Palästinensischer Widerstand
3. Juni 2011Sie kommen von überall in Europa und wollen nach Palästina: Rund 1000 Friedensaktivisten werden am 08. Juli auf dem internationalen Ben-Gurion-Flughafen in Israel landen. In den besetzten Gebieten wollen sie sich mit palästinensischen Aktivisten treffen und acht Tage lang an Widerstandsaktionen gegen die Besatzung teilnehmen. "Willkommen in Palästina" ist das Motto dieser Woche, die von palästinensischen und europäischen Gruppen geplant wird.
Lubna Masarwa ist Aktivistin aus Jerusalem und Mitorganisatorin des 08. Juli. Sie ist nach Berlin gekommen, um deutsche Unterstützer zur Teilnahme an der Aktion zu motivieren. "Es ist für uns sehr wichtig, dass die internationale Gemeinschaft ihre Stimme gegen die israelische Besatzung erhebt", sagt sie. Da die Regierungen tatenlos zusähen, wie der Siedlungsbau vorangetrieben werde und die Häuser von Palästinensern zerstört würden, wende man sich nun direkt an die Zivilgesellschaften in Europa, Kanada und den USA und bitte um Unterstützung.
"Willkommen in Palästina"
Doch noch ist unklar, ob die Aktivisten aus dem Ausland überhaupt nach Palästina kommen können. Denn um ins besetzte Westjordanland zu gelangen, müssen sie eine israelische Grenze passieren - entweder die Landgrenze von Jordanien aus oder über den Flughafen bei Tel Aviv.
"Wir hoffen, dass Israel so anständig sein wird, unsere Gäste hereinzulassen", sagt Mazin Qumsiyeh, Professor an der Universität von Bethlehem. Der Biologe und Genetiker, der zuletzt an der Yale-Universität in den USA lehrte, ist einer der Hauptvertreter des friedlichen Widerstands in Palästina und hat schon zwei Bücher zum Thema veröffentlicht. Auch er gehört zu den Organisatoren des 08. Juli und auch er ist nach Deutschland gekommen, um für die neuen Aktionen der gewaltlosen Widerstandsgruppen zu werben.
In den westlichen Medien werde immer nur vom bewaffneten palästinensischen Widerstand gesprochen, kritisiert Qumsiyeh. Doch der sei nur ein ganz kleiner Teil des Widerstands gegen die Besatzung. Die meisten Aktivitäten seien gewaltlos. Sie reichten von Demonstrationen, Kundgebungen und Streiks bis hin zu phantasievollen Projekten wie Theateraufführungen, gemeinsamer Olivenernte und Aktionen des zivilen Ungehorsams. Der amerikanische Theoretiker der friedlichen Bürgerrevolten, Gene Sharp, der die Revolutionen in Tunesien und Ägypten inspiriert hat, spreche in seinen Schriften von 198 Formen des gewaltlosen Widerstands, erklärt Qumsiyeh. All dies und noch mehr habe man in Palästina seit der Zeit der osmanischen Herrschaft ausprobiert. "Allein die Tatsache, dass wir in unserem Land bleiben, ist Widerstand. Denn Israel will uns aus dem Westjordanland vertreiben."
Bil´in – Zentrum des gewaltfreien Widerstands
Zentrum des gewaltlosen Widerstands in den besetzten palästinensischen Gebieten ist Bil´in, ein Dorf bei Ramallah. Seit Jahren wehren sich die Einwohner des Ortes gegen ihre Enteignung. 60 Prozent ihres Landes haben sie schon durch den Bau der israelischen Trennmauer verloren. Auf dem von Israel annektierten Gebiet wurde eine jüdische Siedlung errichtet.
Inzwischen haben sich weitere Ortschaften im Westjordanland angeschlossen. Auch sie wehren sich gegen den ausufernden Siedlungsbau, der sie immer mehr einschränkt, gegen die Zerstörung ihrer Häuser und das gewaltsame Vorgehen der israelischen Armee. Unterstützt werden sie dabei von ausländischen und israelischen Friedensaktivisten.
An jedem Freitag fahren sie ins Westjordanland und nach Ostjerusalem, um sich dort den Demonstrationen und Protestkundgebungen der Palästinenser anzuschließen. Fast immer gehen die israelischen Sicherheitskräfte gewaltsam gegen die Demonstranten vor. Sie setzen Tränengas und Gummigeschosse ein, Sirenen, die ohrenbetäubenden Lärm erzeugen und die sogenannten Stinkgranaten, die einen Übelkeit erregenden Geruch verbreiten. Palästinensische und israelische Aktivisten werden festgenommen; die Palästinenser oft monatelang ohne Prozess und Urteil in die sogenannte Administrativhaft genommen.
Aus der Haft nach Europa
Abdallah Abu Rahme ist der Koordinator des Bürgerkomitees von Bil´in, das seit Jahren den Widerstand gegen die Mauer organisiert. Im Jahr 2009 wurde er verhaftet. 16 Monate lang saß er im Gefängnis, wo er auch viele minderjährige palästinensische Häftlinge traf, die bei Demonstrationen festgenommen wurden. Nur ein einziges Mal in dieser Zeit durfte seine Familie ihn besuchen. Es war eine harte Zeit, sagt er heute. Monatelang sei er in einem Zelt untergebracht gewesen, fast schutzlos der Hitze und der Kälte ausgeliefert. Wenn dies aber der Preis sei, den er für die Freiheit Palästinas entrichten müsse, dann sei er bereit, ihn zu bezahlen.
Im vergangenen März wurde Abu Rahme entlassen. Seine erste Reise führte ihn nach Europa: nach Tschechien, Frankreich, Italien und Deutschland. Wo immer er hinkommt, propagiert er den gewaltlosen Widerstand. "Wir wollen, dass sich der gewaltlose Widerstand in ganz Palästina verbreitet", sagt er. Vor acht Jahren habe man mit drei oder vier Orten angefangen. Inzwischen seien es rund 20 Dörfer und Städte, die regelmäßig jede Woche friedlich gegen die Besatzung kämpften.
Hilfe von Bürgern - statt Regierungen
Überall im besetzten Westjordanland gibt es inzwischen Bürgerkomitees, die den friedlichen Widerstand gegen Israel organisieren. Sie sehen sich als Vorreiter der Demokratiebewegung in der arabischen Welt. Gleichzeitig werden sie von den revolutionären Umbrüchen in Ägypten und Tunesien und den Revolten in Syrien, Libyen, dem Jemen und Bahrain inspiriert und ermutigt.
Lubna Masarwa, Mazin Qumsiyeh und Abdallah Abu Rahme hoffen, dass am 08. Juli viele Unterstützer aus Europa nach Palästina kommen. Denn auch dieser Kontakt ins Ausland sei Teil des zivilen Widerstands. "Da die Regierungen sich nicht für uns einsetzen, wenden wir uns direkt an die Bevölkerungen", sagen die palästinensischen Aktivisten. Gemeinsam mit den Gästen aus dem Ausland wollen sie im Juli gegen die Besatzung demonstrieren. Friedlich und ohne Gewalt.
Autorin: Bettina Marx
Redaktion: Sabine Kinkartz