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Ägypten: Die wichtigsten Fragen

Anne Allmeling1. Februar 2013

Auch zwei Jahre nach dem Sturz von Hosni Mubarak bleibt die Lage in Ägypten unübersichtlich. Wie viel Macht hat der neue Präsident? Wohin entwickelt sich das Land? Wichtige Fragen und Antworten im Überblick.

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Ägyptische Demonstranten in Kairo (Foto: EPA)
Bild: picture-alliance/dpa

Was bedeutet der Ausnahmezustand für die Ägypter?

Nach Krawallen mit Dutzenden von Toten hat Ägyptens Präsident Mohammed Mursi Ende Januar 2013 für mehrere Städte einen vorübergehenden Ausnahmezustand angeordnet. Viele Ägypter erinnert diese Maßnahme an die Herrschaft von Hosni Mubarak. Der ehemalige ägyptische Präsident hatte nach der Ermordung seines Vorgängers Anwar Al-Sadat 1981 mit Hilfe einer Notstandsgesetzgebung regiert, die immer wieder verlängert und erst Ende Mai 2012 - lange nach seinem Sturz - aufgehoben wurde. Das Notstandsgesetz, das laut Verfassung im Fall von Krieg oder Katastrophen angeordnet werden kann, schränkt die Bürgerrechte ein und erweitert gleichzeitig die Befugnisse der Sicherheitskräfte. Sie können zum Beispiel ohne jede Begründung "Verdächtige" verhaften. Schon Mubaraks Vorgänger Gamal Abdel Nasser und Sadat hatten das Notstandsgesetz angewandt – auch, um die eigene Macht zu sichern.

Wie viel Macht hat Mohammed Mursi?

Als Mohammed Mursi Ende Juni 2012 sein Amt als ägyptischer Präsident antrat, waren seine Befugnisse noch unklar: Die neue Verfassung war noch nicht ausgearbeitet. Die Übergangsverfassung, die zwischen März 2011 und Dezember 2012 galt, wurde maßgeblich vom obersten Militärrat geprägt, der sich auf diesem Weg den alleinigen Oberbefehl über die Streitkräfte sicherte. Seit dem 26. Dezember 2012 gilt die neue ägyptische Verfassung, die dem Militär auch weiterhin eine gewisse Unabhängigkeit von der Regierung sichert. Die Verfassung wird vielfach als islamistisch kritisiert, weil sich darin kaum wichtige Positionen säkularer, liberaler und linker Gruppierungen finden. Sie wurde in einer Volksabstimmung angenommen und bestimmt auch die Befugnisse des Präsidenten. Über die Muslimbruderschaft, deren Mitglied er bis zu seinem Amtsantritt war, hat Mohammed Mursi faktisch aber sehr viel größere Einflussmöglichkeiten als in der Verfassung vorgesehen. Viele Beobachter vermuten, dass Mursi mit seinen politischen Entscheidungen versucht, den Muslimbrüdern bei den anstehenden Parlamentswahlen zu einer Mehrheit zu verhelfen.

Ägyptens Präsident Mohammed Mursi (Foto: Getty Images)
Mursis Befugnisse sind in der neuen Verfassung geregeltBild: Getty Images

Wie viel Einfluss hat das Militär?

Das Militär gilt weiterhin als entscheidende Kraft in Ägypten. Schon die Weigerung der Armee, die Proteste gegen Präsident Mubarak im Februar 2011 niederzuschlagen, hat maßgeblich zum Erfolg der Demonstranten und zum Sturz Mubaraks beigetragen. Danach behielt der oberste Militärrat unter Feldmarschall Hussein Tantawi die eigentliche Macht, bis dessen Befugnisse nach den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen ausliefen oder von Mohammed Mursi aufgehoben wurden. Weniger später gelang es dem neuen Präsidenten, die alte, noch aus den Zeiten Mubaraks stammende Militärführung abzulösen und durch jüngere Generäle zu ersetzen. Zwischen dem Präsidenten und den Streitkräften lässt sich eine gewisse Kooperation feststellen, zum Beispiel, wenn es darum geht, Ruhe und Ordnung aufrechtzuerhalten. Da die Armee ein umfangreiches Firmenimperium auch außerhalb der Rüstungsindustrie kontrolliert, verfügt sie über ein umfangreiches Patronagenetzwerk und enorme finanzielle Mittel, die sie zum Staat im Staate machen.

