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Freihandelsabkommen EU mit Vietnam

20. Januar 2020

Wenn Vietnam und die EU sich diese Woche einigen, könnte es das größte Freihandelsabkommen werden, das die EU je mit einem Entwicklungsland geschlossen hat.

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Produktion im Adidas-Werk in Vietnam
Bild: picture-alliance/dpa/P. Kneffel

Die entscheidende Sitzung für das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Vietnam ist am  Dienstag (21. Januar 2020). Dann tagt der Ausschuss für internationalen Handel des Europäischen Parlaments (INTA). Er wird dem Parlament einen Resolutionsentwurf vorlegen, mit dem bei einer Entscheidung im Februar die knapp acht Jahre währenden Verhandlungen zum Abschluss kämen.

Das Freihandelsabkommen (EVFTA) ist nach Angaben der EU das umfassendste, das je zwischen der Union und einem Entwicklungsland abgeschlossen wurde. Das Abkommen enthält unter anderem folgende Punkte:

  • 99 Prozent aller Zölle auf beiden Seiten werden abgeschafft
  • Es reduziert nichttarifäre Handelshemmnisse und bürokratische Hürden, indem etwa Vietnam vermehrt internationale Standards einführt und Zertifikate der EU akzeptiert
  • Der Marktzugang für europäische und vietnamesische Unternehmen soll erleichtert werden

Interessen der EU

Die EU verfolge wirtschaftliche Interessen, die auch über Vietnam hinausweisen, wie Erwin Schweisshelm sagt. Der ehemalige Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Vietnam war kürzlich auf Einladung des Vorsitzenden des Handelsausschusses des europäischen Parlaments, Bernd Lange, zu einem Hearing in Brüssel. Nach Singapur wäre das Abkommen das zweite mit einem Mitglied des Verbands Südostasiatischer Nationen (ASEAN), in dem zehn Staaten organisiert sind und mehr als 600 Millionen Menschen leben. Die EU verhandelt im Anfangsstadium auch mit Thailand, Malaysia und Indonesien. "Perspektivisch könnte es also ein ASEAN-EU-Abkommen geben."

Infografik Handel EU Vietnam DE

Nguyen Minh Vu, der vietnamesische Botschafter in Deutschland, sagt dazu in einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber der Deutsche Welle: "Im Kontext von Handelsstreitigkeiten und wachsendem Protektionismus ist das Abkommen ein starkes Signal beider Seiten für den freien Handel."

Das Abkommen habe aber nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine geostrategische Bedeutung, so Schweisshelm und Vu. Die EU hat mit Vietnam 2019 eine Sicherheitspartnerschaft abgeschlossen. Aus Schweisshelms Sicht bedeutet das: "Vietnam ist für die EU strategisch als Land in Ostasien auch im Hinblick auf eine neue Chinastrategie wichtig." Die EU will sich in Asien breiter aufstellen und die politischen Handlungsoptionen vermehren. Auch Vu ist überzeugt, dass das EVFTA die strategische Partnerschaft zwischen der EU und Vietnam wirtschaftlich und politisch deutlich vertiefen werde.

Interessen Vietnams

Vietnams exportorientierte Wirtschaft setzt seit Jahren auf den Freihandel. Kein anderes Land der ASEAN außer Singapur hat mehr Freihandelsabkommen abgeschlossen (insgesamt elf, fünf weitere werden gerade verhandelt). Die Strategie ging bisher auf: Vietnams Wirtschaft wuchs in den letzten fünf Jahren nach Angaben der Regierung um durchschnittlich 6,5 Prozent.

Einen großen Anteil daran hatten ausländische Direktinvestitionen. Das EVFTA soll Vietnam noch attraktiver für Investoren, insbesondere aus der EU machen. Vu sagt dazu: "Die EU ist der fünftgrößte Investor in Vietnam. Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass das Investment weiter steigen wird, da zwei Drittel aller Investoren laut einer Studie zufrieden oder sehr zufrieden in Vietnam sind."

Knackpunkt Nachhaltigkeitskapitel

Neben den Vereinbarungen zum Freihandel beinhaltet das Abkommen ein eigenes Nachhaltigkeitskapitel. Darin verpflichtet sich Vietnam auf die Einhaltung internationaler Arbeits- und Umweltstandards. Es geht etwa um die acht Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), wie zum Beispiel die Versammlungsfreiheit (Norm 87), das Vereinigungsrecht (Norm 98) und das Verbot der Zwangsarbeit (Norm 105).

Tatsächlich hat Vietnam sechs der acht Normen bereits ratifiziert. Bisher fehlen die Norm 87 zur Versammlungsfreiheit und die Norm 105 zum Verbot der Zwangsarbeit. Allerdings hat die Nationalversammlung am 20. November 2019 das Arbeitsgesetz novelliert. Das neue Gesetz ermöglicht ab 1. Januar 2021 die Gründung unabhängiger Gewerkschaften auf Betriebsebene, die sich nicht dem kommunistischen Gewerkschaftsbund anschließen müssen. "Ein echter Tabubruch für ein leninistisches System", urteilt Schweisshelm. Zugleich müsse abgewartet werden, wie das Gesetz in der Praxis umgesetzt werde.

