Fünf Lehren aus dem Niederlande-Spiel
25. März 2019Deutschlands Angriff funktioniert
Gab es mal eine Diskussion darüber, wer im DFB-Team die Aufgabe des Stoßstürmers übernehmen kann? Gab es mal Sorgen, dass auf der Position der "Nummer 9" kein qualitativ hochwertiger Nachwuchs vorhanden ist? Falls ja, dann sind diese Diskussionen und Sorgen seit dem Spiel gegen die Niederlande ein wenig hinfällig geworden. Deutschlands Offensive funktioniert nämlich auch dann, wenn sie mit Leroy Sané und Serge Gnabry aus zwei Flügelstürmern besteht, gegebenenfalls ergänzt durch Marco Reus als hängende, zentrale Spitze. Schnell, dribbelstark und mit konsequenten Laufwegen, haben die drei die Defensive der Niederlande beschäftigt und dreimal überwunden. Viel besser geht es nicht. Nach Phasen mit "falscher Neun" und "Ein-Mann-Sturm" taugt das System mit zwei schnellen, beweglichen Angreifern zur Dauerlösung.
Manuel Neuer kann noch Spiele gewinnen
Gehört Manuel Neuer zum alten Eisen und steht der eigentlichen Nummer eins, Marc-André ter Stegen im Weg? Vor dem Auftakt zur EM-Qualifikation gab es nicht wenig Kommentare mit dem Tenor, dass die Zeit des Weltmeisters von 2014 im deutschen Tor abgelaufen sei. Doch wenn man sich alleine die erste Halbzeit von Amsterdam anschaut, muss man eher zum gegenteiligen Schluss kommen. Zweimal rettete Neuer in höchster Not gegen den völlig freistehenden Ryan Babel und zeigte, dass man sich nach wie vor auf ihn verlassen kann.
Die Paraden gegen den ehemaligen Hoffenheimer mögen die Diskussionen, ob nun Neuer oder ter Stegen spielen sollte, nicht für alle Zeit beenden, aber seit Sonntagabend gilt nun wieder ein Satz, den man im Zusammenhang mit der deutschen Nationalmannschaft - zuletzt noch von Joachim Löw - schon oft gehört hat: "Wir sind glücklich, dass wir in Deutschland zwei Weltklasse-Torhüter haben."
Joshua Kimmich ist der emotionale Leader
Er ist es, der sich Manuel Neuer nach dessen Monsterparaden schnappt, dem Keeper auf die Brust haut und ihm seine Freude ins Gesicht brüllt. Er ist es, der sich nach dem Siegtreffer von Nico Schulz fast noch mehr freut als der Torschütze selbst. Und er ist es auch, der nach dem Tor zum 2:0 alle Mitspieler um sich versammelt und im Moment der Euphorie an die taktische Disziplin erinnert und Anweisungen gibt. Zwar mag Manuel Neuer die Binde tragen und Toni Kroos mehr Länderspiele absolviert und Titel gewonnen haben, den Ton auf dem Feld gibt mittlerweile aber Joshua Kimmich an. Der Bayern-Profi ist von Löw von der rechten Abwehrseite ins Zentrum geschoben worden, und auch in der internen Hierarchie nimmt der 24-Jährige eine immer zentralere Rolle ein.
Kimmich geht sogar schon so weit, dass er Nationalmannschaftskollegen nach deren Auftritten in der Bundesliga Textnachrichten mit kurzer Manöverkritik zukommen lässt. Ein wenig Matthias-Sammer-haft nerdig, aber wenn Kimmich aus demselben Holz wie der Europameister von 1996 geschnitzt sein sollte, täte das seinen Qualitäten als Führungsspieler sicher keinen Abbruch.
Die Mentalität ist zurück
Es ist wohl nicht zu weit hergeholt, wenn man behauptet, dass die DFB-Elf ein Spiel wie das in Amsterdam vor einigen Monaten noch verloren, zumindest aber nicht mit einem Last-Minute-Treffer gewonnen hätte. Doch anscheinend ist die lähmende Angst zu scheitern dem Mut Fehler zu machen gewichen. Denn fehlerfrei war das Spiel der Deutschen beileibe nicht. Dennoch aber gab es keinen Moment, in dem man aufgegeben hätte. Bis zum Schluss gab es den Glauben, dass noch etwas möglich sei, was dann durch den späten Schulz-Treffer eindrucksvoll bewiesen wurde. Im November hatte man sich von den Niederländern kurz vor Schluss noch einen einschenken lassen - diesmal war es umgekehrt. Die deutsche Tugend des "Niemals-Aufgebens" ist zurück. Ein beängstigendes Zeichen für die Konkurrenz.
Das DFB-Team ist noch verwundbar
Dennoch aber bleibt die Tatsache, dass auch der Faktor Glück beim Sieg gegen die Niederlande nicht unterschätzt werden darf. Denn während offensiv das meiste sehr schön aussah, passte es hinten an vielen Ecken und Enden noch nicht im Spiel der deutschen Mannschaft. Die Dreierkette mit Niklas Süle, Matthias Ginter und Antonio Rüdiger war nicht immer sattelfest. In der zweiten Halbzeit sorgte besonders der schnelle Memphis Depay für Schweißperlen auf der Stirn. Auch Außenverteidiger Thilo Kehrer rannte den niederländischen Offensivspielern oft nur hinterher. Das Spiel gegen die Niederlande war eine erste Reifeprüfung für die Nachfolger von Mats Hummels und Jerome Boateng, sie wurde knapp bestanden. Nun gilt es, sich in den Länderspielen gegen die schwächeren Gegner Weißrussland, Nordirland und Estland Sicherheit zu holen, damit der nächste Auftritt gegen ein Top-Team etwas weniger wackelig wird als der in Amsterdam.