Ägyptische Soldaten (Foto: Xinhua)
Die ägyptische Armee gilt auch weiterhin als einflussreichBild: picture-alliance/landov

Wie geht es weiter mit dem Parlament?

Die ersten freien Parlamentswahlen in Ägypten wurden im Winter 2011/2012 abgehalten. Dabei konnten die islamistischen Parteien mehr als 70 Prozent der Mandate erringen. Wahlsieger wurde die "Partei für Freiheit und Gerechtigkeit" der Muslimbruderschaft, aus der auch Mohammed Mursi kommt, mit 37,5 Prozent der Stimmen. Mit knapp 28 Prozent schnitt die salafistische "Partei des Lichts" überraschend gut ab. Das erste ägyptische Parlament wurde klar von den Islamisten dominiert. Ende Juni 2012 löste der oberste Militärrat das Parlament wieder auf. Seine Begründung: Die Vergabe der Sitze sei verfassungswidrig gewesen. Für das Frühjahr 2013 sind neue Parlamentswahlen vorgesehen.

Was fordert die Opposition?

Jahrzehnte lang war die Muslimbruderschaft und größte und am besten organisierte Oppositionspartei – auch wenn sie offiziell verboten war. Ihre Mitglieder waren als unabhängige Abgeordnete im Parlament vertreten und hatten so einen begrenzten Einfluss auf die ägyptische Politik. Seit die Muslimbrüder das Land regieren, haben sich zwei oppositionelle Hauptströmungen herausgebildet: eine neo-nasseristische Gruppe um den ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Hamdin Sabahy, die einen islamistischen Staat ablehnt, sowie eine Gruppe, die ebenfalls gegen eine weitere Islamisierung der Gesellschaft ist, aber auch die Lösung wirtschaftlicher Probleme fordert und Mitsprache und Partizipation verlangt. Auch die ehemaligen Anhänger des gestürzten Präsidenten Mubarak sind weiter aktiv und profitieren von den zunehmenden Spannungen zwischen den Islamisten und den Oppositionellen, die eine Trennung von Staat und Religion wollen. "Viele Forderungen wurden bislang nicht erfüllt", sagt die deutsch-ägyptische Politikwissenschaftlerin Hoda Salah. "Dazu gehören die Ziele der Revolution: Menschenwürde, ein Ende des Polizeistaates, Wirtschaftsreformen." Viele Ägypter sind von den Entwicklungen der vergangenen zwei Jahre frustriert. Das äußert sich auch auf der Straße: Seit Ende des Jahres 2012 gibt es wieder vermehrt gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Gegnern der Regierung und der Polizei – eine Entwicklung, die nicht nur die Ägypter mit Sorge beobachten.

Auseinandersetzungen zwischen der ägyptischen Polizei und Demonstranten (Foto: AFP)
Die Gewalt auf der Straße scheint zuzunehmenBild: dapd

Wie hat sich die Pressefreiheit entwickelt?

Unter Mubarak war die Pressefreiheit in Ägypten stark eingeschränkt. Seit seinem Sturz hat sich die Situation nicht verbessert – im Gegenteil. Befand sich Ägypten 2010 in der Rangliste der Pressefreiheit noch auf Platz 127, war es 2012 nur auf Platz 158 von insgesamt 179 Ländern. Das Problem sei die andauernde Gewalt, sagt Christoph Dreyer von Reporter ohne Grenzen. "Es handelt sich um eine massive Einschränkung der Meinungsfreiheit, wenn man über eine Demonstration berichtet und dafür zusammengeschlagen wird", sagt er. Zwar habe sich die Lage gegenüber dem Jahr 2011 leicht verbessert. "Aber es gab trotzdem reihenweise gewaltsame Übergriffe, bei Demonstrationen wurden Journalisten verhaftet, Ausrüstung beschlagnahmt – die Situation ist weit davon entfernt, gut zu sein."

Wie steht es um die wirtschaftliche Lage?

