Frauen im Ostkongo
25. Januar 2010Mama Louise hat Schmerzen. Sie liegt im Krankenhaus von Heal Africa in Goma, der Hauptstadt von Nordkivu. Ein Gipskorsett umfängt die energische Frau bis zum Bauch, es engt ihre Bewegungen ein. Gemeinsam mit ihren Freundinnen hatte Louise der Distriktregierung einen offenen Brief an den kongolesischen Präsidenten Joseph Kabila geben wollen. Damit wollten die Frauen von Goma die vielen Gewaltverbrechen und die Vergewaltigungen im Ostkongo öffentlich machen – und den Druck auf die Regierung erhöhen, Gewaltverbrecher konsequent zu bestrafen, die Opfer zu schützen. Doch bei der Demonstration vor der Distriktregierung war ein Sammeltaxi in die ganze Gruppe hinein gefahren und hatte sechs der Demonstrantinnen schwer verletzt.
Regierung in Kinshasa bleibt passiv
Nun liegt Mama Louise seit Wochen nach einer schweren Hüftoperation im Krankenhaus. Entmutigen aber lässt sie sich nicht und erklärt, wofür sie und die anderen Frauen von Goma kämpfen: "Wir haben einen Bericht über unsere Lage und die Gewalt in der Region verfasst und an unsere Regierung weitergegeben. Doch die Regierung bleibt passiv und tut nichts, um die Straflosigkeit zu beenden."
Eigentlich gibt es schon seit 2006 in der Demokratischen Republik Kongo ein Gesetz, dass sexuelle Gewalt unter Strafe stellt. Davon aber merken die Frauen im Ostkongo nichts, wie Louises Mitstreiterin Brigitte ergänzt: "Wir sehen nicht, dass das Gesetz wirklich durchgesetzt wird. Es gibt viel Gewalt und wir sehen nicht, dass diese irgendwie verfolgt oder bestraft wird. Und es gibt wirklich hohe Verantwortungsträger, von denen wir auch wissen, dass sie Gewaltakte verübt haben."
Sexuelle Gewalt als Kriegswaffe
Gewalt ist an der Tagesordnung in Nordkivu, an der Grenze zu Uganda und weiter nördlich in Richtung Sudan. Der offene Brief der Frauen umfasst eine lange Liste von Gewaltakten, die sowohl von der Armee wie von den Rebellengruppen verübt werden. In den Regionen um Goma – vor allem in Rutshuru und Masisi komme es immer wieder zu Übergriffen durch Soldaten der kongolesischen Armee. Auch ehemalige Kämpfer der Tutsi-Rebellen CNDP tyrannisieren Dörfer in den Grenzregionen. Und immer wieder verüben auch die rund 4000 verbliebenen Rebellen der Hutu-Miliz FDLR Gewaltverbrechen. Vergewaltigungen sind in der ganzen Region zur Waffe im Krieg geworden – und sie werden von allen Seiten eingesetzt. Das betrifft auch Männer, weit öfter aber Frauen. Durch den Krieg sei ein regelrechter Handel mit Frauen entstanden, erklärt Brigitte: "Frauen wurden zum sexuellen Spielzeug."
Komplizenschaft beim Thema Gewalt
Es braucht Mut, angesichts der Komplizenschaft und Akzeptanz von Gewalt auf allen Ebenen - von der Polizei über die Armee bis zur politischen Führung - die Dinge beim Namen zu nennen. Die Frauen von Nordkivu tun das und sie dokumentieren in ihrem Brief, dass es mit dem Frieden nicht weit her ist im Ostkongo:
Giselle ist schon seit zwei Jahren auf der Flucht. Sie lebt im Flüchtlingslager Muganga III bei Goma. Bis zu 120.000 Menschen, leben nach Angaben der UNO immer noch in den Flüchtlingslagern in der Region um Goma. Insgesamt sollen es im ganzen Land noch rund 700.000 sein. Giselle ist achtzehn. Ich treffe sie zwischen den weißen Plastikzelten mit dem blauen UN-Logo. Auf dem Rücken trägt sie ihren Sohn Jeremy, der ein Jahr alt ist. Sie stammt aus Masisi, 80 Kilometer von Goma entfernt. Zurück kann sie nicht, denn dort sei noch Krieg: Das erste Opfer sind Frauen wie Giselle – und jeden Tag drohen solche Situationen, erzählt Giselle: "Wenn wir hier in den Wald, um unser Feuerholz zu holen, es dort zu schneiden. Und dort sind Banditen aber auch Militärs und diese vergewaltigen uns."
