Fünf Fragen und Fakten zum NSU-Prozess
25. Juli 2017Worum geht es im Prozess?
Das Gerichtsverfahren befasst sich mit den Taten des sogenannten "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU), einer rechtsextremistischen Terrorzelle, der Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos (beide tot) und Beate Zschäpe angehört haben sollen. Der NSU stammte aus der rechtsextremen Szene in Jena und soll laut Bundesanwaltschaft in den Jahren 2000 bis 2007 in verschiedenen Bundesländern zehn Menschen ermordet, zwei Bombenanschläge und ein Dutzend Überfälle begangen haben.
Die meisten Mord-Opfer waren ausländischer Herkunft; auch eine Polizistin wurde erschossen. Der NSU soll auch für das "Kölner Nagelbombenattentat" im Juni 2004 verantwortlich sein: In der Keupstraße mit vielen türkischen Geschäftsleuten wurden 22 Menschen verletzt. Lange hatten die Ermittlungsbehörden die Mordanschläge auf türkische Geschäftsleute und das Kölner Attentat nicht Rechtsterroristen zugerechnet sondern der Wettmafia oder türkischen Gruppen. Angehörige der Opfer wurden in den ersten Jahren der Ermittlungen mit den Vorwürfen konfrontiert, ihre getöteten Männer, Söhne und Brüder seien in kriminelle Machenschaften verstrickt gewesen.
Seit dem 6. Mai 2013 verhandelt der 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts München den Fall. Angeklagt sind Beate Zschäpe und vier mutmaßliche Helfer und Unterstützer. Zschäpe ist unter anderem wegen Mittäterschaft in zehn Mordfällen, besonders schwerer Brandstiftung sowie Gründung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung angeklagt. Sie und der mitangeklagte Ralf Wohlleben, ein früherer Funktionär der rechtsextreme NPD, sitzen seit 2011 in Untersuchungshaft.
Was ist über die beiden toten NSU-Mitglieder bekannt?
Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos nahmen sich im November 2011 mutmaßlich das Leben, um ihrer Verhaftung zu entgehen. Die beiden Männer sollen die Gewalttaten begangen haben. Nach ihrem Tod verschickte Zschäpe ein Bekennervideo, bevor sie die gemeinsame Wohnung in einem Mehrfamilienhaus in Brand setzte. Das Trio war bereits Mitte der 1990er-Jahre im "Thüringer Heimatschutz" aktiv, einem Zusammenschluss von neonazistischen "Freien Kameradschaften" in Thüringen.
Von 1998 bis zum November 2011 lebte die Hauptangeklagte Beate Zschäpe mit den beiden Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Untergrund. Bundesweit waren 160 Polizisten mit der Aufklärung der Mordserie betraut. Die Rechtsterroristen aber blieben unerkannt. Erst durch das Bekennervideo wurden im November 2011 die Zusammenhänge bekannt. Beate Zschäpe stellte sich vier Tage nach Böhnhardts und Mundlos' Tod der Polizei.
Wie hat sich die Hauptangeklagte Beate Zschäpe verhalten?
Anfangs schwieg Zschäpe. Auf Beobachter wirkte sie kühl und distanziert. Zweieinhalb Jahre dauerte es, bis sich die inzwischen 42-Jährige vor dem Münchener Oberlandesgericht zu einem kaum mehr erwarteten Strategiewechsel entschloss und ihr Schweigen brach. Es war die entscheidende Zäsur, weil Zschäpe damit die Anklage im Kern bestätigte. Mit einer aus ihrer Perspektive wesentlichen Ausnahme: Sie will von den Morden ihrer Freunde an neun Geschäftsleuten mit ausländischen Wurzeln und einer deutschen Polizistin vorher nie etwas gewusst haben.
Die Bundesanwaltschaft hingegen ist fest davon überzeugt, dass Zschäpe unverzichtbarer Teil des NSU-Trios und in alle Morde eingebunden war. Ein vom Gericht beauftragter Gutachter kam zu dem Schluss, das Zschäpe psychisch gesund und voll schuldfähig sei. Die Angehörigen der Mord-Opfer, die als Nebenkläger dabei sind, hofften bis zuletzt vergeblich auf eine für sie nachvollziehbare Erklärung Zschäpes, warum gerade ihr Vater, Sohn oder Bruder vom NSU ermordet wurde. Für die Schweige-Strategie war das Pflichtverteidiger-Trio Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm verantwortlich, mit dem Zschäpe im Sommer 2015 brach. Seitdem vertraut sie den damals hinzugekommenen Anwälten Mathias Grasel und Hermann Borchert.
Was ist über die Rolle der Geheimdienste bekannt geworden?
Der Bundestag und mehrere Landtage setzten Untersuchungsausschüsse ein, die das Versagen der Sicherheitsbehörden im Fall des NSU beleuchten sollten. Im Bundestags-Untersuchungsausschuss warfen Abgeordnete dem federführenden Bundesanwalt Herbert Diemer vor, Beweisen nicht nachgegangen zu sein, um mögliche Verstrickungen des Verfassungsschutzes in die NSU-Mordserie zu verheimlichen.
Besonders die Hinterbliebenen und ihre Anwälte haben im Prozess mehrfach erfolglos darauf gedrungen, die fragwürdige Rolle des Verfassungsschutzes im NSU-Komplex aufzuklären. Fest steht, dass Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos unter den Augen ihrer vermeintlichen Verfassungsschutz-Aufpasser untertauchen konnten.
Wann wird das Urteil verkündet?
Am 18. Juli hatte der Vorsitzende Richter Manfred Götzl die Beweisaufnahme in dem Mammutprozess für beendet erklärt. In den vergangenen vier Jahren hatte der Münchner Senat 815 Zeugen angehört und 42 Sachverständige befragt. Nach Schätzung des Gerichts kostete jeder der bisher 373 Verhandlungstage rund 150.000 Euro. Nun will die Bundesanwaltschaft mit ihrem Plädoyer beginnen, das alles in allem 22 Stunden dauern wird, verteilt auf mehrere Prozesstage bis zum 1. August.
Nach den Plädoyers der weiteren Prozess-Beteiligten, die nach einer Sommerpause im September starten sollen, haben die Angeklagten noch die Gelegenheit zu einem letzten Wort - danach zieht sich das Gericht zur Beratung zurück. Das Urteil gegen die fünf Angeklagten könnte noch in diesem Jahr verkündet werden. Zschäpe droht lebenslange Haft, wenn das Gericht sie der Anklage entsprechend als Mittäterin verurteilt.
(mit Informationen von Marcel Fürstenau und dpa)