Vietnam Hanoi Unterzeichnung Handelsabkommen mit der EU
Im Juni 2019 wurde das EVFTA unterzeichnet (Bild). Im Februar muss das Europäische Parlament noch zustimmen. Dann fehlt nur noch die Zustimmung der vietnamesischen NationalversammlungBild: Getty Images/AFP/T. Tuan

Auch Nachhaltigkeit von der EU gefordert

Der vietnamesische Botschafter Vu schreibt zum Thema Nachhaltigkeit: "Das Freihandelsabkommen als wichtiger Teil der des EU-Vietnam Kooperationsabkommens eröffnet Möglichkeiten für den Dialog über gemeinsame Anliegen bei politischen und sozialen Themen und Fragen hinsichtlich der Umwelt." Dialog sei zwar gut, sagt Schweisshelm, und auf dem Papier würden EU und Vietnam zwar viele Werte teilen, aber in der Praxis sähe es dann doch oft etwas anders aus.

Im November 2019 hatten 18 NGOs in einem Brief an das EU-Parlament gefordert, das Freihandelsabkommen zu verschieben, bis Vietnam alle politischen Gefangenen freigelassen und eine freie Presse zugelassen hat. In einem aktuellen Brief (vom 15.01.2020) fordert Claudio Francavilla von HRW in Brüssel, die Ratifizierung zu verschieben, bis Vietnam weitergehende Zugeständnisse gemacht hat. Schweisshelm sieht solche Maximalforderungen kritisch, auch weil viele NGOs in Vietnam bei Abschluss des Abkommens die Chance für mehr Spielraum sehen – wenn die EU den Prozess weiter begleitet.

Verbindliche Zusage gefordert

Die EU hat in der Vergangenheit mehrfach Freihandelsabkommen abgeschlossen, in denen auch arbeits- und umweltrechtliche Standards eingefordert wurden. Aber die EU habe das oft nur unzureichend nachgehalten, sagt Schweisshelm. Als Beispiel kann Südkorea gelten, dass 2011 ein FTA mit der EU geschlossen hat, aber bis heute nur die Hälfte der darin enthaltenen Kernarbeitsnormen ratifiziert hat.

Das sollte sich aus Sicht von Schweisshelm im Falle Vietnams nicht wiederholen: "Die EU wird hoffentlich ihre Politik ändern und sagen: Mit der Ratifizierung ist unsere Arbeit nicht beendet, sondern sie fängt gerade erst an."

Vietnam HCMC panorama
Vietnams Wirtschaft boomt. Ho Chi Minh Stadt, das wirtschaftliche Zentrum des Landes, wandelt sich rasantBild: James T Clark

Vorstoß kurz vor Abschluss

Tatsächlich sieht das EVFTA die Einsetzung einer Domestic Advisory Group (DAG) vor, die überprüfen soll, ob die Vereinbarungen eingehalten werden. In der DAG sollen neben anderen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter und Umweltorganisationen vertreten sein. Es soll eine DAG in Europa und eine in Vietnam geben. Bei der in Vietnam ist aber die Frage, wer genau schlussendlich in der DAG sitzen wird. Werden unabhängige NGOs und Gewerkschaften vertreten sein oder nur Vertreter der Massenorganisationen der Kommunistischen Partei Vietnams? Dass Vietnam in dem Passus des Abkommens darauf gedrängt hat, dass der Begriff "Zivilgesellschaft" oder "zivilgesellschaftliche Organisationen" nicht vorkommt, zeigt, wie die vietnamesische Regierung das Thema sieht.

Dass die EU dieses Mal genauer hinsehen will, deutet ein Brief an, den der Vorsitzende des EU-Handelsausschusses, Bernd Lange, im Dezember 2019 an den vietnamesischen Premierminister Nguyen Xuan Phuc geschrieben hat. Lange fordert darin vor der endgültigen Abstimmung im Plenum des Europäischen Parlaments im Februar eine verbindliche schriftliche Zusage für die Ratifizierung der ILO-Normen, konkrete Maßnahmen zur Zulassung von Gewerkschaften und Garantien für die Bildung einer unabhängigen DAG.

Von Seiten Vietnams gab es bereits eine zustimmende, allerdings im Detail noch vage Antwort. Der Handelsminister Tran Tuan Anh soll weitere Details vor der entscheidenden Sitzung im Ausschuss für internationalen Handel kommende Woche vorlegen.

 

Rodion Ebbinghausen DW Mitarbeiterfoto
Rodion Ebbighausen Redakteur der Programs for Asia