Frauenrechte: Totschlag-Argument Scharia
21. Mai 2020Einmal wurde das neue Gesetz zum Schutz von Frauen bereits im Parlament abgelehnt, doch Mauretaniens Regierung will nicht aufgeben: Ein neu formulierter Entwurf soll demnächst die erhoffte Zustimmung bringen. Das neue Gesetz solle Frauen besser vor Gewalt schützen und helfen, "Vorurteile und diskriminierende Einstellungen gegenüber Frauen und Mädchen zu beseitigen", so der Regierungsentwurf.
Eine deutliche Sprache wählte Mauretaniens Justizminister Haimouda Ould Ramdane: Er bezeichnete Gewalt gegen Frauen als "Verbrechen". Auf Grundlage des vorgelegten Gesetzentwurfs sollen Frauen künftig Anklage gegen ihre Peiniger erheben können.
Die erste Reform des Gesetzes scheiterte 2018. Das Hauptargument der Gegner lautete, hier wie auch in vielen ähnlichen Fällen in arabischen oder islamisch geprägten Ländern: Das geplante Gesetz für mehr Frauenrechte verstoße gegen die Bestimmungen des islamischen Rechts, der Scharia.
Tatsächlich ist die Kraftprobe im mauretanischen Parlament kein Einzelfall. Regelmäßig kommt es bei dem Versuch, bestehende Gesetze zum Frauen- oder Familienrecht zu ändern, in vielen Ländern der Region zu scharfen Kontroversen, in denen Religion meist ebenso eine dominante Rolle spielt wie die Begriffe "Ehre" und "Tradition". Derlei ausufernde Debatten stiften bei Betroffenen oft zusätzlich Verunsicherung und verkehren das Anliegen der Gesetzesreform nicht selten in ihr Gegenteil.
Kritik an "religiöser Lobby"
Insbesondere Vertreter der so genannten "religiösen Lobby" verschafften sich bei solchen Diskussionen lautstark Gehör, beklagt Saad Eddin Al-Hilali, Professor für vergleichende Rechtswissenschaft an der Al-Azhar-Universität in Kairo. Zu dieser "religiösen Lobby" zählt er vor allem "ältere Religionsgelehrte, die in Medien auftauchen, um die öffentliche Meinung in ihrem Sinn zu beeinflussen - ohne Rücksicht auf alle, die anderer Meinung sind, und völlig unabhängig davon, ob ihre Meinung religiös zulässig oder unzulässig ist". Mit anderen Worten: Vermeintlich eindeutige oder unverrückbare Scharia-Bestimmungen über die gesellschaftliche und familiäre Rolle der Geschlechter dienen den Kritikern als Totschlag-Argument gegen eine Stärkung der Frauenrechte. Wer dagegen hält, sieht sich schnell dem Verdacht ausgesetzt, Gottes Willen zu missachten.
"Als käme seine Auffassung direkt von Gott"
Al-Hilali ärgert sich über solche Versuche der Einflussnahme: "Man muss verhindern, dass jeder so tun kann, als käme seine persönliche Auffassung direkt von Gott. Grundsätzlich kann nämlich jede Rechtsprechung Richtiges und Falsches enthalten - und zwar auch dann, wenn sie von höchster Stelle geäußert wird."
Ähnlich sieht es Marwa Sharafeldin. Es sei nicht hinnehmbar, Gesetze, die Gewalt gegen Frauen zu unterbinden suchten, mit der Begründung abzulehnen, diese verstießen "gegen die Religion", so die an der Harvard Universität lehrende Juristin und Expertin für internationales Familienrecht. Ein solcher Vorwurf nähre letztlich sogar die Behauptung, der Islam selbst ermutige zur Gewalt gegen Frauen. Bisweilen werde mit Blick auf das Verhältnis zwischen Rechtsprechung und Religion sogar absichtlich Verwirrung gestiftet, um andere politische Ziele zu erreichen, meint Sharafeldin. "Einige Vertreter des politischen Islam versuchen so, sich auf Kosten der Frauen zu profilieren."
Unzureichende Gesetze
Die zögerliche Gesetzgebung hat mitunter gravierende Folgen. Das derzeitige mauretanische Recht etwa definiere und kriminalisiere sexuelle Gewalt nicht in angemessener Weise, heißt es in einer Studie der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW). Und weil es keine hinreichende Definition für Vergewaltigungen und andere Formen sexueller Übergriffe gebe, erhöhe sich damit auch das Risiko für die Opfer, selbst strafrechtlich verfolgt zu werden: "Wenn Frauen und Mädchen die Justizbehörden nicht überzeugen können, dass eine sexuelle Handlung nicht einvernehmlich war, dann können sie sich selbst von Anklägerinnen in Angeklagte verwandeln", so die HRW-Studie.
Auch in Ägypten wird regelmäßig um die Frauenrechte gerungen. Seit Monaten wird in dem Land am Nil bereits ein Entwurf zum neuen Personenstandsgesetz diskutiert, doch die Umsetzung verzögert sich weiter. Ein ägyptischer Jurist hat deswegen einen Gerichtsprozess in die Wege geleitet, der eine baldige Verabschiedung erzwingen soll. Rechtfertigen muss sich in dem Prozess das ägyptische Parlament. Es wird beschuldigt, die Verabschiedung des neuen Familienstandgesetzes nicht zügig genug anzugehen. Konservative Kritiker hingegen werfen dem Gesetz vor, es bevorzuge Frauen auf Kosten der Männer. Auch hierbei wurde verschiedentlich mit Tradition und Religion argumentiert.
Blick auf die realen Probleme
Religiös aufgeladene Diskussionen über das weibliche Personenstandsrecht seien jedoch nicht zielführend, kritisiert die Menschenrechtsaktivistin und Gründerin des "Zentrums für den juristischen Beistand ägyptischer Frauen", Azza Soliman: "Wenn ich mich an entsprechenden Diskussionen beteilige, dann tue ich das doch nicht auf Grundlage der Scharia", so Soliman gegenüber der DW. "Ich orientiere mich am tatsächlichen Leid der Frauen."
Die bestehenden Defizite in der Gesetzgebung hätten direkten Einfluss auf das Leben vieler Frauen. "Die jetzigen Ehegesetze führen zum Beispiel dazu, dass sich Scheidungsprozesse über Jahre hinziehen. Das Gleiche gilt für Prozesse, bei denen es um das Recht der Frauen geht, selbständige Ausgaben zu tätigen oder nach einer Scheidung ihre Kinder zu sehen." Gerade Prozesse um Gewalt gegen Frauen zögen sich viel zu lange hin, so Soliman.
Besonders kritisch sieht die Aktivistin, dass die Scharia fast nur bei Diskussionen über Frauen- und Familienthemen massiv als "Gegenargument" bemüht werde. Überlieferten Traditionen, wie dem Konzept der "Ehre" des Mannes und seiner Familie, würde dabei oftmals nur ein religiöses Gewand übergezogen. "Wenn über andere Themen wie Wirtschaft oder Kriminalität diskutiert wird, wird die Scharia ja auch nicht ständig als Vorwand genommen, um Gesetzesänderungen abzulehnen."