Fußball und Menschenrechte
19. März 2006Die Koalition gegen Straflosigkeit wurde 1998 als Arbeitsbündnis der untenstehenden Organisationen gegründet, um das Schicksal deutscher Staatsangehöriger und Argentinier/innen deutscher Abstammung aufzuklären, die während der Militärdiktatur in Argentinien (1976-83) als Regimegegner verhaftet wurden und spurlos "verschwanden". Etwa 100 solcher Fälle sind bekannt. 34 davon hat die "Koalition gegen Straflosigkeit" beim Landgericht Nürnberg/Fürth zur Anzeige gebracht. Die "Koalition gegen Straflosigkeit" unterstützt gemeinsam mit Initiativen aus anderen europäischen Ländern den Kampf der argentinischen Menschenrechtsorganisationen gegen die Straflosigkeit, da in Argentinien selber bisher keine Strafprozesse möglich waren. DW-WORLD sprach mit dem Sprecher der Koalition, Pfarrer Kuno Hauck.
DW-WORLD.DE: Herr Pfarrer Hauck, die "Koalition gegen Straflosigkeit" veranstaltet im Moment eine Kampagne in Zusammenhang mit der Weltmeisterschaft 78 in Argentinien - und sicherlich auch mit der WM 2006 in Deutschland. Worum geht es?
Bruno Hauck: Menschenrechtsfragen berühren alle Fragen des Lebens, und da ist der Sport nicht ausgeschlossen. Das war schon 1978 ein Thema: Können wir als deutsche Nation unsere Fußballmannschaft in ein Land schicken, in dem gefoltert wird, in dem Menschen ermordet werden? Es gab damals die berühmte Kampagne von Amnesty International: "Fußball ja, Folter nein". Und es hat sich gezeigt, dass die Frage von Seiten des deutschen Sportbundes und von Parlamentariern sehr naiv angegangen wurde. Man hat gesagt: Fußball und Menschenrechte haben nichts miteinander zu tun, lass die einen ihren Sport machen, und ihr könnt eure Menschenrechte machen.
Ist das auch die heutige Position?
Das ist die Frage. Wir versuchen mit dem DFB Kontakt aufzubauen. Mit einer Unterschriftenaktion fordern wir, dass der DFB einen Menschenrechtskodex für Großveranstaltungen entwickelt und dass er sich entschuldigt, für das, was früher war. Wir haben eine glatte Abfuhr bekommen. Man meint dort auch heute noch, dass Fußball und Menschenrechte nichts miteinander zu tun haben.
Plädieren Sie dafür, dass deutschen Mannschaften in Länder fahren, in denen Menschenrechte verletzt werden, aber dort auf die Menschenrechtssituation aufmerksam machen? Oder sollen sie überhaupt nicht hinfahren?
Man muss einen Kodex entwickeln. Es könnte vielleicht Länder geben, in die man einfach nicht mehr fährt. Oder man muss dies an bestimmte Bedingungen knüpfen, wie zum Beispiel: Es darf nicht verboten werden, öffentlich seine Meinung zu Fragen der Menschenrechte zu sagen. Es muss erlaubt sein, mit Oppositionellen in Kontakt zu kommen. Was passiert in drei Jahren in Peking bei den Olympischen Spielen? Man weiß, dass in China schwere Menschenrechtsverletzungen begangen werden. Ignoriert man das alles, so wie damals in Argentinien? Wo die Gefolterten im Keller die Jubelschreie aus dem Stadion gehört haben? Wir sagen nicht: Fahrt nicht hin! Sondern wir bitten zu prüfen, unter welchen Bedingungen man fährt.
Was ist mit Mannschaften, die nach Deutschland kommen? Sollte man die nicht einladen, wenn in deren Heimat Menschenrechte verletzt werden?
Natürlich sollen Mannschaften kommen, aber die FIFA darf nicht verbieten, wenn oppositionelle Gruppen ein Transparent hochhalten. Ein Beispiel: Als zum Confederations Cup 2005 Argentinien in Nürnberg gespielt hat, wollten wir ins Stadion und dort Transparente zeigen, auf denen steht: "¿Dónde están?", also "Wo sind sie?" - zusammen den Bildern der Verschwundenen. Nicht um die argentinische Mannschaft zu kritisieren, sondern um auf eine offene Wunde in Argentinien aufmerksam zu machen. Die FIFA hat mit massiven Repressionen darauf reagiert. Schon im Vorfeld wurde uns verboten, das Stadion mit Plakaten zu betreten; wir wurden mehrmals gefilzt, haben es aber geschafft, über andere Leute Transparente mitzunehmen. Diese Transparente, auf denen "Wahrheit, Gerechtigkeit" stand, wurden uns abgenommen.
Wie reagieren denn die Sportler?
1978 gab es ganz wenige Sportler, die sich kritisch über die Menschenrechtslage in Argentinien geäußert haben. Paul Breitner gehört dazu, der dann aber nicht im Aufgebot war. Es gab auch Aussagen wie die von Berti Voigts: "Warum fragt ihr uns nicht, wie es in Russland zugeht?" Es gab auch unter den Sportlern Leute, die gesagt haben: "Mich stört das nicht, ich will Fußball spielen." Wir stellen auch heute fest, dass unter den Sportlern wenig politisches Denken da ist. Man versucht das strikt zu trennen: Sport ist Sport, und Politik ist Politik. Es ist doch aber naiv, zu glauben, dass mit einer Nationalmannschaft nicht auch die ganze Politik eines Landes mit in Verbindung bringt.