Weibliche Imame
7. Oktober 2006Als Amina Wadud, Professorin für Islamwissenschaften an der Virginia Commonwealth Universität in Richmond, im März 2005 ein islamisches Freitagsgebet vor gläubigen Muslimen beiderlei Geschlechts in New York leitete, war der Aufschrei unter traditionellen Muslimen groß: Konservative Religionsführer in Ländern wie Ägypten und Saudi-Arabien witterten eine amerikanische Verschwörung, die den Islam diskreditieren solle. Weniger spektakulär verläuft bisher der Einsatz von weiblichen Imamen in der laizistischen Türkei und in den vom türkischen Staat indirekt betreuten und kontrollierten türkischen Moscheegemeinden in Deutschland. Sie predigen, soweit bekannt, jedoch nur vor Geschlechtsgenossinnen.
Frauenquote steigt
"Diyanet" heißt das staatliche Amt für Religionsangelegenheiten in Ankara. Es kontrolliert in der Türkei alles, was mit Religion und ihrer Ausübung zu tun hat. Mangelnde Liberalität oder fehlenden Reformwillen kann man dem Amt nicht vorwerfen. In den letzten Jahren hat das Religionsamt die Anzahl seiner weiblichen Mitarbeiter kontinuierlich erhöht, so dass inzwischen 2700 Frauen für Diyanet arbeiten. Ali Dere, Leiter des Diyanet-Büros für internationale Beziehungen, könnte sich auch weibliche Muftis vorstellen. Er ist stolz darauf, dass in seinem Amt immer mehr Frauen zum Zuge kommen: "Wir möchten die Rechte, die unsere Religion den Frauen gegeben hat, und die damit verbundenen Verbesserungen verdeutlichen."
"Das ist doch nichts anderes als Aufklärung"
Die türkische Religionswissenschaftlerin Beyza Bilgin sieht dies ähnlich. Sie stellt Parallelen zur gesellschaftlichen Entwicklung in der Türkei fest: "Früher saßen Frauen zu Hause, gingen nicht zur Schule, hatten kein Beruf, arbeiteten nicht, verdienten kein Geld. Der Gedanke, dass Frauen auch arbeiten könnten, um ihre Fähigkeiten unter Beweis zu stellen - dieser Gedanke kam erst recht niemandem in den Sinn". Doch nach der Religion, erklärt Bilgin, sollen alle Menschen erleuchtet werden, sich Wissen aneignen, lernen und ausgebildet werden - unabhängig vom Geschlecht: "Das ist doch nichts anderes als Aufklärung!"
Weibliche Prediger
Der Wandel im Rollenverständnis weiblicher Muslime und die verstärkte Rekrutierung weiblicher Mitarbeiter im staatlichen Religionsamt betrifft auch viele türkischstämmige Muslime in Deutschland. Ridvan Cakir, ehemaliger Vorsitzender der "Türkisch-islamischen Union" (DITIB), betont, dass auch in Deutschland seit mehreren Jahren weibliche Prediger beschäftigt würden. Bisher sind es erst 13, doch die Moscheegemeinden seien damit sehr zufrieden. Deshalb sollen es künftig mehr werden, sagt Cakir: "Praktisch alle unsere Moscheen fragen uns inzwischen nach weiblichen Predigern". Die kämen dann für ein oder zwei Jahre nach Deutschland. "Da gibt es einen großen Bedarf. Ich weiß nicht, wie viele neue Mitarbeiterinnen demnächst kommen werden. Aber es wäre angemessen, wenn jede Moschee in Deutschland weibliche Prediger hätte", erklärt Cakir.
Anderer Wirkungskreis
Auch Felix Körner, Pfarrer der katholischen Gemeinde in Ankara, sieht es positiv, dass das türkische Religionsamt zunehmend Frauen mit religiösen Aufgaben betraut: "Dass die Diyanet ihren eigenen Auftrag auch als Aufklärungsauftrag sieht, weiß ich. Und ich sage auch: Das nehmen die ernst und das machen sie auch gut." Natürlich würden sie wissen, dass Muslime, wenn sie Männer sind, nicht gerne von Frauen unterrichtet, geschweige denn im Gebet geleitet werden. Diese Frauen würden jedoch vor allem für in Deutschland lebende türkische Frauen entsandt. Und die könnten Kreise erreichen, die ein männlicher Imam in Deutschland nie erreichen würde.