherung in einer Cloud nach europäischen Standards sein, sondern es soll auch die gemeinsame Nutzung von Daten befördern. Daraus - so der Wunsch - können Innovationen hervorgehen. Oder um das Ziel mit den Worten des Bundeswirtschaftsministeriums zu benennen: "Das Projekt Gaia-X. Eine vernetzte Dateninfrastruktur als Wiege eines vitalen, europäischen Ökosystems."

Nutznießer sollen Unternehmen aller Größen sein, die Wissenschaft, staatliche oder öffentliche Stellen. Beispielsweise könnte das Gesundheitswesen mit einer besseren Vernetzung von Patienten, Krankenhäusern und Krankenkassen profitieren.

Deutschland Digital - die neuen Ärzte

Der Zeitplan für Gaia-X ist allerdings sehr ambitioniert. Ende Oktober stellte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier das Projekt vor. Schon damals hieß es, Ende 2020 solle die Cloud starten können.

An diesem Zeitplan will das Ministerium weitestgehend festhalten. "Unser Ziel ist, die Idee 2020 in feste Formen zu gießen", teilte das Bundeswirtschaftsministerium der Deutschen Welle auf Anfrage mit. Im Frühjahr soll eine Organisation gegründet werden, deren Aufgabe es ist, Regeln aufzustellen und das Projekt technisch umzusetzen. Aktuell seien rund 150 Unternehmen und Institutionen beteiligt. Sie beschäftigen sich in Arbeitsgruppen unter anderem mit technologischen Grundlagen. "Bis Ende des Jahres sollen erste Anwendungsfälle beim Kunden getestet werden", teilte eine Sprecherin mit.

Selbst Teilnehmer wirken unsicher

Kritisch zum Verlauf des Projekts äußerte sich vor knapp zwei Wochen Christian Klein, Co-Chef von Europas größtem Softwarehersteller SAP. Seiner Ansicht nach gibt es bislang zu viele offene Fragen und zu wenige Antworten. In einem Interview mit der Deutschen Presse-Agentur bemängelte er, ihm "fehle die Idee für den nächsten Schritt". Selbst das langfristige Ziel sei noch nicht klar. Bemerkenswert dabei: Klein gehört zu den Erstunterzeichnern der Projektskizze, die Ende Oktober vorgestellt wurde.

In dieser Liste erscheint auch Claudia Nemat, Vorstandsmitglied bei der Deutschen Telekom. In einem aktuellen Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung weicht Nemat der Frage aus, ob die Cloud Ende des Jahres wirklich starten kann. "Wir stehen noch ganz am Anfang", gibt Nemat zu. Aber der Wille sei - anders als ein Jahr zuvor - da.

Markus Beckedahl von Netzpolitik.org muss lachen, wenn er solche Äußerungen von Personen hört, die quasi von Anfang an bei Gaia-X dabei waren. Er stimmt zu, dass es bisher wenig Konkretes gibt: "Für uns ist da immer noch sehr viel heiße Luft drin." Seiner Ansicht nach ist es nicht realistisch, in so kurzer Zeit ein System zu entwickeln, das mit den etablierten Anbietern konkurrieren kann. Aber irgendwann müsse man anfangen: "Wenn man die letzten zehn bis 15 Jahre verschlafen hat, wie es die Bundesregierung gemacht hat, dann muss man ein bisschen auf die Tube drücken."

Abschreiben will er Gaia-X aber nicht - wegen der Dringlichkeit, sich in Europa und Deutschland aus der Abhängigkeit einzelner Unternehmen zu befreien. "Insofern lasse ich mich mal überraschen, was Ende des Jahres dabei herauskommt."

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