Frei Otto: der Architekt der Luftschlösser
Seine Konstruktionen waren eine Hommage an die Leichtigkeit von Form und Material, sein berühmtestes Werk ist das filigrane Dach des Münchner Olympiastadions. Jetzt ist Frei Otto im Alter von 89 Jahren gestorben.
Meisterwerk mit Damenstrümpfen
Frei Otto legte es nicht auf Lorbeeren an, viel lieber widmete er sich wagemutigen Entwürfen. Mit seiner Vision des Münchner Olympiastadions erhielt er zur Verblüffung der Fachwelt Ende der 1960er Jahre den Zuschlag. Statt mit Beton und Stein siegte Otto mit neuer Leichtigkeit – und mit Nylonstrümpfen, die seinen Modellentwurf zusammenhielten. Bis heute lagern sie in Ottos Rumpelkammer.
Eigentlich unbaubar
Zu Frei Ottos Zeiten arbeitete man noch ohne Computer und Architekten-Software. Sonst hätte die Technik ihn darüber informiert, dass eine Zeltdachkonstruktion wie in München eigentlich unbaubar war. Gebaut wurde sie trotzdem - dank Frei Ottos Tüfteleien an der Statik. Heute zählt das Dach zu den architektonischen Wundern der Gegenwart.
Ein Zelt aus Sternen
Immer wieder stolperten Zeitgenossen über den Namen: Frei Otto? Muss es nicht Otto Frei heißen? Nein, seine Mutter gab ihm den Vornamen, weil sie die Freiheit liebte – und diesen freien Geist trug auch der Sohn Zeit seines Lebens in sich. Fast scheint es, als ob seine Entwürfe aus Seilnetzen und Gitterschalen davonfliegen wollen. So wie hier das "Sternenweltzelt"-Dach im Kölner Tanzbrunnen.
Inspiriert vom Segelfliegen
Frei Paul Otto erblickte am 31. Mai 1925 in Siegmar bei Chemnitz das Licht der Welt. Eigentlich wollte er Bildhauer werden wie schon sein Vater und Großvater. Doch als er das Segelfliegen erlernte, verfiel er den filigranen Leichtbaumodellen. Er studierte Architektur in Berlin und eröffnete 1952 sein erstes eigenes Büro.
Ein Faible für Schirmdächer
Am meisten hatten es ihm Dächer angetan - keiner konnte sich mehr für das Beschirmen begeistern als Otto. Selbst für die Band "Pink Floyd" realisierte er in den 1970er Jahren ein ungewöhnliches Bühnendach für ihre Tournee. Und dann gibt es da noch den japanischen Pavillon bei der Expo 2000 in Hannover, der ein wenig an eine Raupe erinnert - eine federleichte, versteht sich...
Ideengeber und Utopist
Die meisten von Ottos Bauwerken entstanden in Zusammenarbeit mit Kollegen. Er selbst beschrieb sich vor allem als Ideengeber. "Ich habe viele Luftschlösser ersonnen", sagte Otto einmal. Luftig leicht, fast an ein Ufo erinnernd, wurde so, mit Unterstützung von Carsten Schröck, schon in den 1960er Jahren die St. Lukas-Kirche in Bremen errichtet. Das Gebäude steht seit 1994 unter Denkmalschutz
Ein luftiges Wahrzeichen
Während Otto so mancher seiner Entwürfe, wie auch das Münchner Olympiadach, schon fast zu massiv erschien – die Statik hatte das nötig gemacht – konnte er im Münchner Tierpark Hellabrunn seinen Traum vom Luftschloss erfüllen. Fast unsichtbar und luftig leicht präsentiert sich die Großvoliere, längst ein Wahrzeichen des Zoos.
Das "Bau-Gen"
An der Universität Stuttgart hatte Otto 1964 eine Art Leichtbau-Thinktank gegründet: das "Institut für Leichte Flächentragwerke". Ingenieure aus aller Welt pilgerten hierher, um an Ottos Vorlesungen teilzunehmen. Er sei fest überzeugt, dass es ein "Bau-Gen" gäbe, erklärte er seinen Studenten. Der Mensch müsste auch dann bauen, wenn er gar keinen Grund dafür hätte. Das Bauen sei ihm eigen.
Auch mal Verzicht üben
Für Otto musste dieses Bau-Gen im Einklang mit der Natur schwingen. Er studierte die Netze von Spinnen, setzte sich mit dem organischen Bauen auseinander und experimentierte mit Drahtgestellen. Und manchmal plädiert Otto für den Verzicht: Auf dem Gelände des zerstörten World Trade Centers solle man nur Gras wachsen lassen, schlug er vor. Als Erinnerung. Es kam anders.
Ein Brunnen für Warmbronn
Seit vielen Jahren lebte Otto Frei mit Frau und Tochter in der kleine schwäbischen Gemeinde Warmbronn bei Stuttgart. Als Hommage an seinen Heimatort schuf er einen Gedenkbrunnen für den regionalen Poeten Christian Wagner. Er sieht aus wie ein Baum, ist aus 133 Stangen zusammengeschweißt, und aus seinen Ästen tropft Wasser in den Brunnentrog.
Ein Architekten-Nobelpreis zum Abschied
Bis zuletzt arbeitete Frei Otto in seinem Atelier. Zahlreiche Preise hat er in seinem Leben gewonnen, posthum wurde ihm jetzt der Pritzker-Preis, quasi ein Nobelpreis der Architektur, verliehen. Die Jury würdigte ihn als "Titan der modernen Architektur". Otto wusste von der bevorstehenden Ehrung, freute sich – aber in Gedanken war er bestimmt schon wieder dabei, ein neues Luftschloss zu bauen.