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Görlitz: Auferstehung eines Denkmals

Andrea Kasiske15. Mai 2015

Görlitz ist eine Kleinstadt in Sachsen. Ihre Architektur ist von einzigartiger Schönheit. Das war aber nicht immer so. Eine Ausstellung zeigt ihre Verwandlung - und warum Görlitz auch "Pensiopolis" heißt.

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Blick auf historische Hallenhäuser am Untermarkt in Görlitz (Sachsen) am 17.02.2014. Die Stadt möchte mit den zahlreichen historischen Bauten auf die Welterbeliste der Unesco kommen. Foto: dpa
Bild: picture-alliance/dpa/Jens Trenkler

"Die Altstadt sah jämmerlich aus, schwarze Patina, zerfallene Häuser, der größte Teil stand leer", erinnert sich der Dresdner Fotograf Jörg Schöner. Görlitz, die sächsische Stadt im Dreiländereck zu Polen und Tschechien, habe zu DDR-Zeiten das denkbar schlechteste Image gehabt. Diese Tatsache ist heute kaum mehr vorstellbar. Wenn man in einem der schicken Cafés am historischen Markt sitzt, mit goldenen Giebeln und farbigen Ornamenten an den Fassaden, füht man sich unwillkürlich wie in Italien.

Die Altstadt wurde nach einem Großbrand im 15. Jahrhundert nach italienischem Vorbild wieder aufgebaut. Ein einzigartiges Ensemble aus Gotik, Renaissance und Barock, prächtige Hallenhäuser aus der Zeit der reichen Tuchhändler, mit angrenzenden Gründerzeit- und Jugendstilvierteln, das den Zweiten Weltkrieg und 40 Jahre DDR-Geschichte spurlos überstanden hat. Ein unglaubliches Glück, meint Jörg Schöner. Der Architekturspezialist hat den Wiederaufbau der Dresdener Frauenkirche dokumentiert und Fotos vom "Grünen Gewölbe" des Dresdener Schlosses auf der Expo in Shanghai präsentiert. Görlitz kennt er seit vierzig Jahren. Die versteckte Schönheit hinter den verfallenen Fassaden hat ihn seitdem nicht losgelassen.

Fotograf Jörg Schöner, Foto: Andrea Kasiske
Fotograf Jörg Schöner erkannte früh die Schönheit von GörlitzBild: DW/A. Kasiske

Ein stillgelegtes Fabrikgebäude ist die Kulisse für seine aktuelle Ausstellung "Auferstehung eines Denkmals". Zwei mal drei Meter große Fotodrucke in Farbe und in Schwarz-Weiß hängen von der Decke in einer riesigen Halle. Bröckelnden Fassaden, Fenster ohne Glas, kleinste Räume mit Holzkocher, Kohleöfen, einem Sammelsurium aus dem Notwendigsten treffen auf Designerbüros in top restauriertem Gemäuer. Ein grauschwarzer Hauseingang mit rundem Türsturz und rissigem Glasfenster verwandelt sich im nächsten Bild in ein schmuckes rot-gelbes Entrée. Manchmal habe er die Farbe etwas gedämpft, gesteht der Fotograf. "Um die Auswüchse der neuen Buntheit etwas zu abzuschwächen."

Restaurierte Gasse in Görlitz, Foto: Andreas Kasiske
Restaurierte Gasse in GörlitzBild: DW/A. Kasiske

Fotografieren, bevor alles zusammenbricht

Die Schwarz-Weiß-Bilder stammen vom Anfang der 80er Jahre. Von einem Denkmalpfleger bekam der damalige Diplomand den Tipp, die Stadt zu fotografieren, "bevor alles zusammenbricht". Damals hätten nur wenige verstanden, was er da fotografiere und warum. "Die Görlitzer lieben zwar ihre Stadt, aber wer ohne Warmwasser und Heizung in den runtergekommenen Häusern saß, der sehnte sich nach einem Platten-Neubau". Morbide Ästhetik habe ihn nie interessiert, mit seinen Fotos wollte er den Menschen vor Augen führen, welche phänomenale Substanz die Stadt habe, sagt er.

Schlaue Strategien gegen Abriss

Denkmalschutz hatte in Görlitz, wie in der ganzen DDR, keine Priorität. Der soziale Wohnungsbau sollte auf der "grünen Wiese", mit Plattenbauten gelöst werden. Anders als in vielen ostdeutschen Städten gab es aber in Görlitz, außer in einem Gründerzeitviertel und einem Sicherheitsabriss in der Altstadt, keine Sprengungen. Dass es dazu nicht kam, ist auch einigen engagierten Amtsleuten zu verdanken. Lutz Penske war damals in der Denkmalpflege tätig. Er und einige Mitstreiter sammelten 21.000 Unterschriften, mit denen er nach Berlin fuhr. Görlitz sollte neben anderen Städten ins "Weltkulturerbe" aufgenommen werden. Den Titel bekam Görlitz nicht, aber die Altstadt wurde in Ruhe gelassen. Zudem sorgte Penske dafür, dass mit dem wenigen Geld, das zur Verfügung stand, immer wieder Eckhäuser restauriert wurden. "Wir dachten, wenn das Eckhaus erhalten wird, bleibt auch das ganze Quartier", erzählt er.

Görlitz früher und heute, Foto: Andrea Kasiske
Görlitz heute und früherBild: DW/A. Kasiske

Die Strategie ging auf. Ende der 80er Jahre, als mehr und mehr Häuser in Privatbesitz übergingen, gab es zahlreiche Görlitzer, die aus den kaputten Häusern in Eigeninitiative Schmuckstücke machten. Peter Mitsching, der heutige Denkmalsschützer, ist einer von ihnen. Die dunklen Original-Ziegel für das marode Dach seines 400 Jahre alten Hauses stammen von einem anderen verfallenen Gebäude. "Ich kann ihnen genau sagen, wie viele Ziegel da drauf sind, ich habe sie eigenhändig aufs Dach geschafft", sagt er sichtlich stolz auf sein Kleinod, das in einer sanierten Gasse steht.

Bei den Pensionsten ist Platte out

Inzwischen ist die Altstadt fast komplett wieder herausgeputzt, auch mit Hilfe eines unbekannten Mäzens. "Wir wissen nicht, wer das ist, aber sie oder er scheint die Stadt zu lieben. Jedes Jahr bekommen wir 500.000 Euro überwiesen, ausschließlich für Restaurierungsarbeiten", erklärt Mitsching bei der Stadtbegehung. Die Altstadt sei zu einer begehrten Wohnlage geworden.

Görlitz früher und heute, Foto: Andrea Kasiske
Görlitz Altstadt wurde nach einem Großbrand im 5. Jahrhundert erstmals zerstörtBild: DW/A. Kasiske

Auch wohlhabende Rentner aus dem Westen Deutschlands, ziehen nach Görlitz. Die Bilderbucharchitektur, kurze Wege, immer noch niedrige Mieten haben der Stadt den Spitznamen "Pensiopolis" eingetragen. Doch auch junge Leute kommen, nicht nur wegen der Fachhochschule. Dass die Stadt schon 25 Jahre nach der Wiedervereinigung so herausgeputzt sei, grenze schon beinahe an ein Wunder, meint Fotograf Jörg Schöner. Die vielen Millionen Euro für den Aufbau Ost seien in Görlitz jedenfalls gut angelegt worden. Die Fotoausstellung "Auferstehung eines Denkmals" macht dies eindrucksvoll sichtbar.