Vergewaltigung ist keine Frage des Alters. Die Mediziner von Heal Africa, die in Goma ein Krankenhaus unterhalten, behandelten eine dreijährige Patientin – und ein alte Frau von mehr als 70 Jahren. Mama Louise kennt viele, die das erlitten haben: "Hier in der Region werden Frauen vergewaltigt und Männer vergewaltigt. Sie vergewaltigen Deine Frau oder Deine Kinder vor Deinen Augen – das tut weh!" Offiziell aber gibt es das Problem nicht.
Der kongolesische Staat ist nicht präsent und ignoriert und verschleiert das Thema.
Trauma Vergewaltigung
Allein im Krankenhaus von Heal Africa wurden in vier Jahren rund 30.000 Frauen behandelt – ein Bruchteil dessen, was passiert Tag für Tag. Und viele infizieren sich mit HIV, erkranken an Aids. Medikamente können nach einer Vergewaltigung das Risiko einer HIV-Infektion deutlich reduzieren. Doch die Frauen im Ostkongo haben keine Krankenstationen und keine Ärzte, an die sie sich wenden können. Und kommen sie zurück in ihre Familien – so müssen sie mit allem rechnen, wie eine Frau im Flüchtlingslager erzählt: "Es gibt Fälle, da werden die Frauen schwanger. Das Kind ist auch hiv-infiziert, es ist nicht gesund, hat Probleme. Und es gibt keine Medikamente. Und die Männer lehnen es sehr oft ab, mit der Frau weiter zusammen zu leben, weil sie sich mit HIV infiziert haben. Die Folgen für die Frauen gehen noch weiter – sie verliert ihre soziale und wirtschaftliche Existenz. Mama Louise kennt viele solcher Fälle: "Wenn es ein junges Mädchen ist, dem so etwas passiert, dann kann man es nicht mehr verheiraten und wenn Du eine verheiratete Frau bist, dann weist Dich Dein Mann ab." Und ihre Freundin und Mitstreiterin Brigitte bringt es auf wenige treffende Worte: "Du wirst nicht mehr respektiert, sondern auf den Index gesetzt – Deine Persönlichkeit geht verloren, Du gehst Dir selbst verloren."
DNA-Datenbank für Straftäter geplant
Das Krankenhaus von Heal Africa ist eine von zwei Anlaufstellen, wo Frauen operiert werden können, die durch die Vergewaltigung schwere innere Verletzungen erlitten haben und an Scheidenfisteln leiden. HEAL AFRICA baut nun mit Hilfe einer amerikanischen Stiftung eine DNA-Datenbank auf, um die Straftäter zu identifizieren – denn weder Polizei noch die lokalen Distriktregierungen setzen der Gewalt ein Ende, indem sie die Fälle wirklich dokumentieren und Straftäter verfolgen:
Verordnete politische Normalität
Die Regierung in Kinshasa interessiert das nicht – sie will politische Normalität im Osten des Landes. So wird sie nicht müde zu behaupten, der Krieg sei zu Ende. Das mag sein - aber die Gewalt nicht. Die schwer traumatisierte Gesellschaft im Osten des Landes wird von ihrer politischen Führung allein gelassen. Denn diese will vor allem eines: dass die UN-Mission MONUC endlich abzieht und noch bis Mitte des Jahres einen Abzugsplan vorlegt. Die Aussagen der Frauen von Goma stören die Offiziellen. Ein Interessenkonflikt, den die Frauen von Goma zu spüren bekommen:
In der über Jahrzehnte mit dem Krieg konfrontierten Gesellschaft im Ostkongo wird Gewalt in hohem Maße als Mittel im Konflikt akzeptiert. Ob das Taxi absichtlich in die Demonstrantinnen gefahren ist, wird sich wohl nie aufklären lassen. Und auch ausländische Entwicklungshilfe tue zu wenig, um Frauen wie Louise und Brigitte zu unterstützen erklärt Desiree Zwanck, die für den Zivilen Friedensdienst bei HEAL AFRICA arbeitet: "Wer sich für die Menschenrechte und die Frauenrechte einsetzt, wird hier bedroht. Es gibt Morddrohungen, auch Drohungen in Richtung Familie. Die politische Elite hat ein Klima der Einschüchterung geschaffen. Und auch die ausländischen Organisationen sagen, die Frauenorganisationen hier seien nicht professionell genug – und so arbeitet kaum einer mit ihnen und deshalb werden auch keine Kapazitäten aufgebaut."
Mama Louise weicht aus, wenn man sie nach direkten Drohungen fragt. Sie wendet den Blick zur Wand – fast trotzig und sehr bestimmt klingt es, wenn sie antwortet: "Auch wenn man mir sagen würde: HÖR AUF! – so würde ich doch weitermachen, für mein Land, die Demokratische Republik Kongo. Ich mache so lange weiter, bis wir wirklich Frieden haben!"
Autorin: Ute Schaeffer
Redaktion: Katrin Ogunsade