Frankreichs Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit
15. März 2016Von den grauen Wohnblöcken bröckelt der Putz. Die Wände sind mit Graffiti beschmiert. Schreiende Krähen fliegen zwischen den Gebäuden hindurch und verschwinden hinter einer hohen Mauer. Dahinter liegt ein Friedhof. Hier, in der Pariser Problem-Vorstadt Bondy in Frankreichs ärmstem Département Seine-Saint-Denis, hat Sofiane Ghaib den größten Teil seines bisher 22-jährigen Lebens verbracht. Ein Viertel, in dem viele Jugendliche früh vom rechten Weg abkommen.
Wie auch Ghaib. Die Schule hat er mit 14 Jahren verlassen, hat mit Drogen und Waffen gedealt und landete dafür schließlich im Gefängnis. Doch von diesem Leben hat er nun genug. "Ich habe immer in Angst gelebt - vor der Polizei oder vor anderen Dealern, die mir an den Kragen gehen könnten", sagt er. "Jetzt will ich endlich einen legalen Job finden." Dabei helfen soll ihm das staatliche Programm Garantie Jeunes. Das ist genau auf Jugendliche wie ihn, ohne fertige Schulausbildung und mit wenig Zukunftsperspektive, zugeschnitten. Ökonomen halten es zumindest für einen guten Anfang.
100.000 Teilnehmer bis Ende 2017
Ins Leben gerufen hat die Regierung die Garantie Jeunes Ende 2013 - anfangs als Testlauf in zehn der rund 100 französischen Départements. Die Teilnehmer zwischen 18 und 25 Jahren lernen zunächst in vier- bis sechswöchigen Kursen, wie man sich auf eine Stelle bewirbt. Während der restlichen Zeit des insgesamt einjährigen Programms versuchen sie, mit der Hilfe der Jobberater Praktika, Ausbildungen oder Jobs zu finden. Dabei bekommen die jungen Leute monatlich rund 460 Euro vom Staat. Dieses Jahr will man das Programm auf das gesamte Land ausweiten. Bis Ende 2017 sollen rund 100.000 Jugendliche daran teilgenommen haben.
Denn die Garantie Jeunes ist wichtig für den französischen Präsidenten François Hollande. Der hat seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahl 2017 davon abhängig gemacht, dass die Arbeitslosigkeit sinkt. Und ohne Job sind vor allem junge Franzosen. Während über alle Altersgruppen hinweg jeder Zehnte arbeitslos ist, ist es bei Franzosen unter 25 jeder Vierte. Unter jungen Leuten in den Problem-Vorstädten sogar bis zu jeder Zweite.
Ghaib muss ganz von vorne anfangen
Jugendliche wie Ghaib haben nämlich oft nie gelernt, wie man sich im Arbeitsleben verhält. "Die meisten Teilnehmer der Garantie Jeunes haben noch nie einen Job gehabt oder in einem Unternehmen gearbeitet", erklärt Laura Marine, die das Programm Garantie Jeunes beim Bürgerhaus in Bondy betreut. "Sie sind mit ihren Familien zerstritten, haben Probleme mit der Polizei, und einige von ihnen leben auf der Straße. Es ist für sie sehr schwer, Arbeit zu finden."
Ghaib muss so ganz von vorne anfangen - sich einen gültigen Ausweis und eine Krankenversicherung besorgen. Dafür steht er jetzt morgens früh auf und trifft sich mit den Beratern der Garantie Jeunes. "Ich finde das wirklich prima", sagt er. "Es ist wie ein normaler Arbeitsrhythmus - man muss pünktlich sein, man lernt Lebensläufe und Bewerbungen zu schreiben." Er will bald den Führerschein machen und sich dann zunächst als Lieferant oder Krankenwagenfahrer bewerben.
Verborgene Schätze
Harouna Gandega ist schon etwas weiter. Der 21-Jährige wohnt in Nanterre, einer anderen Pariser Vorstadt. Auch er hat keine abgeschlossene Ausbildung und hatte lange Schwierigkeiten, einen Job zu finden. "Ich habe mich von Wochen- zu Monatsvertrag gehangelt und wusste nie so genau, was ich werden will", sagt er. Die Garantie Jeunes hat das geändert. Seit Januar ist er befristet bei einem Steinmetz angestellt. Dort erlernt er nun endlich einen richtigen Beruf. "Es macht mir richtig Spaß, und ich sehe meine Zukunft in diesem Metier - die Garantie Jeunes hat mir geholfen, meinen Traumjob zu finden", sagt er strahlend.
Diese Begeisterung teilt sein Meister Sébastien Michalakis. Denn professionellen Nachwuchs zu finden, ist für Steinmetze in Frankreich alles andere als einfach. Auch wenn es in diesem Land mit den vielen Sehenswürdigkeiten viel Arbeit für die Handwerker gibt. Die Vorstädte könnten da Abhilfe schaffen, meint er. "Die Jugendlichen in unseren Vorstädten sind wie verborgene Schätze. Es ist sehr schwer, sie zu finden", sagt er. "Aber das Programm Garantie Jeunes hilft uns nun endlich dabei - ich habe dadurch Harouna entdeckt, der ein richtiges Händchen für diesen Job hat. Das ist wirklich toll!"
Nur solide Ausbildung hilft weiter
Gandegas Werdegang ist der Idealfall. Aber leider nicht die Regel, meint Marc Ferracci, Ökonom an der Pariser Universität Panthéon Assas. Für den Wirtschaftler setzt die Garantie Jeunes durchaus richtig an - anders etwa als frühere staatliche Programme gegen Jugendarbeitslosigkeit. Denn gerade unter Schulabbrechern sei die Arbeitslosigkeit besonders hoch. Aber erheblich senken werde das Programm die Zahl der Arbeitslosen, die gerade bei rund 2,9 Millionen liegt, trotzdem nicht. Dafür müsste man den Inhalt des Programms ausbauen. "Nur wenige der Jugendlichen erlernen bei der Garantie Jeunes einen richtigen Beruf", sagt Ferracci. "Dabei ist eine solide Ausbildung doch das Einzige, was langfristig einen Job garantieren kann."
Auch Ghaib hofft, später einen Beruf zu erlernen. Zum ersten Mal in seinem Leben traut er sich nun, auf eine bessere Zukunft zu hoffen. "Ich würde gerne im Bereich Umweltschutz arbeiten, denn ich liebe die Natur, und ich liebe Tiere", sagt er mit schüchternem Lächeln. "Selbst wir Vorstadtkinder haben schließlich Träume - auch wenn wir kein Geld haben, um sie zu verwirklichen." Zu diesem Traum gehört für Ghaib auch, eine eigene Familie zu gründen. Doch nicht hier in der Vorstadt. Er will so schnell wie möglich aus Bondy wegziehen, um sein altes Leben endgültig hinter sich zu lassen.