Papier ist geduldig
20. Januar 2011Nahrungsmittelkrise 2008: Damals explodierten die Getreidepreise, Länder wie Indien stellten ihre Reisexporte ein, um die heimische Versorgung zu sichern, US-Supermärkte rationierten Reis. Doch auch die Weizenpreise stiegen in zwölf Monaten um 130 Prozent, Mais um 140 Prozent. Experten machten eine Vielfalt von Ursachen aus: der steigende Bedarf in China und Indien oder der schwache Dollar, Wetterkatastrophen in wichtigen Anbauländern oder eine höhere Nachfrage nach Biotreibstoffen.
Als Reaktion auf diese Krise versprachen die G8 im Jahr 2009 auf ihrem Gipfeltreffen im italienischen L'Aquila den Entwicklungsländern 20 Milliarden Dollar, um deren Landwirtschaft und Kleinbauern zu fördern. Bundeskanzlerin Angela Merkel wies damals darauf hin, dass sich gerade in den Entwicklungsländern viele Menschen steigende Preise für Grundnahrungsmittel einfach nicht mehr leisten können: "Das heißt, wir haben 100 Millionen Menschen mehr, die in Armut leben. Umso größer ist unsere Verantwortung, und Deutschland wird dem gerecht."
Richtiger Ansatz
Marwin Meier vom christlichen Hilfswerk "World Vision" wertete damals diesen Beschluss als "klare Trendwende - und zwar hin zu Nahrungsmittelsicherung und weg von der kurzfristigen Strategie des Abwerfens von Reissäcken". Auch Rafael Schneider, bei der Welthungerhilfe zuständig für Entwicklungspolitik und Welternährung, hält diesen Ansatz, zuerst den Kleinbauern in den Entwicklungsländern zu helfen, für richtig: "Das war ein politisches Signal der G8, das sehr wichtig ist."
Dennoch stehen hinter der vollmundigen Ankündigung von L'Aquila bis heute einige Fragezeichen. Da sind zunächst einmal die riesigen Überschüsse aus der industriellen Agrarproduktion des Westens, die zu subventionierten Preisen in die Entwicklungsländer fließen: "Da spielen Instrumente der deutschen Landwirtschaftsförderung wie Exportsubventionen und Agrarsubvention eine fatale Rolle", sagt Schneider. "Sie verhindern den Aufbau der Landwirtschaft in den Entwicklungsländern." Überspitzt könnte man formulieren: Erst zerstört der Westen die Landwirtschaft in der Dritten Welt, und dann verteilt er ein paar Almosen.
Papier ist geduldig
Von denen noch gar nicht sicher ist, ob sie denn tatsächlich fließen. Denn Papier ist geduldig. "Die Mittel fließen nicht so ab, wie man sich das vorstellt", sagt Rafael Schneider von der Welthungerhilfe. "Von diesen 20 Milliarden ist kaum etwas abgeflossen." Deutschland hat sich jährlich mit einer Milliarde US-Dollar an diesem Paket beteiligt und gibt diese Mittel auch tatsächlich aus. "Nur muss man immer hinterfragen: Wird es tatsächlich auch für die Landwirtschaft, die ländliche Entwicklung und die Ernährungssicherung ausgegeben?"
Tatsächlich haben die G8-Gipfelteilnehmer selten frisches Geld in die Hand genommen. Oft werden Etatposten, die ohnehin schon eingeplant waren, neu verpackt - wie alter Wein in neuen Schläuchen. "Viele Projekte im ländlichen Raum werden dann als Beitrag zur Ernährungssicherung eingerechnet. Da gehören dann auch Drogenbekämpfung, Minenräumung oder Kommunalplanung mit dazu." Sie führten aber nicht direkt zu einer verbesserten Ernährungssicherung, so Schneider.
Gut für den Umweltschutz
Immerhin: Die Einsicht, dass man Ernährungssicherheit nur gewährleisten kann, wenn man bei der Förderung der Kleinbauern in den Entwicklungsländern ansetzt, ist inzwischen zum Allgemeingut in der Entwicklungspolitik geworden, sagt Rafael Schneider. "Die Kleinbauern sind der Schlüssel zur Überwindung von Armut." Die großflächige industrielle Landwirtschaft sei ungeheuer energieintensiv, beute Ressourcen wie Wasser, Böden und Luft übermäßig aus. "Da kann man angesichts des Klimawandels und des Umweltschutzes sehr viel bessere Ergebnisse erzielen, indem man die kleinbäuerliche Landwirtschaft unterstützt."
Autor: Rolf Wenkel
Redaktion: Monika Lohmüller