Notstand in Deutschlands Kitas
7. März 2018Kindergärtnerinnen und Kindergärtner, verzweifelt gesucht: Nach einer jetzt veröffentlichten Studie des Deutschen Kitaleitungskongresses (DKLK) wird es bis zum Jahr 2025 rund 309.000 Kindergärtner zu wenig geben, Tendenz steigend. Schon jetzt fehlen nach Angaben des Verbands Bildung und Erziehung rund 130.000 Erzieherinnen und Erzieher.
Die Gründe dafür sind schlechte Bezahlung, mangelnde Anerkennung und Dauerstress. "Die Belastungssituation für pädagogische Fachkräfte ist sehr hoch", heißt es in der neuen DKLK-Studie 2018. Für die im Auftrag der Hochschule Koblenz durchgeführte Studie wurden bundesweit 2390 Kita-Leitungen befragt.
Die "Basteltanten" begehren auf
Ergebnis: Die Anerkennung des Berufes hinkt hinter der Wirklichkeit hinterher. In der Bevölkerung hält sich hartnäckig das Klischee von der "Basteltante", die mit den Kleinkindern spielt und eben auch bastelt. In der Praxis sind Kitas zu einem Schlüsselort für Integration, Armutsbekämpfung und frühkindlicher Bildung avanciert.
Mehr noch: Wissenschaftliche Erhebungen belegen, dass frühkindliche Bildung spätere schulische Leistungen, soziale Kompetenz und sprachliche Fähigkeiten verbessert. In Kitas wird deshalb der Grundstein für eine erfolgreiche Schullaufbahn gelegt.
Die Pisa-Schulleistungsvergleiche der Organisation für wirtschaftliche Organisation und Entwicklung (OECD) sind eindeutig: Die schulischen Leistungen 15-Jähriger mit zwei Jahren Kindergartenerfahrung sind im Durchschnitt besser als die von gleichaltrigen Mitschülern, die keine Kita besucht haben.
Überraschung in der Kita
Doch in der gesellschaftlichen und politischen Debatte in Deutschland spielen frühkindliche Bildung und Betreuung bislang noch eine untergeordnete Rolle. "Die Anerkennung und Wertschätzung in der Gesellschaft ist noch nicht da", sagt Barbara Wirth, Leiterin des evangelischen Familienzentrums Domino in Lindlar.
Bei Besuchen in der Kita spielen sich oft die immer gleichen Szenen ab. "Es kommen Lehrer zu uns in die Kita, die sind baff, was wir hier für eine frühkindliche Bildung leisten", sagt sie im Gespräch mit der DW. "Nicht mal Grundschullehrer kriegen mit, was im Kindergarten alles geleistet wird."
Es scheint paradox: Während die Ansprüche an Kitas kontinuierlich steigen, verzichtet Deutschland im Gegensatz zu anderen OECD-Ländern auf einheitliche Qualitäts- und Finanzierungsstandards. Aufgrund der Bildungshoheit der Länder entscheiden hierzulande Bundesländer und Kommunen je nach finanzieller Ausstattung und politischer Ausrichtung über das Ausmaß der Förderung von Kitas.
Flickenteppich der Betreuung
Die Folge: Kosten und Qualitätsstandards für Kinderbetreuung variieren von Ort zu Ort, von Einrichtung zu Einrichtung, und damit auch die Chancengleichheit von Kindern. Während Eltern in Düsseldorf und Heilbronn ihre Kinder kostenlos in die Kita schicken können, müssen sie in Nürnberg, Bremen, Dresden und Hannover mit erheblichen Gebühren rechnen.
Ein wichtiges Qualitätsmerkmal ist der sogenannte Betreuungsschlüssel, also um wie viele Kinder sich eine Fachkraft in einer Kita kümmern muss. In Deutschland steht das Land Baden-Württemberg an erster Stelle. Laut einer Erhebung der Bertelsmann-Stiftung ("Ländermonitoring Frühkindliche Bildungssysteme") kommt dort in Krippen (null bis drei Jahre) eine Betreuerin auf drei Kinder. Im Kindergartenbereich (drei bis sechs Jahre) liegt der Betreuungsschlüssel bei eins zu sieben.
Schlusslicht ist bei den Krippenkindern Sachsen mit einem Schlüssel von eins zu 6,5. In der Altersgruppe der Drei- bis Sechsjährigen belegt Mecklenburg-Vorpommern mit einem Betreuungsschlüssel von eins zu 13,7 den letzten Platz.
Vorbild Australien
Damit liegt Mecklenburg-Vorpommern im OECD-Durchschnitt. Insgesamt fällt der Betreuungsschlüssel in Deutschland mit rund eins zu elf jedoch positiver aus. Dänemark, Slowenien und Schweden verzeichnen allerdings noch bessere Werte. OECD-Spitzenreiter ist Australien mit einem Betreuungsschlüssel von eins zu fünf.
Die Autoren der DKLK 2018-Studie verweisen in ihrer Untersuchung auf die Bringschuld der Politik. "Nur ein verschwindend geringer Anteil der Kita-Leitungen, weniger als vier Prozent, empfindet eine starke Wertschätzung durch die Politik", schreiben sie. "Ein Ergebnis, das darauf hindeutet, dass die Unzufriedenheit mit den aktuellen Arbeits- und Rahmenbedingungen in erster Linie den politischen Akteuren angelastet wird."
Kita-Leiterin Barbara Wirth drückt es anders aus: "Wir werden oft zugeschüttet, haben aber keine Zeit, die Sachen in Ruhe und qualitativ abzuarbeiten. Im Moment bin ich froh, wenn ich den Kopf über Wasser halte."