Der Umbruch in Ägypten hat das Land in eine Wirtschafts- und Finanzkrise gestürzt. Seit dem Sturz von Mubarak sind die Devisenreserven um mehr als 20 Milliarden auf rund 15 Milliarden US-Dollar gesunken. Ein Grund dafür sind die ausbleibenden Touristen: Viele potenzielle Besucher machen lieber einen Bogen um das krisengeschüttelte Land. Auch die Investoren aus dem Ausland halten sich zurück. Die regierenden Muslimbrüder haben vor allem in den vergangenen Monaten bei Unternehmern an Vertrauen verloren – sowohl im Westen wie auch in den Golfstaaten. Vom Emirat Katar erhält Ägypten weiter finanzielle Unterstützung, was dazu beigetragen hat, dass ein ökonomischer Kollaps bisher verhindert werden konnte. Das ägyptische Pfund hat in den vergangenen zwei Jahren gegenüber dem US-Dollar stark an Wert eingebüßt und zwischenzeitlich ein Rekordtief erreicht. Das bekommen vor allem diejenigen Ägypter zu spüren, die ohnehin wenig Geld haben: Die steigenden Preise machen ihnen das Leben schwer. "Viele Leute sind ärmer geworden", sagt Politikwissenschaftlerin Hoda Salah. "Die Enttäuschung ist groß." Die schlechte wirtschaftliche Lage birgt somit Sprengstoff für neue Konflikte.

Pyramiden in Ägypten
Seit dem Umsturz reisen weniger Touristen nach ÄgyptenBild: picture-alliance/dpa

Was hat sich in der ägyptischen Außenpolitik verändert?

Das Verhältnis zwischen Ägypten und Israel hat sich seit dem Amtsantritt Mursis verschlechtert. Der Präsident stellt den Friedensvertrag, der in der ägyptischen Bevölkerung unpopulär ist, allerdings nicht ernsthaft in Frage. Deutlich besser ist das ägyptische Verhältnis zu den USA, die weiterhin ein wichtiger Geldgeber gerade auch für das Militär sind. Auch von den Golfmonarchien erhält Ägypten weiterhin finanzielle Unterstützung. Katar unterstützt die Muslimbrüder schon seit langem medial und finanziell. Während die Führung in Doha in den Muslimbrüdern offenbar die führende Kraft in den Ländern des arabischen Frühlings sieht, ist die Haltung der übrigen Golfstaaten kritischer. Saudi-Arabien gilt als Geldgeber und Schutzmacht der Salafisten, die auch religiös stark von den in Saudi-Arabien vorherrschenden Wahabbiten beieinflusst sind und als Konkurrenz zu den Muslimbrüdern gelten. Mit dem Iran bestehen inzwischen zwar wieder regelmäßige Kontakte, aber die von vielen befürchtete Allianz blieb aus, was unter anderem am Streit zwischen Mursi und der iranischen Führung über die Zukunft des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad liegt.

Kann sich Ägypten wieder zum einflussreichsten arabischen Land entwickeln?

Lange galt Kairo als Zentrum der arabischen Welt. Doch schon in den vergangenen zwei Jahrzehnten haben die Golf-Monarchien international an politischem und wirtschaftlichem Einfluss gewonnen – auf Kosten Ägyptens, das mit mehr als 80 Millionen Einwohnern das mit Abstand bevölkerungsreichste Land der arabischen Welt ist. Die Vereinigten Arabische Emirate zogen Investoren und Gastarbeiter aus der ganzen Welt an und machten aus Dubai eine moderne Metropole, in der auch zahlreiche Ägypter arbeiten. Katar nutzt seinen Reichtum aus der Öl- und Gasförderung, um international von sich reden zu machen: zum Beispiel mit dem Fernsehsender "Al Jazeera", der sich zum führenden Medium in der arabischen Welt entwickelt hat und von manchen Beobachtern als Instrument der katarischen Außenpolitik verstanden wird. Darüber hinaus ist der Emir von Katar in den vergangenen Jahren immer wieder als Vermittler bei verschiedenen Konflikten in Erscheinung getreten – eine Rolle, die früher vor allem Ägypten zukam. Saudi-Arabien wiederum unterstützt das bevölkerungsreichste arabische Land finanziell – und sichert sich dadurch einen gewissen Einfluss in Politik und Wirtschaft. Kulturell hat Ägypten mit seiner Jahrtausende alten Geschichte zwar immer noch eine enorme Anziehungskraft. Aber bis sich die Wirtschaft in Ägypten konsolidiert und politische Impulse wieder aus Kairo kommen, werden wohl noch Jahre vergehen.

Die Sphinx (Foto: Getty Images)
Ägyptens Geschichte und Kultur sind weltberühmtBild: Sean Gallup/Getty Images